Nach zwei Jahren mehr oder weniger eingehaltenem Böllerverbot durften es die Deutschen zu Silvester 2022 wieder so richtig krachen lassen. Und das taten sie auch ausgiebig, wie aus vielen deutschen Städten berichtet wird. Offenbar gab es bei vielen erheblichen Nachholbedarf.

In einigen Fällen allerdings übertrieben es manche auch. So kam es in mehreren Städten zu Böller-Angriffen auf Polizei und Feuerwehr. Was folgte, war eine Debatte, wie sie leider typisch für die aktuelle Zeit ist: Ein komplexes Problem wurde so lange vereinfacht und einer bestimmten Gruppe zugeschrieben, bis es kaum noch etwas mit dem eigentlichen Phänomen zu tun hatte. 

Alle sprachen nur über Neukölln, niemand über Borna in Sachsen

So ignorierten breite Teile der Öffentlichkeit, dass es in sämtlichen Teilen Deutschlands zu Krawallen gekommen war, sprachen nur noch über den Berliner Stadtbezirk Neukölln und versuchten damit, aus der Debatte eine Diskussion über angebliche Integrationsprobleme zu machen. Ausgesprochen brutale Ausschreitungen im sächsischen Borna dagegen interessierten, genau, niemanden. Genauso wenig wie die Randale im fränkischen Ostheim vor der Rhön. In beiden Fällen waren die Täter*innen ausschließlich weiße Deutsche.

Einige Akteure eskalierten die Debatte dann rasch weiter, es wurde der falsche Eindruck vermittelt, dass die Angriffe praktisch ausschließlich von jungen Männern mit Migrationshintergrund ausgegangen wären. Die Berliner CDU wollte sogar noch die Vornamen der Tatverdächtigen mit deutscher Staatsbürgerschaft wissen – ganz offensichtlich, um anhand von Namen zu beurteilen, wer wirklich deutsch ist und wer nicht. Ein zutiefst beschämender und abstoßender Versuch, zum Blutrecht der Abstammung zurückzukehren. 

Migration kein Faktor für Straffälligkeit

Es ist menschlich durchaus nachvollziehbar: Eine Erzählung, in der Krawalle ausschließlich von als "fremd" markierten Menschen ausgehen und damit von außen in die ansonsten homogene Gesellschaft eindringen, glauben viele gerne. Diese Erzählung ist bequem, aber sie ist schlicht und einfach falsch. 

Kriminolog*innen wissen längst, dass ein Migrationshintergrund kein Faktor für Straffälligkeit ist. Außerdem stellt sich nun auch noch heraus, dass die ohnehin schon unsachliche und weitgehend faktenfreie Debatte auch noch auf völlig falschen Zahlen basierte.

So hatte es zunächst geheißen, in Berlin-Neukölln seien 145 Tatverdächtige nach den Ausschreitungen festgenommen worden, davon 45 Deutsche. Doch das musste die Berliner Polizei nun korrigieren, wie der "Tagesspiegel" berichtet: So wurden lediglich 38 Personen nach Krawallen festgenommen, wovon zwei Drittel Deutsche sind. 

Lösung sozialer Probleme ist alternativlos

Es bleibt zu hoffen, dass nicht die ursprüngliche Falschmeldung im Gedächtnis bleibt, sondern die konstruktiven Debattenbeiträge, die es auch gab, in denen Sozialarbeiter*innen, Kriminolog*innen und andere Expert*innen erklärten, welche sozialen Problemen tatsächlich die Ursache solcher Ausschreitungen sind, und vor allem, welche Gegenmaßnahmen jetzt wichtig sind.

Denn eins ist klar: Soziale Probleme löst man nicht, indem man versucht, die aus ihnen resultierende Gewalt bestimmten Gruppen in die Schuhe zu schieben. Ganz im Gegenteil.