Zwei Jahre nach der Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands ist vielerorts nicht mehr auf den ersten Blick sichtbar, dass hier im Juli 2021 ungeahnte Wassermassen alles mit sich rissen: Häuser und Brücken wurden weggespült, Straßen und Bahngleise zerstört, mehr als 180 Menschen kamen ums Leben, Hunderte wurden verletzt, Zehntausende verloren ihr Hab und Gut. Den Betroffenen wurde schnelle, unbürokratische Hilfe versprochen. Doch der Wiederaufbau kommt vielfach nur schleppend voran, auch die seelischen Wunden sind noch lange nicht verheilt.

In Rheinland-Pfalz waren 65.000 Menschen und 3.000 Unternehmen von den Folgen der Starkregenkatastrophe direkt betroffen. Besonders schlimm war die Lage im Ahrtal, wo etwa 17.000 Menschen ihren gesamten Besitz verloren. In Nordrhein-Westfalen traf die größte Naturkatastrophe der jüngeren deutschen Geschichte über 180 Kommunen mit rund 20.000 Privathaushalten und 7.000 Unternehmen, besonders Erftstadt und Euskirchen.

Es fehlen Handwerker und Material

Nur ein kleiner Teil der 30 Milliarden Euro, die Bund und Länder für den Wiederaufbau zur Verfügung stellen, wurde ausgezahlt. So wurden in NRW bis Juli 2023 rund 3,1 Milliarden Euro an staatlichen Wiederaufbauhilfen bewilligt, davon 715,6 Millionen Euro für Privathaushalte. In Rheinland-Pfalz erhielten Privathaushalte bisher für ihren Hausrat 140,7 Millionen Euro, für Gebäude 502,2 Millionen Euro. Häufig mangelt es an Handwerkern und Material, Flutopfer streiten mit Versicherungen, auch komplizierte Antragsverfahren und Bewilligungsprozessen verzögern die Arbeiten, die noch Jahre dauern werden.

Viele Betroffene erfahren zudem erst jetzt von Hilfen oder stellen Anträge. Für Privatleute und Kommunen wurde die Antragsfrist für staatliche Hilfen um drei Jahre bis zum 30. Juni 2026 verlängert, für betroffene Unternehmen zunächst nur bis Ende Juni 2024 - Grund dafür sind europarechtliche Vorgaben.

Die Diakonie Katastrophenhilfe erklärt, mittlerweile nahezu alle eingegangenen Spendengelder in Höhe von 47,87 Millionen Euro ausgegeben oder verplant zu haben. 25,2 Millionen Euro seien bereits ausgegeben und 21,2 Millionen Euro für laufende und weitere Projekte eingeplant. Die "Aktion Deutschland Hilft" gab von 283 Millionen Euro Spenden bislang 184 Millionen Euro für Hilfsmaßnahmen aus. Hilfe werde noch lange nötig sein, betont das Bündnis. So beraten weiterhin mehr als 40 Fluthilfebüros über Fördermöglichkeiten und helfen bei Anträgen.

Menschen bei der seelischen Verarbeitung begleiten

Psychosoziale Angebote sind nach Einschätzung der "Aktion Deutschland Hilft" noch jahrelang vonnöten. Es gebe mehr als 35.000 Angebote, um Menschen bei der seelischen Verarbeitung zu begleiten. Auch die Kirchen sind weiter aktiv. Während vier Seelsorge- und Beratungsdienstverhältnisse mit der Evangelischen Kirche im Rheinland am 31. August enden, bieten die Gemeinden und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe vor Ort weiter Begleitung an.

Nach tagelangem Starkregen waren Mitte Juli 2021 ganze Regionen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen überflutet worden. Nach ersten Sturzfluten in Hagen in der Nacht zum 14. Juli traten im Westen Deutschlands viele Flüsse über die Ufer, besonders im Ahrtal stiegen die Pegel rasant. In Altenahr, wo die meisten Opfer zu beklagen waren, stand das Wasser über sieben Meter hoch, normal ist weniger als ein Meter.

In Rheinland-Pfalz starben mindestens 136 Menschen, ein Mensch wird noch vermisst. In Nordrhein-Westfalen gab es 49 Tote. Mehr als 800 Menschen wurden verletzt.

Aufarbeitung längst nicht abgeschlossen

Noch längst nicht abgeschlossen ist auch die Aufarbeitung von Versäumnissen, die dieses Ausmaß der Naturkatastrophe möglich machten. Untersuchungsausschüsse in den Landtagen von NRW und Rheinland-Pfalz suchen Antworten auf die Fragen nach politischer Verantwortung und dem Versagen von Warnwegen. Die damalige NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) musste frühzeitig ihren Posten räumen, ebenso in Rheinland-Pfalz der damalige Innenminister Roger Lewentz (SPD) und die frühere Umweltministerin Anne Spiegel (Grüne).

Gegen den früheren Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU), ermittelt noch immer die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung im Amt - er soll erst um 23 Uhr den Katastrophenfall ausgerufen haben, als bereits Häuser von den Wassermassen mitgerissen wurden.

Mittlerweile wurde vielerorts die Warn-Infrastruktur erweitert, der Deutsche Wetterdienst will seine Warnungen verständlicher und zielgerichteter kommunizieren. Für NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sind Katastrophen wie die im Juli 2021 "Folgen unseres Umgangs mit der Erde und ihren Ressourcen". Es liege an der jetzigen Generation, die richtigen Weichen für die Zukunft zu stellen:

"Die Hochwasserkatastrophe mahnt uns, auch zwei Jahre später noch, beim Klimaschutz schneller voranzukommen."

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