Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) hat der Inklusion an bayerischen Schulen ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Die Inklusion, wie sie aktuell stattfinde, lebe nur vom Einsatz und Idealismus der Lehrkräfte, sagte BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann am Montag in einer Pressekonferenz. Dies sei aber keine Dauerlösung.

Es fehle unter anderem an qualifiziertem Personal für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf, an guten Fortbildungsangeboten für Lehrkräfte und an Zeit. Die SPD im bayerischen Landtag warf der Staatsregierung vor, Kinder und Lehrkräfte im Stich zu lassen.

Konzept der Schulbegleitung infrage gestellt

Fleischmann stellte vor allem das Konzept der sogenannten Schulbegleitung für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf infrage. Denn diese Personen müssten aktuell nicht pädagogisch qualifiziert sein.

Es werde im Schulalltag aber niemand gebraucht, der Kinder nur auf die Toilette begleite oder in den Pausen betreue. Es brauche vielmehr zusätzlich eine speziell qualifizierte Schulassistenz mit pädagogischem Hintergrund im Klassenzimmer - und damit eine Neukonzeption der Inklusion an bayerischen Schulen.

Kind beißt, schlägt und tritt

Monika Faltermeier, Lehrerin und Inklusionsbeauftragte an einer Mittelschule, erläuterte, in welchem Spannungsfeld sich Lehrkräfte derzeit bewegten. Als Beispiel nannte sie ein Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf, das eine Einzelaufsicht benötige.

Das Kind beiße, schlage und trete - der Mobile Sonderpädagogische Dienst, der eine Diagnostik durchführen soll, sei aber überlastet und könne erst in frühestens acht Wochen auf das Kind schauen. Bis dahin betreue die Lehrerin das Kind selbst: im Unterricht wie in den Pausen.

Die Lehrerin stehe daher vor der Frage, ob sie sich um die übrigen 24 Kinder in ihrer Klasse kümmere - dann würde aber das Kind mit Förderbedarf irgendwann explodieren, sagte Faltermeier. Oder ob sie sich auf das Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf konzentriere und dabei die übrigen 24 Kinder außer Acht lasse. Beides gehe nicht. Irgendwann seien alle Beteiligten am Ende ihrer Kräfte: die Lehrerin, das Kind mit Förderbedarf und auch die übrigen Kinder im Klassenzimmer.

Umfrage unter Lehrkräften: Mehrheit fühlt sich alleingelassen

Der BLLV hatte eine Umfrage unter seinen Lehrkräften durchgeführt. Fazit: Die große Mehrheit der befragten Lehrkräfte fühle sich bei Inklusionsthemen alleingelassen, Inklusion basiere auf Selbstausbeutung, sagte Fritz Schäffer, zuständig für das Thema Inklusion im BLLV. Etwa 60 Prozent der befragten Lehrkräfte gaben an, dass sie Unterstützung aus dem Kollegium und von der Schulleitung erhielten. Unterstützung von Schulamt, Ministerium oder Regierung erhielten nur 16 Prozent.

Aus der Umfrage geht auch hervor, dass inklusive Klassen gleich groß seien wie nicht-inklusive. Ein Kind mit sonderpädagogischem Sonderbedarf müsse aber dreifach gezählt werden, fordert der BLLV. So ergäben sich dann kleinere Klassengrößen, die wichtig seien, um die Kinder gut betreuen zu können. Fast 75 Prozent der Befragten gaben außerdem an, dass Fortbildungsangebote zur Inklusion bestenfalls ausreichend seien, wenn nicht gar mangelhaft oder ungenügend.

Thema Inklusion gehört in Mitte der Gesellschaft

99 Prozent gaben an, dass der Lehrermangel eine erfolgreiche Inklusion im Schulalltag unmöglich mache. Inklusion sei ein sehr hohes, aber mit den Rahmenbedingungen des Kultusministeriums nicht realisierbares Ziel.

Das Thema "Inklusion" gehöre in die Mitte der Gesellschaft, sagte Fleischmann. Die Schulen wollten hier auch gern eine Vorbildrolle einnehmen. Eine grundsätzliche Frage sei, ob die Idee der Inklusion überhaupt in das bayerische Schulsystem passe, das geprägt sei von Aus- und Umsortieren der Kinder und Konkurrenz.

Recht der Kinder in vielen Fällen nicht eingelöst

"Das Recht der Kinder mit Förderbedarf auf Anspruch zur Unterstützung wird in vielen Fällen nicht eingelöst", kritisierte die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Margit Wild. Sie forderte erneut multiprofessionelle Teams an Schulen, eine echte pädagogische Assistenz im Klassenzimmer und eine veränderte Lehrerbildung. Denn Anspruch müsse sein, allen Kindern an allen Schulen überall in Bayern mit ihren jeweiligen Bedürfnissen gerecht zu werden und sie bestmöglich zu fördern.

An der BLLV-Umfrage nahmen rund 700 Lehrkräfte teil, 98 Prozent von ihnen unterrichteten an Grund- und Mittelschulen - also dort, wo es den meisten Förderbedarf wegen Inklusion gibt.