Pro: Habecks Rede füllt ein Vakuum in der Debatte

Mit seiner knapp zehnminütigen Rede hat Wirtschaftsminister Robert Habeck in der vergangenen Woche nicht nur mediale Aufmerksamkeit erregt. Er traf mit seinem Video, das auf den Social-Media-Kanälen zu sehen ist, offensichtlich auf ein elementares Bedürfnis: wissen zu wollen, was richtig und was falsch ist. Welche Haltung sollte zum Krieg in Nahost eingenommen werden? Die komplexe Gemengelage drohte auszuarten in einen Streit zwischen Pro-Israel oder Pro-Palästina. Viele wirkten orientierungslos. Das war die Situation, in der Habecks Video mehr als zehn Millionen Mal geklickt wurde. 

In Kurzform: Habeck hatte einordnende Worte zum Nahostkonflikt und zum grassierenden Antisemitismus in Deutschland gefunden. Er machte unmissverständlich klar, was deutsche Staatsräson ist. Dass die Sicherheit Israels nie eine Leerformel war und werden dürfe und dass dieses besondere Verhältnis zu Israel aus der historischen Verantwortung der Deutschen aufgrund des Holocaust abzuleiten ist.

Er mahnte die uneingeschränkte Solidarität mit Jüdinnen und Juden an. Der Tod und das Leid, das über die Menschen im Gazastreifen komme, sei schlimm; systematische Gewalt gegen Juden könne damit dennoch nicht legitimiert werden.

In den Kommentaren landauf, landab war ein Aufatmen zu vernehmen: Endlich hatte jemand ein politisches Vakuum in der Debatte gefüllt. Weder der Bundeskanzler noch der Bundespräsident hatten nach den Terrorakten der Hamas und dem Gegenschlag Israels richtungsweisende Worte gefunden. Welche parteipolitischen Überlegungen kann es in Fragen der Staatsräson geben?

Habeck hat diesen Reflexen nicht nachgegeben. Er hat reagiert – auch emotional. Es zeigte sich, dass selbst Politiker der Mitte sich mit einer scharfen Verurteilung von jeglicher Form des Antisemitismus schwertun, wenn nicht zugleich Israels Mitverantwortung für den Nahostkonflikt herausgestellt wird.
Dass Habecks Rede nun wieder die Kanzler- und Kandidatendebatte auslöst, ist kontraproduktiv. Die Zeit beschrieb einmal das wiederkehrende Medienmuster: Erst ist er ein eloquenter Politiker, der sich "abhebt vom Grau der Funktionäre". Dann wieder strauchelt er beim Heizungsgesetz. Nun den "Superstar Robert Habeck" auszurufen, folgt dem Muster.

Es ist doch so: Beim Überschreiten von roten Linien ist eine klare Ansage gefragt. Wer da Angst hat, etwas falsch zu machen, überlässt künftig extremistischen Positionen das Feld. (Gabriele Ingenthron)

Contra: Robert Habecks Rede impliziert viel Falsches

Ja, die Rede von Robert Habeck ist besser als alles, was Bundeskanzler Olaf Scholz bisher zum israelisch-palästinensischen Krieg und zum Antisemitismus in Deutschland gesagt hat. Aber das ist auch nicht schwer - und heißt noch lange nicht, dass sie gut ist. Denn zumindest ich kann mich an keine Äußerung des Bundeskanzlers erinnern, die in irgendeiner Weise bemerkenswert gewesen wäre. Und das gilt auch für alle anderen Themen - Zeitenwende, irgendwer? Noch heute rätseln Expert*innen, was genau er damit gemeint haben könnte.

Doch zurück zu Habecks Rede. Der Wirtschaftsminister kündigt gleich zu Beginn an, eine "verworrene" Debatte entwirren zu wollen. Doch schon nach wenigen Sätzen scheitert er an diesem Anspruch: Die Angst von Jüdinnen und Juden sei "zurück", erklärt er. Unfreundliche Erinnerung an dieser Stelle: Jüdisches Leben war in Deutschland nie sicher, weder vor dem 7. Oktober noch danach. Es ist richtig, dass die Angst nach den schrecklichen Ereignissen bei vielen zugenommen hat, aber sie war nie weg. Zu behaupten, sie sei zurückgekehrt, bedeutet genau das.

Überhaupt wird in der Rede viel unterstellt, auch viel Falsches. Folgt man Habeck, dann ist Antisemitismus ein Problem der Ränder, der Rechtsradikalen, der Linksradikalen und - der Muslime. Letztere, also die deutschen Muslime, werden in dieser Rede zu einem homogenen Block, der sich gefälligst von allem zu distanzieren hat, was ihm so unterstellt wird: Schuldig bei Verdacht. Und der im Übrigen nur dann Anspruch auf Solidarität gegen Rassismus hat, wenn er das in Habecks Augen auch laut genug getan hat. Es fällt schwer, darin nicht paternalistischen Rassismus im Gewand vermeintlicher Toleranz zu erkennen.

Um mutig oder immerhin originell zu sein, hätte Habeck zwei Dinge anbieten müssen:

  • Einen überzeugenden, konkreten Vorschlag zur Bekämpfung des Antisemitismus in Deutschland. 
  • Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus als zwei Seiten einer Medaille zusammen denken, anstatt eins gegen das andere auszuspielen.

Habecks Worte sind in erster Linie eine Selbstvergewisserung, eine Botschaft an seine Wähler*innen: Ihr seid toll, bleibt so! Die weiße, deutsche Mitte ohne Migrations-, aber mit Nazi-Hintergrund hat mit Antisemitismus nichts am Hut. Das sind die anderen. Damit steht er in einer langen deutschen Tradition. Studien belegen aber längst das Gegenteil: Antisemitismus ist in der bürgerlichen Mitte zu Hause, er fühlt sich dort sehr wohl. Ein Blick in die Kommentare zum aktuellen Prozess gegen Gil Ofarim beseitigt jeden Zweifel daran.

    Natürlich kommt die Rede gut an: Sie tut niemand weh, zumindest niemand, der davon angesprochen werden soll. Sie hinterlässt bei den klassischen Grünen-Wähler*innen und den dazugehörigen Milieus das beruhigende Gefühl, auf der sicheren Seite zu sein. Verdächtig sind nur die anderen. Was für eine schöne, neue Welt. Schade, dass sie gar nicht echt ist. (Oliver Marquart)

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