"Der Ukraine-Krieg steht als Symbol für eine Untergrabung der grundlegenden Prinzipien der internationalen, regelbasierten Ordnung."

Mit welchen Themen wird sich die Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) dieses Jahr hauptsächlich befassen?

Anja Opitz: Ein großes Thema wird der Krieg gegen die Ukraine sein. Aber mit diesem Krieg ist eine sehr wichtige Frage verbunden. Er hat uns gezeigt, dass es nicht nur um einen territorialen Anspruch geht, den Russland zu Unrecht in der Ukraine stellt, sondern um viel mehr. Dieser Krieg steht als Symbol für Revisionismus, also für eine Untergrabung der grundlegenden Prinzipien der internationalen, regelbasierten Ordnung. Diese Bruchlinie zwischen Demokratien und Autokratien oder zwischen regelbasierte Ordnung und nicht regelbasierter Ordnung steht zur Disposition. Die gesamte internationale Ordnung steht zur Disposition.
Die Sicherheitskonferenz wird sich genau diesem Thema aus verschiedenen Blickwinkeln annehmen und die große Frage stellen: Wie kann man diese internationale, regelbasierte Ordnung zunächst einmal wieder attraktiver machen und sie gegebenenfalls reformieren? Und das zweite große Thema ist die Frage, wie die Straflosigkeit von Kriegsverbrechen oder Verbrechen der Aggression in Zukunft verhindert werden kann.

Wird man darauf eine Antwort finden?

Man wird bei der MSC jetzt wahrscheinlich nicht direkt die Lösung finden, aber ich hoffe, dass man sichtbar in die Debatte um diese zwei großen Fragen einsteigt, sie realistisch diskutiert und brauchbare Ideen diskutiert, die man danach weiterentwickeln kann.

"Die MSC hat  dieses Jahr die Länder des globalen Südens ganz explizit zur Sicherheitskonferenz eingeladen   und will  mit ihnen in den Diskurs eintreten   ."

Steht man da noch ganz am Anfang, oder sehen Sie die Debatte schon auf einem guten Weg?

Die Staaten, die die Aggression Russlands gegenüber der Ukraine verurteilt haben – zu Recht, weil sie völkerrechtswidrig ist – sind sich im letzten Jahr über die Bedeutung dieser Frage bewusst geworden. Das Bewusstsein ist da, und man ist auch in die Debatte darüber eingetreten. Was ich spannend finde, ist, dass die MSC dieses Jahr die Länder des globalen Südens ganz explizit zur Sicherheitskonferenz eingeladen hat und mit ihnen in den Diskurs eintreten will.  Da hat man den Schritt gemacht zu sagen, wir können nicht nur über diese Länder sprechen, wenn es um Entwicklungshilfe geht, sondern wir müssen mit ihnen sprechen und zu brauchbaren Ideen kommen.

Anja Opitz
Dr. Anja Opitz ist Head of Section für Internationale Politik und Sicherheitspolitik an der APB Tutzing. Sie ist President und Gründungsmitglied der internationalen Global Health Security Alliance (GloHSA) sowie Gründungsmitglied der Middle East and International Affairs Research Group (MEIA Research) in München.

"Das sind Staaten, die wollen die Autokratie stärken."

Läuft das alles letztlich auf eine Konfrontation der Blöcke hinaus, wo man auf der einen Seite China und Russland hat, auf der anderen Seite den Westen, die NATO?

Diese Blöcke sind ja schon da, die sind real. Und wenn man jetzt sich den Münchner Sicherheitsreport anschaut, der ja den Titel "Re:vision" trägt, dann ist das bereits der Status Quo. Um das Beispiel Menschenrechte zu nennen: Es steht in dem Sicherheitsreport, dass diese einer der zentralen Streitpunkte sind und dass in diesem Systemwettbewerb China und Russland sowie deren engere Verbündete auf der einen Seite, einen großen Widerstand gegen die universellen Menschenrechte hegen und vor allen Dingen gegen entsprechende Maßnahmen oder Mechanismen, die dem Schutz der Menschenrechte dienen. Das sind Staaten, die wollen die Autokratie stärken und, wenn sie die Zivilbevölkerung unterdrücken, dahingehend auch wenig zu befürchten haben.

Sind wir in einem neuen Kalten Krieg?

Das nicht, aber diese Bruchlinien zwischen diesen Ideen für die Welt, also zwischen Demokratien und Autokratien, sind identifizierbar.

"Mit diesem Krieg ist der Systemwettbewerb in eine kritische Phase eingetreten."

Hat sich dieser Systemwettbewerb zugespitzt? 2007 war ja der russische Präsident Putin noch selbst bei der MSC eingeladen.

Mit diesem Krieg ist der Systemwettbewerb in eine kritische Phase eingetreten. Und darüber sind sich nicht nur die politischen Eliten einig, sondern auch die Gesellschaften. Der Munich Security Index zeigt ganz deutlich, dass auch die Gesellschaften diesen Wendepunkt für die Welt so wahrnehmen.

Warum sind diesmal keine russischen Vertreter bei der MSC eingeladen?

Es sind russische Vertreter auf der Sicherheitskonferenz, aber nicht aus der Regierung, sondern aus der Opposition. Letztes Jahr hat man den russischen Außenminister Sergej Lawrow eingeladen. Die russische Delegation ist dann nicht erschienen, wie man heute weiß, weil Russland vier Tage nach der Sicherheitskonferenz die Ukraine überfallen hat.
Dieses Jahr hat man sich bewusst dagegen entschieden. Aus dem einfachen Grund, weil man durch die diplomatischen Versuche, die ja trotzdem existieren, weiß, dass es keinen Millimeter Bewegung seitens Putins und der Regierung in Richtung Verhandlungen gibt. Insofern würde die MSC, würde sie Lawrow einladen, der russischen Regierung nur eine Plattform für ihre Propaganda liefern. So argumentiert die MSC.

"Die russische Opposition einzuladen und zu unterstützen, ist aus meiner Sicht das richtige Zeichen."

Wie bewerten Sie das?

Die russische Opposition einzuladen und zu unterstützen, ist aus meiner Sicht das richtige Zeichen und der richtige Ansatz. Ob es der Arabische Frühling, Afghanistan oder Syrien waren: Es hat sich immer gezeigt, dass man in die Zivilgesellschaft hineingehen, mit verschiedenen Gruppen diskutieren muss. Ein Land stabilisiert und demokratisiert sich nur von innen heraus.

Wird es auf der Sicherheitskonferenz auch um das Thema Klima gehen?

Es wird zwei große Bereiche geben: Die klassischen Sicherheitsbedrohungen und auch die sogenannten nicht klassischen Sicherheitsbedrohungen. Das sind Themen wie Energie, Ernährungssicherheit und Klima.

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