In fünf Stunden ist Anpfiff: Deutschland gegen Spanien. "Normalerweise geht es mit Freunden in die Kneipe", sagt eine junge Frau mit rot-schwarzem Fanschal vom Nürnberger "Club". Statt in einer Kneipe ist sie an diesem Sonntagnachmittag im Nürnberger Stadtteil Gostenhof in der Knauerstraße. Dort steht sie mit einer Gruppe von 22 weiteren Clubfans und anderen um einen Stolperstein, der zwischen den grauen Steinen auf dem Fußweg aufblitzt.
Stolpersteine statt Public Viewing
Den Stolperstein hat soeben eine Teilnehmerin poliert. Er erinnert an Adolf Stern, der 1941 von den Nazis deportiert und ermordet wurde. Die Stolpersteine werden deutschlandweit vom Künstler Gunter Demnig verlegt. "Sie sollen den Opfern des Holocaust, die in den Konzentrationslagern zu Nummern degradiert wurden, ihre Namen zurückgeben", erklärt Norman Pirhan von der Nürnberger "Nordkurve".
Der Nürnberger Fanclub "Faszination Nordkurve” hat sich bereits im Sommer dieses Jahres mit Nürnberger Gastronomen und Brauereien zusammengeschlossen, um die WM in Katar zu boykottieren. Aber die WM solle nicht nur boykottiert, vielmehr solle ein Gegenangebot geschaffen werden, um die Leute dazu zu bringen, die WM nicht anzuschauen, war man sich einig.
Nicht mit dem Zeigefinger
Zum Alternativprogramm gehören offene Sportangebote, Kinovorführungen oder eben der Stolpersteine-Rundgang. Man wolle den WM-Fans nicht Zeigefinger hebend den Boykott der WM vorschreiben, erklärt Pirhan.
"Wir würden uns schon sehr darüber freuen, wenn die Leute, die sich das Turnier dann wirklich anschauen, einfach mal kurz darüber nachdenken: Was läuft falsch an der Vergabe, der Kommerzialisierung, der FIFA. Was ist zu kritisieren?”
Aktionen wie das Programm in Nürnberg finden deutschlandweit unter dem Label "#BoycottQatar2022" statt. In München rief das Bündnis "Kultur statt Katar” Gastronomen dazu auf, in ihren Kneipen Konzerte anstelle der WM-Spiele aufzuführen. Viele Kneipen hätten sich bisher angeschlossen, berichten Münchner Medien.
In Nürnberg läuft die Gruppe um Norman Pirhan etwa anderthalb Stunden von Stein zu Stein. Alle zwölf Stolpersteine werden im Laufe der Tour von Teilnehmenden poliert. Auf dem Weg kommen sie auch an Kneipen vorbei, durch deren Fenster sich auf Fernsehbildschirmen das Grün des Stadionrasens erspähen lässt.
Das Bier zum Boykott
Auch für die Verweigerer des Spiels Deutschland-Spanien geht es pünktlich zum Anpfiff noch in die Kneipe. Freibier wird am Café Wanderer in der Altstadt ausgeschenkt. Boris Braun vom Nürnberger "Bieramt" begrüßt die Gäste und lädt zu einem speziellen Boykottbier ein.
"Unser Anliegen ist auch, dass jetzt nicht die große Stunde der Fußballhasser kommt, sondern zu zeigen, dass auch Fußballfans diese WM ablehnen", sagt Braun. "Das ist das wichtigste Zeichen." Die Einschaltquoten sollen runtergehen, und das passiere schließlich nur, wenn die tatsächlichen Fans nicht den Fernseher anschalten.
"Wir wollen nach Möglichkeit viele Leute, die es sich vielleicht anschauen würden, wenn der November immer grauer wird, vom Fernseher weghalten und Alternativen anbieten."
Bei diesem Clubfan ist das gelungen: Katar sei nur die Spitze des Eisbergs, sagt der junge Mann, der sich gerade ein Boykottbier an der Theke holt. Auch bei der WM 2018 in Russland sei dort die Menschenrechtssituation ja nicht die beste gewesen, fügt er hinzu.