Die Expertin für Gerontopsychiatrie, Johanna Büsch, rät dazu, demenzkranke Menschen von Fernsehbildern vom Krieg in der Ukraine abzuschirmen. Diese Bilder könnten sie in Panik oder Unruhe versetzen, sagte Büsch in einem Gespräch mit dem Sonntagsblatt.

Büsch, die bis zu ihrem Ruhestand im Stephanushaus der Rummelsberger Diakonie gearbeitet hat, spricht bei einem Fachtag "Demenz und Sterben" am Freitag (25. November) in Nürnberg zum Thema "Hilfe - die Soldaten kommen". Dabei soll es um den Umgang mit Kriegstraumata um den Schwerpunkt "Kriegstraumata von Menschen mit Demenz" gehen.

Möglichst früh über Erinnerungen sprechen

Die Referentin für psycho-biografische Pflegeforschung plädiert dafür, dass sich die Beschäftigten in der Pflege mit Biografiearbeit und der jüngeren Geschichte auseinandersetzen.

"Vor 15 Jahren haben wir noch Menschen betreut, die die Kaiserzeit und den Ersten Weltkrieg erlebt hatten, inzwischen sind Menschen in der Pflege, die Flucht, aber auch in der DDR Bespitzelung erlebt haben".

Sie fordert Pflegerinnen und Pfleger auf, möglichst noch im Anfangsstadium der Demenzerkrankung, mit Bewohnerinnen und Bewohnern über ihre Erinnerungen zu sprechen. Das Argument, "die können nicht mehr erzählen", stimme oft nicht, aber "wenn ich etwas über diese Menschen weiß, kann ich sie besser schützen", sagt sie.

"Menschen, die unter Demenz leiden, werden zum Spielball ihrer verdrängten Erinnerungen",

erklärt Büsch. Während ihr kognitives Gedächtnis immer mehr nachlasse, bleibe ihnen das "Leib-Gedächtnis" erhalten. So komme etwa bei einer vor Jahrzehnten vergewaltigten Frau durch Schrittgeräusche das Gefühl des Ausgeliefertseins wieder hoch, welches sie dann nicht mehr steuern könne.

Gerade die Generation, die für die Kriegsverbrechen der Deutschen verantwortlich gemacht wurde, habe ihre schlimmen Erlebnisse mit Strategien gedeckelt, die nun im Alter nicht mehr funktionierten. Wenn die kognitiven Fähigkeiten nachließen, könnten traumatische Erlebnisse aus dem Krieg leichter wieder an die Oberfläche steigen. Das müsse aber nicht gleich die Diagnose Demenz bedeuten.

An Vernunft appellieren hilft nicht

Nicht nur Sirenengeheul, auch Gerüche, Schritte, Schreie anderer Bewohner oder der osteuropäische Akzent einer Pflegerin könnten Auslöser für ein Sich-Zurückziehen, starke Unruhe oder Panikattacken sein. Es helfe der Betroffenen dann nicht, wenn ihre Aufregung bagatellisiert oder an ihre Vernunft appelliert werde. Das Pflegepersonal müsse sensibel auf solche "Trigger" achten und vielleicht auch den Dienstplan danach ausrichten, sagt die frühere gerontopsychiatrische Fachkraft.

"Bis heute werden die psychosozialen Folgen der Kriegserfahrungen von Fachleuten wenig wahrgenommen",

stellt Büsch fest. Inzwischen komme das Thema aber in den Altenpflegeschulen an.