Jonathan, genannt "Joni", der ältere Bruder von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, genannt "Bibi", ist schon lange tot. Joni starb 1976 in Entebbe. Als Kommandeur der israelischen Spezialeinheit Sajeret Matkal führte er die Befreiung der zum größten Teil israelischen Geiseln aus der Hand deutscher und palästinensischer Terroristen – und wurde dabei getötet.

Im aufgewühlten Israel dieser Tage sagen viele: "Joni opferte sein Leben für Israel, Bibi opfert Israel für seine eigenen Interessen."

Der von Korruptionsprozessen bedrohte Netanjahu will mit einer Justizreform durchsetzen, dass das Parlament künftig mit Regierungsmehrheit Entscheidungen des Obersten Gerichts überstimmen kann, was faktisch die Abschaffung der Gewaltenteilung bedeutet. Andererseits sehen auch viele Netanjahu-Gegner Reformbedarf im Justizwesen und bei der Macht des Obersten Gerichts, die weit über beispielsweise die des Bundesverfassungsgerichts hinausgeht – schon allein deswegen, weil Israel keine geschriebene Verfassung besitzt.

Gesetzgebungsverfahrens wurde vorerst gestoppt

Im Angesicht der immer breiteren und extremeren Proteste im Land hat Netanjahu nun einen vorübergehenden Stopp des Gesetzgebungsverfahrens verkündet. Auch in seiner Likud-Partei und selbst in seiner eigenen Regierung werden die Stimmen lauter, die vor einer weiteren Schwächung des Landes, vor Bürgerkrieg warnen.

Wie in vielen westlichen Nationen stehen sich die Lager von "Rechten" einerseits und "Linken" oder "Liberalen" andererseits auch in Israel wie feindliche Stämme immer unversöhnlicher gegenüber. Doch wie andernorts auch trägt das alte Rechts-Links-Schema der Politik auch in Israel immer weniger zum Verständnis bei. Hinter der tiefen Spaltung Israels verbirgt sich nicht zuletzt eine demografische Entwicklung. Wenn Israelis von einem Machtkampf zwischen dem "Staat Tel Aviv" und dem Rest des Landes sprechen, ist das einerseits wie in Frankreich, den USA oder hierzulande ein Kulturkampf zwischen den urbanen "Zentren" (grün, links, woke) und der deutlich anders tickenden "Peripherie".

Machtkampf zwischen alter Elite und dem "zweiten Israel"

Doch in Israel tobt auch ein Machtkampf zwischen der alten zionistischen und eher säkularen Elite der Aschkenasim und dem "zweiten Israel" der Mizrachim, den Nachfahren der 800 000 Juden, die seit 1948 aus den arabischen Staaten und dem Iran vertrieben wurden. In Israel mussten sie sich wirtschaftlich und sozial hinten anstellen, doch inzwischen bilden sie die Bevölkerungsmehrheit. Und sie wollen ein "jüdischeres" Israel.

Ihr Gefühl des Zukurzgekommenseins bespielt der Populist Netanjahu seit jeher, obwohl er wie viele Likud-Führer selbst von "aschkenasischem Adel" ist. Doch den Kampf ums Oberste Gericht verstehen viele der neuen mizrachischen Mehrheit als Rache an der alten Elite, als Kampf darum, eine entscheidende aschkenasische Machtbastion zu schleifen.

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