Diane Bertram ist fassungslos. Ihre Tochter Susanne (beide Namen geändert) hat sich mit 26 Jahren das Leben genommen. "Vor zwei Monaten starb sie", sagt Diane Bertram. Die Frage nach dem Warum lässt sie nicht mehr los. Auf eine Antwort stößt die Mutter aus Unterfranken immer wieder: "Der Druck, der heute auf jungen Menschen lastet, ist irrsinnig groß."

Diane Bertram kann nicht sagen, wann bei Susanne vermutlich die Entscheidung fiel, sich das Leben zu nehmen. Konkrete Andeutungen habe es nicht gegeben:

"Sie hatte nur öfter gesagt, dass es ihr schlecht geht."

Nach dem Suizid fand die Mutter Aufzeichnungen: "Aus denen geht hervor, dass sie wohl einen psychologischen Test gemacht hat. Diesem Test zufolge soll sie schwer depressiv gewesen sein." Sie selbst hätte niemals eine schwere Depression bei Susanne vermutet. "Ich wusste nur, dass sie an ihrer Masterarbeit saß und davon mitunter ziemlich überfordert war", berichtet ihre Mutter.

Susanne habe sich unter massivem Leistungsdruck gefühlt, sie habe aber auch unter den Corona-Maßnahmen gelitten. So habe Susanne immer wieder geäußert, wie schlimm es für sie sei, dass sie ihre Freundschaften nicht mehr pflegen könne: "Sie hat sich isoliert gefühlt." Auch die Zukunft habe ihr große Angst eingeflößt:

"Ich denke, dass sie, die eine Weltverbesserin war, an ihren eigenen Ansprüchen gescheitert ist."

Inzwischen zweifelt Diane Bertram an der Richtigkeit der Corona-Politik. Die Corona-Maßnahmen richteten gewaltige Schäden an, meint sie. Das habe sie in den vergangenen zwei Monaten nach Susannes Tod in vielen persönlichen Gesprächen erfahren: "So viele Leute in meinem Umfeld nehmen gerade Antidepressiva ein. Das ist erschreckend."

Sehr große Angst könne Menschen psychisch sehr stark in Mitleidenschaft ziehen. Bis dahin, dass bei ihnen suizidale Gedanken aufkommen, sagt Waltraud Stubenhofer, Leiterin der Fachstelle Suizidberatung in Würzburg. Viele junge Menschen hätten äußerst belastende Zukunftsängste. Etwa jeder fünfte Klient, der wegen Suizidgedanken in ihre Einrichtung komme und Hilfe suche, sei unter 30 Jahren.

Ob es in der Corona-Krise zu mehr Suiziden kam, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.

Die aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes stammen aus dem Jahr 2020. Danach starben im ersten Corona-Jahr 9.206 Menschen durch Suizid. 2019 wurden 9.041 Suizide statistisch erfasst.

Ein sehr großer Teil der Menschen, die sich das Leben nehmen, haben laut Experten eine Veranlagung zur Depression. So sind nach Angaben der Deutschen Stiftung Depressionshilfe etwa 90 Prozent der Männer und Frauen, die sich selbst töten, psychiatrisch erkrankt. Am häufigsten lägen unzureichend behandelte Depressionen vor.

Diese Menschen wiederum litten besonders stark unter Corona-Maßnahmen, wie Untersuchungen der Stiftung zeigten. "Im 'Deutschland Barometer Depression' berichteten im September 2021 mehr als 70 Prozent der Befragten, die sich in einer depressiven Krankheitsphase befanden, dass sich ihre Erkrankung in den letzten sechs Monaten durch die Maßnahmen gegen Corona deutlich verschlechtert habe", sagte Ulrich Hegerl, Vorstand der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, dem Evangelischen Pressedienst epd. Unter diesen seelisch Kranken wiederum hätten 29 Prozent Suizidgedanken entwickelt.

"Rechnet man die Daten hoch, kommt man auf mindestens zwei Millionen Menschen, bei denen sich die schwere Erkrankung Depression durch die Maßnahmen gegen Corona verschlechtert hat", sagt der Frankfurter Psychiater.

Hegerl fordert deshalb, unerwünschte Effekte der Corona-Maßnahmen systematisch und kontinuierlich zu erfassen. "Das ist eine absolute Pflicht, wobei meine Sorge ist, dass das Interesse der Politiker daran gering ist."

Hilfe bei Suizidgedanken

Ihr denkt an Suizid, macht euch um jemanden Sorgen oder habt einen Menschen aufgrund eines Suizidtodesfalls verloren? Hier findet ihr Erste-Hilfe-Tipps und Notfallkontakte sowie weiterführende Informationen zur Bewältigung dieser Notsituation

Zögert bitte nicht, bei der Telefonseelsorge anzurufen:

Evangelisch: 0800 1110111 (24 Stunden erreichbar, 7 Tage die Woche)

Katholisch:  0800 111 0 222 (24 Stunden erreichbar, 7 Tage die Woche)

Gemeinsam: 116 123

Nummer gegen Kummer für Kinder und Jugendliche: 116 111 (Montag bis Samstag 14 - 20 Uhr)
Nummer gegen Kummer für Eltern: 0800 - 111 0 550 (Montag bis Freitag 9 – 17 Uhr, Dienstag und Donnerstag bis 19 Uhr)