Drei Monate nach Beginn seiner Offensive gegen die Hamas im Gazastreifen hat Israel seine Kriegsziele noch nicht erreicht. Noch immer befinden sich die israelischen Geiseln in den Händen der Terroristen, noch immer fliegen aus Gaza Raketen auf israelische Dörfer.
Und der Preis der Militäraktion ist hoch. Politisch hat Israel den Konflikt bereits verloren. Der Plan der Hamas ist aufgegangen, Israel durch brutalsten Terror in einen Krieg hineinzuziehen. Große Teile von Gaza-Stadt sind zerstört, Tausende in den Trümmern gestorben, Hunderttausende geflüchtet innerhalb eines Gebiets, wo es keine wirkliche Sicherheit gibt. Die Hamas versteckt sich hinter Zivilisten, hat ihre Waffenlager und Kommandozentralen unter Krankenhäusern, Schulen und Moscheen eingerichtet. Es lag im Kalkül der Hamas, durch einen israelischen Gegenschlag möglichst hohe Opferzahlen unter der Bevölkerung zu provozieren.
Anklage wegen "Genozids an den Palästinensern"
Nicht die Hamas, sondern Israel steht nun am Pranger der Weltöffentlichkeit, angeklagt vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen "Genozids an den Palästinensern". Ein schwerwiegender Vorwurf. Wird das Gericht akzeptieren, dass Israel sein Recht auf Selbstverteidigung wahrnimmt? Wird das Gericht anerkennen, dass Israel die Zivilisten in Gaza vor seinem Gegenschlag mehrfach gewarnt, zum Verlassen des Kampfgebiets aufgefordert und über sichere Korridore evakuiert hat? Da Israel bei internationalen Gremien traditionell einen schweren Stand hat, ist das Verfahren offen.
Sicher ist, dass die islamistische Hamas nach dem Gazakrieg nicht mehr die Rolle spielen wird wie vor ihrem terroristischen Angriff auf Israel am 7. Oktober. Doch ebenso sicher ist, dass der Nahostkonflikt militärisch nicht zu lösen ist. Wie kann es also nach dem Krieg weitergehen?
Darüber herrscht angesichts der verfahrenen Situation weitgehend Ratlosigkeit. Trotzdem – oder gerade deswegen – ist die Zweistaatenlösung wieder in aller Munde. Die einen fordern sie reflexhaft als Allheilmittel gegen die Dauerkrise, die anderen erklären sie für tot.
Die Zweistaatenlösung
US-Präsident Joe Biden bringt bei jeder Gelegenheit die Zweistaatenlösung ins Spiel. Doch an der Vision eines unabhängigen palästinensischen Staats, der friedlich Seite an Seite mit Israel existiert, sind bisher alle seine Amtsvorgänger gescheitert. Die Bundesregierung setzt ebenfalls auf das Modell.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock forderte bei ihrem Besuch vergangene Woche im Krisengebiet, nun doch endlich, endlich die Zweistaatenlösung umzusetzen.
Auch bei den Kirchen steht die Zweistaatenlösung hoch im Kurs. Der Vorsitzende des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK), Heinrich Bedford-Strohm, mahnt sie unablässig an, auch der bayerische Landesbischof Christian Kopp hat sie in den vergangenen Monaten immer wieder gefordert.
Welche Alternativen gibt es?
Doch wie realistisch ist deren Umsetzung? Und was ist mit den Alternativen, der Ein-Staat-Lösung und der Drei-Staaten-Lösung? Oder braucht es eine ganz andere Lösung?
Für eine Zweistaatenlösung – ein unabhängiger Staat Palästina neben dem Staat Israel westlich des Flusses Jordan – gab es gleich mehrere Anläufe. Seit 1991 scheiterten damit jedoch alle Verhandlungsrunden in unterschiedlicher Besetzung von UN, USA, EU, Sowjetunion und arabischen Staaten.
Der Misserfolg hat eine mehr als hundertjährige Vorgeschichte. Sie beginnt mit dem Zerfall des Osmanischen Reichs nach dem Ersten Weltkrieg. Dessen arabische Provinzen wurden zwischen Großbritannien und Frankreich aufgeteilt. Nach einem Beschluss des Völkerbunds sollte in einem Fünftel des britischen Gebiets "eine nationale Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina" eingerichtet werden – das spätere Israel. Die anderen vier Fünftel – das also wesentlich größere Gebiet östlich des Jordans – wurden 1923 den nach Unabhängigkeit strebenden muslimischen Arabern zugesprochen. Aus dem Gebilde Transjordanien entstand später das Königreich Jordanien.
Damit wäre im Prinzip die Zweistaatenlösung realisierbar gewesen – nur dass es jetzt zwar einen Palästinenserstaat gab, aber kein Israel, keine Heimstatt für die Juden. Westlich des Jordans existierte nun das britische Mandatsgebiet Palästina. Dort lebten seit biblischen Zeiten Juden, weitere kamen dazu, getragen von der Idee des Zionismus und kauften von den Arabern Land.
Gleichzeitig versuchten in dem Gebiet arabische Nationalisten, ein unabhängiges Großarabien zu schaffen – unterstützt von Islamisten. Die jüdische Bevölkerung geriet dort immer mehr zwischen die Fronten, ein eigener Staat rückte immer weiter in die Ferne.
Ein judenfreier Staat vom Fluss bis zum Meer
Im April 1920 griffen Araber – unter Mithilfe der arabischen Polizei – in Jerusalem erstmals Juden an, plünderten jüdische Geschäfte, töteten und verletzten jüdische Anwohner. Das britische Militär griff nicht ein. Im Mai 1921 wurden bei arabischen Ausschreitungen 43 Juden in Jaffa ermordet. Aber auch auf arabischer Seite gab es 48 Tote. Einen Höhepunkt erreichten die Judenpogrome mit dem arabischen Aufstand von 1936 – eine Reaktion auf die zunehmende Einwanderung von europäischen Juden infolge der Verfolgung unter dem Nationalsozialismus.
Um die Lage zu entschärfen, legten die Briten einen weiteren Teilungsplan vor. Ein Großteil Palästinas sollte den Arabern, der kleinere Teil mit den meisten jüdischen Siedlungen den Juden zugeteilt werden.
Vertreter der jüdischen Bevölkerung stimmten dem Plan zu, um so viele verfolgte Juden wie möglich retten zu können. Der mit den Nationalsozialisten verbündete Großmufti von Jerusalem, Mohammed Amin al-Husseini, lehnte 1937 den Plan ab und verlangte, ganz Palästina zu einem arabischen Staat zu machen – judenfrei, "from the river to the sea". Er erklärte mit einer Fatwa das gesamte britische Mandatsgebiet zum Eigentum der Muslime, Gegner dieser Position ließ er ermorden. Die arabischen Nationen rief er dazu auf, ihre Länder von Juden zu befreien. Die zweite Chance für eine Zweistaatenlösung war an islamistischem Hass gegen Juden gescheitert.
Arafat brachte alle Vorstöße zu einer Zweistaatenlösung zum Scheitern
Nach dem Krieg half Husseini im Exil in Kairo einem Verwandten bei seinem Aufstieg zum Palästinenserführer: Yassir Arafat. Ob als Terrorist oder später als Staatsmann und Friedensnobelpreisträger – Arafat brachte alle Vorstöße zu einer Zweistaatenlösung zum Scheitern. Er bemerkte rasch, dass sich aus dem Opferstatus des palästinensischen Volks (das er im Übrigen erfand) politisches und finanzielles Kapital schlagen lässt. Er sollte nicht der letzte Palästinenserführer bleiben, der seinem Volk am Tropf internationaler Alimente die Entwicklung verweigerte.
Die dritte große Chance für die Zweistaatenlösung ergab sich nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem UN-Teilungsplan von 1947. Vom verbliebenen Fünftel des britischen Mandatsgebiets sollten jetzt nur noch rund 56 Prozent der Fläche – davon zwei Drittel unfruchtbare Wüste – der jüdischen Bevölkerung zugesprochen werden. 1920 war noch vom ganzen Gebiet die Rede gewesen. Dennoch akzeptierte die Jewish Agency, eine Art Vorgängerregierung des Staats Israel, den Teilungsplan der Vereinten Nationen. Die Araber lehnten wieder ab. Sie verlangten das ganze Gebiet für sich.
Nur einen Tag nach der Unabhängigkeitserklärung wurde Israel am 15. Mai 1948 von fünf benachbarten arabischen Staatten angegriffen. Nach anfänglichen Niederlagen konnten die jüdischen Kämpfer – darunter viele Überlebende des Holocaust – einen Teil der den Palästinensern im Teilungsplan zugewiesenen Gebiete erobern.
Der Kampf um die Unabhängigkeit hatte allerdings seinen Preis. Infolge des Kriegs wurden rund 750 000 muslimische Araber zu Flüchtlingen. Aber auch über 600 000 Juden mussten nach Pogromen und staatlichen Repressionen die arabischen Staaten verlassen, die Israel angegriffen hatten. Als Minderheit hatten sie dort seit fast zwei Jahrtausenden gelebt und waren Teil der reichen kulturellen Geschichte dieser Länder.
Bei den arabischen Flüchtlingen sind bis heute die Fluchtursachen umstritten. Ein Teil der Bevölkerung floh aus Angst vor den Kampfhandlungen, ein Teil wurde wohl von jüdischen Soldaten aus ihren Dörfern vertrieben. Erwiesen ist inzwischen auch, dass arabische Zivilisten von arabischen Truppen zum Verlassen ihrer Häuser aufgefordert wurden, um im Kampfgebiet härter gegen die verbleibende jüdische Bevölkerung vorgehen zu können. Sie begaben sich über die Grenze in den Libanon, nach Jordanien, nach Ägypten oder in die arabisch besiedelten Gebiete im Gazastreifen und im Westjordanland. Weil die arabischen Staaten ihnen die Integration verweigerten, wurden sie als Staatenlose in Flüchtlingslagern untergebracht, wo viele ihrer Nachkommen bis heute unter menschenunwürdigen Bedingungen leben. Die Hoffnung auf Rückkehr symbolisieren die alten Schlüssel ihrer Häuser, die von Generation zu Generation weitergegeben werden.
Die Palästinenser reklamieren ein Rückkehrrecht für 5,9 Millionen Nachkommen der Palästinenser
Das Rückkehrrecht der Nachkommen dieser Flüchtlinge war bei jeder Verhandlungsrunde über die Zweistaatenlösung ein Streitpunkt. Heute sind 5,9 Millionen Palästinenser beim UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge registriert. Das Rückkehrrecht von über die Jahre 850 000 vertriebenen Juden aus den arabischen Staaten war dagegen nie ein Thema.
Infolge der UN-Resolution 194 vom 11. Dezember 1948 erklärte Israel sich bereit, 200 000 bis 300 000 Flüchtlinge zurückzunehmen. Dies lehnten die arabischen Staaten ab. Was damals noch möglich gewesen wäre, ist heute für Israel unmöglich. Die Palästinenser reklamieren ein Rückkehrrecht für 5,9 Millionen Nachkommen der Palästinenser. Eine Integration in das demokratische Staatssystem mit allen Rechten würde die jüdische Bevölkerung zur Minderheit werden lassen, Israel als Heimstatt der Juden wäre mit den nächsten Knesset-Wahlen am Ende.
Die Frage ist auch, ob ein Flüchtlingsstatus über mehrere Generationen vererbbar ist, vor allem nach einem verlorenen Angriffskrieg. Vergleichbar wäre, wenn die Urenkel von vertriebenen Schlesiern den heute in Polen liegenden Gutshof der Familie zurückfordern würden – samt doppelter Staatsbürgerschaft mit allen Rechten.
Gleichwohl hat Israel immer wieder den Palästinensern Land angeboten, um im Gegenzug Frieden und Sicherheit zu bekommen. Nach der Unterzeichnung des israelisch-ägyptischen Friedensvertrags 1979 gab Israel die seit dem Sechstagekrieg 1967 besetzte Sinaihalbinsel an Ägypten zurück. 2005 räumte Israel den besetzten Gazastreifen. Den jüdischen Bewohnern der 21 im Gazastreifen befindlichen israelischen Siedlungen wurde eine Frist von 48 Stunden gegeben, das Gebiet zu verlassen. Wer nicht gehen wollte, wurde vom israelischen Militär zwangsweise entfernt.
Gaza steht für das Scheitern der Zweistaatenlösung
Verschiedene arabische und islamistische Gruppen versuchten danach, in blutigen Kämpfen die Vorherrschaft über das Gebiet zu erlangen. Am Ende siegte die Hamas – zunächst in einer Wahl – und verwandelte Gaza in einen Terrorstaat, der nur ein Ziel hatte: die Auslöschung Israels. Dafür hatten die Islamisten einen großen Rückhalt in der Bevölkerung. Das Massaker am 7. Oktober gegen unschuldige Israelis wurde von der Bevölkerung Gazas in den Straßen gefeiert, die israelischen Geiseln gequält und gedemütigt.
Das unabhängige Gaza, das mit Milliarden Dollar von der Weltgemeinschaft und der EU die großartige Chance zur Entwicklung gehabt hätte – es steht nun für das Scheitern der Zweistaatenlösung. Der 7. Oktober hat gezeigt, dass nicht automatisch Frieden einkehrt, wenn man den Palästinensern einen eigenen Staat gibt. Im Gegenteil: Palästinensische Autonomie bereitet wegen der Dominanz radikaler Gruppen dem Terror den Weg. Das zweite Problem palästinensischer Selbstverwaltung ist die Korruption. Die westlichen Milliardenhilfen an die Autonomiebehörde im Westjordanland versickern in undurchsichtigen Clanstrukturen oder werden in Märtyrerrenten investiert. Es scheint, als ob die palästinensischen Politiker ihrem Volk jede Entwicklung verweigern, solange sie aus der Opferrolle der Palästinenser weiter Kapital schlagen können.
Die Zweistaatenlösung als geplatzte Lebenslüge westlicher Politiker
In der Region gibt es derzeit folglich niemand, der für die Zweistaatenlösung eintritt. Mit wem könnte sie auch ausgehandelt werden? Mit dem schwer angeschlagenen israelischen Premier Benjamin Netanjahu, dessen Zustimmungswerte in Israel nach dem Hamas-Massaker im freien Fall sind? Mit dem 88-jährigen Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas, der sich seit fünfzehn Jahren Wahlen verweigert und in seinem Volk inzwischen ohne Rückhalt ist? Gäbe es die Hamas nach dem Krieg noch, hätte sie an Verhandlungen mit Sicherheit genauso wenig Interesse wie der Islamische Dschihad oder die Volksfront für die Befreiung Palästinas.
Blickt man auf die Realität, entlarvt sich die Zweistaatenlösung als diplomatisches Feigenblatt und geplatzte Lebenslüge westlicher Politiker. Der israelische Historiker und Journalist Tom Segev brachte seine Skepsis im ZDF heute Journal zum Ausdruck: "Die Zweistaatenlösung sehe ich auch nicht kommen. Ich glaube, das ist eine diplomatische Fiktion, die alle Länder sich angeeignet haben, um irgendwie die Hoffnung für Frieden zu erhalten."
Dabei gab es in jüngerer Zeit durchaus hoffnungsvolle Ansätze für eine Zweistaatenlösung. Im Jahr 2006 wollte der damalige israelische Ministerpräsident Ehud Olmert das Problem des Flickenteppichs im Westjordanland lösen und die beiderseitigen Gebiete durch Landaustausch konsolidieren. Mit seinen völkerrechtswidrigen Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten hatten sich die Israelis die Zweistaatenlösung regelrecht verbaut. Die inzwischen rund 700 000 illegalen Siedler im Westjordanland können nicht so einfach abgezogen werden, wie es bei der Übergabe des Gazastreifens geschehen ist.
Nach Olmerts Plan sollten die drei größten israelischen Siedlungsgebiete an Israel angeschlossen werden, insgesamt etwa zehn Prozent des Westjordanlands. Mehrheitlich arabisch besiedelte Gebiete aus dem israelischen Kernland sollten dafür dem palästinensischen Staat zugeschlagen werden, immerhin mehr als sechs Prozent des israelischen Staatsgebiets.
Der rechtskonservative Politiker verfolgte damit zwei Ziele: Israel sollte auf palästinensisch bewohntes Land verzichten, damit im verbleibenden Gebiet eine stabile jüdische Mehrheit und damit auch die Weiterexistenz des jüdischen Staats gesichert ist. Zweitens erhoffte er sich mehr Sicherheit für Israel, wenn die Palästinenser ihren eigenen Staat bekommen würden.
Olmert hatte Lösungen für den Gazastreifen und die Rückkehr der Flüchtlinge
Der mutige Olmert ging weiter als alle seine Vorgänger, er nahm sogar das heißeste Eisen im Nahostkonflikt in die Hand: Ost-Jerusalem, das völkerrechtlich zu den palästinensischen Gebieten gehört, wollte er unter palästinensische Souveränität stellen lassen. Der arabische Traum von der heiligen Hauptstadt Al-Quds hätte Wirklichkeit werden können.
Olmert dachte an alles, er hatte auch Lösungen für den Gazastreifen und die Rückkehr der Flüchtlinge parat. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas lehnte den Plan trotzdem als "gänzlich unakzeptabel" ab.
Die Begründung hat Olmert nie erfahren. Vermutlich, weil die Palästinenser weiter von der Maximallösung träumten, einem judenfreien Palästina – vom Meer bis zum Jordan.
Einen ähnlichen Versuch der Zweistaatenlösung auf der Grundlage eines Landaustauschs wagte 2020 der amerikanische Präsident Donald Trump. Jerusalem sollte allerdings die ungeteilte Hauptstadt Israels bleiben, während das früher zu Jerusalem gehörende Abu Dis die Hauptstadt Palästinas werden sollte. Yassir Arafat hatte dort einmal sein Büro mit Blick auf den Tempelberg gehabt. Eine Autobahn sollte das Westjordanland mit dem Gazastreifen verbinden, die Palästinenser sollten Zugang zu israelischen Häfen bekommen und Industriegebiete ansiedeln.
Trump und sein federführender Schwiegersohn Jared Kushner dachten auch über die künftige Struktur des Gemeinwesens nach: Der palästinensische Staat sollte einer liberalen Ordnung folgen, also transparent sein, eine unabhängige Justiz, Menschenrechte, Religions- und Pressefreiheit sowie ein demokratisches System gewährleisten. Gleichzeitig sollten die Korruption bekämpft, antisemitische Passagen in Schulbüchern entfernt und die Zahlung von Renten an palästinensische Terroristen und deren Angehörige eingestellt werden.
Auch in Israel überwiegen inzwischen die Vorbehalte gegen eine Zweistaatenlösung
Der Plan wurde im Westen niedergemacht, aber von den Arabern kamen positive Signale: Saudi-Arabien bat die Palästinenser, auf dieser Basis zu verhandeln, Ägypten wertete ihn als Beitrag zu Stabilität und Sicherheit. Kurios: Betroffene israelische Araber protestierten gegen den Plan, weil sie künftig nicht in einem palästinensischen Staat leben wollen.
Auch in Israel überwiegen inzwischen die Vorbehalte gegen eine Zweistaatenlösung. Ein Rückzug aus dem Westjordanland berge die Gefahr, dass daraus ein zweites Gaza wird, ein weiterer Terrorstaat, der sich gegen das Land richtet, wird befürchtet. Tatsächlich hat sich das Rezept "Land für Frieden" für Israel als verheerend erwiesen. Der jüdische Staat wird praktisch aus allen Gebieten, die Israel jemals abgetreten hat, durch Raketen bedroht oder regelmäßig beschossen.
Erschwerend hinzu kommt der Aufstieg von Vertretern der radikalen Siedler in die israelische Regierung. Der israelische Finanzminister Bezalel Smotrich und der ultrarechte Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir betrachten das Westjordanland als Kernland Israels – Judäa und Samaria. Sie sehen es als Gottes Auftrag, dieses biblische Gebiet jüdisch zu besiedeln. Von ihnen stammt auch die Idee, dass der Gazastreifen nach der Ausschaltung der Hamas wieder von jüdischen Israelis eingenommen werden sollte. Die dort lebenden Palästinenser wollten sie in benachbarte arabische Staaten vertreiben.
Israels Premier Benjamin Netanjahu hat diese Provokationen seiner Minister vergangene Woche zurückgewiesen. In einem Statement auf X (vormals Twitter) erklärte er zudem, dass man "Hamas-Terroristen, nicht die palästinensische Bevölkerung" bekämpfe.
Als Kriegsziel nannte der israelische Premier "die Hamas-Terroristen aus Gaza zu entfernen und unsere Geiseln zu befreien". Wenn dies erreicht sei, könne Gaza entmilitarisiert und entradikalisiert werden. So werde die Möglichkeit "für eine bessere Zukunft für Israel und Palästinenser geschaffen". Die Zweistaatenlösung meint er damit wohl sicher nicht.
Die Vision eines gemeinsamen Staatesvon Juden und Arabern
Fazit: Die Zweistaatenlösung hat großes Potenzial, ist aber aktuell nicht realisierbar. Was versprechen die Ein-Staat-Lösung und die Drei-Staaten-Lösung?
Die Ein-Staat-Lösung "Palesrael" oder "Isratin" ist vor allem bei US-amerikanischen Intellektuellen und linken israelischen Journalisten beliebt. Es ist die Vision eines gemeinsamen Staats von Juden und Arabern mit gleichen Rechten für alle. Der palästinensisch-amerikanische Intellektuelle Edward Said, nahöstlicher Projektpartner von Daniel Barenboim, stellte fest: "Der klassische Zionismus hat keine Lösung für die Existenz der Palästinenser gefunden. Deshalb sehe ich keine andere Möglichkeit, als anzufangen, davon zu sprechen, das Land, das uns zusammengebracht hat, gemeinsam zu nutzen, in einer wahrhaft demokratischen Weise, mit denselben Rechten für alle Bürger."
Auch unter rechtsgerichteten israelischen Politikern hat die Idee eines binationalen Staats Befürworter – allerdings unter anderen Vorzeichen: Israel annektiert das Westjordanland und gibt den dort lebenden Palästinensern die vollen staatsbürgerlichen Rechte. Das Wahlrecht und drohende muslimisch-arabische Mehrheitsverhältnisse sehen manche als Problem, manche nicht: Fantasten unter den Ultrarechten träumen von einer Emigration großer Teile der Palästinenser, sollten sie in einem Großisrael vom Meer bis zum Jordan aufwachen.
Hamas-Sympathisanten vereint mit Siedlern und Ultraorthodoxen in einem Staat?
Bedenken gibt es allerdings, wie ein demokratisches Land funktionieren soll, wenn die Hälfte der Bevölkerung einer anderen Kultur angehört, die keine demokratische und rechtsstaatliche Tradition hat. Hamas-Sympathisanten vereint mit Siedlern und Ultraorthodoxen in einem Staat? Schwer vorstellbar. Die jüngere Geschichte kennt außerdem Beispiele, wo es trotz besserer Voraussetzungen nicht funktioniert hat: im Vielvölkerstaat Jugoslawien, in der Tschechoslowakei, im Libanon. Einer Umfrage von 2013 zufolge lehnen 63 Prozent der Israelis und 69 Prozent der Palästinenser die Ein-Staat-Lösung ab.
Eine Renaissance erlebt momentan die Drei-Staaten-Lösung. Nach diesem Szenario soll die Kontrolle des Westjordanlands an Jordanien sowie die des Gazastreifens an Ägypten übertragen werden. Der deutsch-israelische Historiker Michael Wolffsohn gehört zu den Verfechtern dieser Lösung. Das Problem: Ägypten hat kein Interesse am Gazastreifen, nur widerwillig öffnet es momentan seine Grenze für Hilfslieferungen an die Palästinenser, ansonsten ist das Gebiet aus Furcht vor Islamisten militärisch abgeriegelt.
Vielleicht muss man für mehr arabisches Engagement finanzielle Anreize schaffen. Stephan Bierling, Professor für internationale Politik in Regensburg, würde Saudi-Arabien und die reichen Golf-Scheichtümer in die Pflicht nehmen. Er plädiert dafür, den Gazastreifen und das Westjordanland an den "De-facto-Palästinenserstaat" Jordanien anzuschließen. (Sonntagsblatt Nr. 1, Seite 20) Wer sich sträubt, ist König Abdullah von Jordanien. Bierling: "Die schmutzige Wahrheit des Mittleren Osten ist: Alle islamischen Staaten stellen sich rhetorisch hinter die Palästinenser, aber keiner will nur einem Palästinenser die vollen Bürgerrechte gewähren oder sie im Land haben."
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden