Das Neue Testament ist das Grunddokument des christlichen Glaubens. Dabei übersieht man leicht, dass die Autoren allesamt Juden waren. Um den Blick für den jüdischen Hintergrund von Jesusgeschichten und überlieferten Briefen zu schärfen, hat die in Stuttgart beheimatete Deutsche Bibelgesellschaft nun ein Neues Testament veröffentlicht, in dem jüdische Gelehrte die Texte erklären.

Reaktionen auf das "Neue Neue Testament"

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, sieht in dem Werk eine Bereicherung für den jüdisch-christlichen Dialog. "Es führt uns unsere eigenen jüdischen Ursprünge vor Augen, die in den Kirchen über Jahrhunderte nicht beachtet oder verleugnet wurden", schreibt er. Begeisterung auch beim Antisemitismusbeauftragten der baden-württembergischen Landesregierung, Michael Blume:

"Wenn wir verstehen, dass das Christentum nur mit seinen jüdischen Elementen denkbar ist, können wir antisemitische Aussagen, die manche Christen tätigen, noch klarer zurückweisen!"

Umsetzung und Inhalte des Projekts

Das rund 950 Seiten starke Buch ist im Wesentlichen die Übersetzung einer US-amerikanischen Ausgabe, die vor zehn Jahren auf den Markt kam und inzwischen überarbeitet wurde. Die deutsche Fassung nimmt als Grundlage für den Bibeltext die Lutherübersetzung in der Revision von 2017. Zu jedem Abschnitt finden sich Kommentare, die einzelne Wörter oder beschriebene Motive auf dem Hintergrund der jüdischen Bibel ("Altes Testament") und jüdischer Schriften erklären. Dazu gibt es Infokästen, die Einzelaspekte tiefer beleuchten.

Das Neue Testament mit Erklärungen macht rund 600 Seiten des Buchs aus. Weitere 250 Seiten enthalten mehr als 50 Essays zu verschiedensten Aspekten, etwa der jüdischen Geschichte, dem historischen Jesus oder den Geschlechterrollen im 1. Jahrhundert nach Christus. Zeittafeln, Kalender, Gewichtsmaße, ein Glossar und ein Register runden das Werk ab.

Am heikelsten sind vermutlich die Stellen, in denen das Neue Testament sich von grundlegenden jüdischen Überzeugungen absetzt. Das gilt beispielsweise für die Haltung des Apostels Paulus zur Beschneidung und zum jüdischen Gesetz. So warnt er Nichtjuden im Galater-Brief eindringlich vor diesem "Joch". Aus den Kommentaren wird deutlich, dass auch in der rabbinischen Literatur die Orientierung an den Geboten der Mose-Bücher (Tora) mehrfach als Joch bezeichnet wird, allerdings in einem zustimmenden Sinn. "Du findest keinen Freien außer dem, der sich mit dem Studium der Tora beschäftigt", heißt es etwa in einem Mischna-Traktat.

Die Herausgeber der deutschen Version

Die drei deutschen Herausgeber - darunter Michael Tilly von der Evangelisch-theologischen Fakultät in Tübingen - sind christliche Theologen. Sie haben den Essayteil für ein deutschsprachiges Publikum erweitert, etwa durch Texte von Micha Brumlik und Walter Homolka. Acht evangelische Landeskirchen, die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) sowie vier christlich-jüdische Institutionen haben die deutsche Ausgabe finanziell gefördert. Die Publikation versteht sich auch als Beitrag zum Jubiläum "1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland".