Fühlen Sie sich durch die Anwesenheit von Muslimen in Deutschland bedroht? Keine Sorge, das ist keine Fangfrage. Sie dürfen ruhig ehrlich antworten. Der Augsburger Religions-Pädagoge Manfred Riegger jedenfalls meint, Vorurteile ließen sich am besten durch Kontakt überwinden. Und dazu gehört auch, sich seine ablehnende oder ängstliche Haltung erstmal einzugestehen - um anschließend zu schauen, wie man sie überwinden kann.
Das interreligiöse Projekt der Pädagogischen Hochschule Weingarten "Weingarten InterReligio / W.I.R." will die interreligiöse und interkulturelle Verständigung unter gesellschaftlichen Gruppierungen verstärken. In seinem Rahmen wird Manfred Riegger am Mittwoch, den 18. Mai 2022, einen Vortrag mit dem Titel "Durch die vielen Muslime fühle ich..." halten. Wir haben mit ihm vorab darüber gesprochen, wie Gefühle und Verstand helfen können, Grenzen zu überwinden.
Der Titel ihres Vortrags lautet "Durch die vielen Muslime fühle ich…". Es geht also um Vorurteile gegenüber Muslimen?
Manfred Riegger: Wenn ich mit einer Gegenfrage antworten darf: Was vermuten Sie noch?
Ich würde vermuten, dass der Satz mit einem negativen Gefühl endet…
Riegger: Das ist wirklich interessant. Also zunächst werde ich auch die Teilnehmenden nach ihren Vermutungen fragen: Ich lasse sie überlegen, wie sie den Satz vollenden würden? Das Satzende lautet "mich wie ein Fremder im eigenen Land". Dieser Satz wird häufig in empirischen Untersuchungen der Soziologie zu Islamfeindlichkeit verwendet. Unter Nichtmuslimen bekommt er dann oft eine Zustimmung von etwa 50 Prozent. Das führt regelmäßig zu einem Aufschrei.
Und Sie halten das für übertrieben?
Riegger: Natürlich gibt es Islamfeindlichkeit in Deutschland. Ich will aber genauer hinschauen: Was wird da gemessen? Fremder im eigenen Land: Was versteht man unter dem vieldeutigen Wort fremd? Was wird unter Gefühl verstanden? Angst oder Freude – das wären Emotionen, die werden aber nicht angesprochen. Als Pädagoge arbeite ich nicht nur mit Inhalten, sondern immer auch mit Emotionen: Woran kann ich bestimmte Gefühle festmachen? Wie gehe ich mit ihnen um? Was bedeutet dies für unser menschliches Miteinander?
"Was löst es bei mir aus, wenn ich abends um neun in einem Stadtviertel mit hohem Migrationsanteil unterwegs bin und nur fremde Sprachen höre?"
Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Riegger: Was löst es bei mir aus, wenn ich abends um neun in einem Stadtviertel mit hohem Migrationsanteil unterwegs bin und nur fremde Sprachen höre? Da kann ich mich fragen: Wo bin ich denn jetzt? Es ist nachvollziehbar, wenn man sich in einer solchen Situation unwohl fühlt. Die Frage ist dann: Wie gehe ich auch rational damit um? Schaue ich genauer hin, rede ich vielleicht mit den Fremden, registriere ich, dass ich auch nett gegrüßt werde? Angst allein macht eng. Dann nimmt man vielleicht die positiven Ereignisse gar nicht wahr.
Wie kann ein sinnvoller Umgang mit Gefühlen, in diesem Fall Angst, aussehen?
Riegger: Grundlegend können wir uns hier auf die Kontakt-Hypothese beziehen: Ich gehe in Kontakt mit dem, was Angst auslöst. In diesem Kontakt kann unrealistische Angst reduziert werden. Ich kann dann realistischer einschätzen, was z.B. mein Gegenüber kann, welche weniger vorteilhaften Aspekte auch vorhanden sind. Also Angst nicht nur mit einer rosarot gefärbten Brille einfärben. Im Austausch sich und den anderen eingestehen, dass ich Angst habe, ist ein besserer Weg.
"Verständigung erfolgt nicht gegen, sondern mit Emotionen."
Wie sieht das konkret aus?
Riegger: Ich arbeite zum Beispiel mit dem Islamischen Forum Penzberg zusammen. Wenn beispielsweise im Koranunterricht Arabisch gelernt wird, dann fragte ich: Muss das wirklich sein? Meine Studierenden und ich durften mit in den Koranunterricht, durften unsere Fragen stellen, und verstanden, warum Arabisch für den Islam so wichtig ist. Das Gebet erfolgt auf Arabisch, es ist die Sprache des Koran. Solche Verständigung erfolgt nicht gegen, sondern mit Emotionen.
Sprich, dass wir uns erstmal ehrlich machen und nicht sofort alles toll finden müssen?
Riegger: Genau, das ist das Grundmuster. Auf dieser Basis kann ich auch schwierige theologische Themen ansprechen, wie etwa, was Wahrheit ist. Als Christinnen und Christen könnten wir auf Jesus verweisen, der sagte: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Daraufhin könnten Musliminnen und Muslime fragen: Soll ich sagen, dass Jesus die Wahrheit ist, obwohl es in unserem Verständnis Allah ist? Nein, natürlich nicht. Wichtig ist es, die Unterschiede zu benennen, aber so, dass wir uns gegenseitig nicht verletzen.
Respektvoll, aber ohne Angst, auch Fehler zu machen, meinen Sie?
Riegger: Ja. Ich muss den Menschen gerecht werden. Und zum Menschen gehören Emotionen wie Angst, Freude, Überraschung usw. Mich interessiert deshalb nicht nur eine Zahl, sondern das, was Menschen denken, wenn sie lesen: "Fremder im eigenen Land". Hier möchte ich zum Nachdenken anregen: Wie kommen Umfrageergebnisse zustande? Was lösen solche Ergebnisse bei mir aus? Was versehe ich unter den einzelnen Worten? Wo steigen bei mir Fragen auf? Und pädagogisch wichtig: Was bedeutet das für mich, meine Haltung, meinen Umgang mit anderen? Wie klären wir unsere Emotionen, wie inhaltliche Fragen?
"Religion kann eine Ressource sein, anders mit Emotionen umgehen."
Hilft dabei denn Religion?
Riegger: Ich denke schon, denn Religion erlaubt auch ein Überschreiten des rein Rationalen. Nur Religion kann Menschen versichern, dass ihre Existenz gewollt und segensreich ist, trotz Kontingenzen. Ein Muslim erzählte mir hierzu ein einfaches Erlebnis: Ich ging in einem arabischen Land zur Schule. In der Pause spielten wir Fußball und zerstritten uns total. Anschließend hatten wir islamischen Religionsunterricht und musste Koranverse rezitieren. Dabei wurden wir immer ruhiger. Ärger und Streit verflogen. Wir gaben uns unaufgefordert zur Versöhnung die Hände. Religion kann eine Ressource sein, anders mit Emotionen umgehen.
Vortrag: "Durch die vielen Muslime hier fühle ich…" am 18. Mai 2022
Das interreligiöse Projekt der Pädagogischen Hochschule Weingarten Weingarten InterReligio / W.I.R. im Sommersemester 2022 ist ein weiteres Transfer-Projekt der Hochschule in der Region, das die interreligiöse und interkulturelle Verständigung unter gesellschaftlichen Gruppierungen verstärken will.
An jeden Vortrag schließt sich eine öffentliche Diskussion an. Die Vortragsreihe bietet u. a. religionspolitische, schulpolitische, interreligiöse und gesellschaftspolitische Impulse.
Die Teilnahme ist kostenfrei.
Interessierte sind herzlich eingeladen. Der Zoom-Link zu den öffentlichen Vorträgen lautet:
Zoom-Meeting beitreten
ph-weingarten-de.zoom.us/j/91939614335
Meeting-ID: 919 3961 4335
Kenncode: 082837
Zeit: Mittwoch, 18. Mai 2022, 18 Uhr
Referent: Prof. Dr. Manfred Riegger, Römisch-Katholische Theologie, Universität Augsburg
Veranstalter: InterReligio / W.I.R.
Ansprechpartner: PD Dr. A.-H. Massud / Frau K. Clauer