Früher war es selbstverständlich, in der Kirche zu sein. Menschen wurden nicht nach ihren Gründen gefragt, warum sie Mitglied einer evangelischen Landeskirche sind. Das ist heute anders, hat die evangelische Pfarrerin Regine Klusmann beobachtet. Als Dekanin des Kirchenbezirks Überlingen-Stockach (Bodenseekreis) stellt sie immer wieder fest, dass bei vielen Christen Sprachlosigkeit herrscht, wenn sie vorwurfsvoll angegangen werden.

Ihnen fehlten Antworten auf Fragen wie diese: Warum sie noch immer Teil einer Gemeinde sind, warum sie gerne den Gottesdienst besuchen und deshalb auch widerspruchslos ihre Kirchensteuer bezahlen.

Dieser Wehrlosigkeit will der Kirchenbezirk abhelfen, indem er einen Flyer herausbrachte. Darin werden in knapper und leicht verständlicher Sprache zwölf Argumente aufgeschrieben, die das Stammeln verhindern sollen.

Zwölf Gründe für die Kirche statt zehn

Die Zahl Zwölf sei nicht zufällig gewählt, erläutert Dekanin Klusmann. Sie lehnt sich an die Zahl der Apostel oder der zwölf Stämme Israels in der Bibel an. Zunächst habe man zehn Gründe auflisten wollen. Doch hätten sich während der Diskussion im Bezirk so viele gute Ideen geballt, dass man flugs auf "Zwölf Gründe" aufstockte. An diesen wenigen Sätzen, die auf ein Blatt Papier passen, arbeiteten mehrere Kirchengemeinden mit.

Es sei ein Gemeinschaftswerk gewesen, am Ende sei ein "Best-of" ausgewählt worden, ergänzt Pfarrer Michael Schauber aus Owingen (Kreis Konstanz). Er war ebenfalls am Prozess beteiligt, und er hat ihn als gute und bereichernde Erfahrung erlebt. "Es ist keine Kampfschrift gegen Menschen, die sich bewusst und aus persönlichen Gründen von der Kirche abwenden", betont er.

Die Verwendung des ein oder anderen nautischen Sprachbilds in den zwölf Leitsätzen zeige auch die Nähe zum Bodensee, so Schauber. Der Text, sagt er, "spiegelt Erfahrungen wider, die man auf dem Bodensee machen kann, zum Beispiel die stürmische See". Da sei es gut, wieder den sicheren Boden zu erreichen und festzumachen.

Tiefe Bindung zu Gott wichtig

So beginnt die Handreichung mit den Worten: "Ich bin in der Kirche, weil Gott mein Hoffnungsanker ist. Ich hoffe auf Gott, weil er mit dieser Welt noch nicht fertig ist." Auch die Erfahrungen der Coronazeit hätten gezeigt, wie wichtig eine tiefe Bindung zu Gott sei, sagt Schauber.

Ein weiterer Grund heißt: "Die Sonn- und Feiertage geben mir Rhythmus und Tiefe: Weihnachten, Ostern, Erntedank." Dass alle Menschen in der Kirche willkommen sind, formuliert folgendes Argument, "dass ich kommen kann, wie ich bin. Ich werde nicht verurteilt."

Außerdem war den Verfasserinnen und Verfassern die Gemeinschaft mit anderen wichtig: "Ich bin in der Kirche, weil niemand allein gelassen wird." Sie bezeichnen Vergebung als "einen Rettungsring". Erinnert wird auch an die kulturellen Schätze, in die jeder Christ eintauchen könne.

"In alter und neuer Musik und in der Kunst kann ich mich tragen lassen."

Unter Punkt 11 wird Kirche als Kompass charakterisiert, dazu werden aufgezählt "Kitas, Reli-Unterricht und Erwachsenenbildung". Dies war für Schauber besonders wichtig, weil die dortige Arbeit von Gemeindegliedern oft nicht wahrgenommen werde.

Halt in den Stürmen des Lebens finden

Dekanin Klusmann hat den rund einjährigen Prozess begleitet und moderiert, immer eingebettet in ein Geflecht von Kolleginnen und Gesprächspartnern. Ihr persönlich wichtigster Punkt ist der letzte:

"Ich bin in der Kirche, weil ich in Stürmen des Lebens einen Halt finde. Wenn ich nicht mehr weiterweiß, haben Seelsorgerinnen Zeit für mich. Was ich dort erzähle, bleibt dort. In der Trauer oder beim Verlust eines lieben Menschen sind andere für mich da."

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden