Als "Wärmestrom" hat der katholische Theologe Georg Langenhorst von der Universität Augsburg den Religionsunterricht kürzlich bezeichnet. Er meinte damit, dass er den Schüler*innen die Chance gebe, in ihre Religion hineinzuwachsen. Auch auf protestantischer Seite ist man sich dessen bewusst. So betonte Oberkirchenrat Stefan Blumtritt die Bedeutung des Religionsunterrichts bei der Herbstsynode der Landeskirche.

Im Gespräch mit dem Sonntagsblatt führte er aus, wo Chancen und Herausforderungen für das Fach liegen, welche Rolle Religionsunterricht spielen kann und wie das drängende Problem des Nachwuchsmangels unter den Lehrkräften angegangen werden muss.

 

Wie wird der Religionsunterricht der Zukunft aussehen?

Stefan Blumtritt: Leider bin ich kein Prophet. Ich kann nur sagen, dass sich sehr vieles verändert, in der Gesellschaft, und auch seitens der politischen Landschaft. In Bayern sind wir noch relativ safe: Dass der Religionsunterricht durch den Staat in der Verfassung garantiert ist, steht nicht in einer breiten gesellschaftlichen Diskussion.

Wie sieht es mit der Resonanz der Schülerinnen und Schüler aus?

Blumtritt: Der Religionsunterricht hat einen guten Stand in der Schullandschaft und in der Bildungslandschaft. Für uns ist es eine unglaublich gute Gelegenheit, wöchentlich auf evangelischer Seite mit 320.000 Schülerinnen und Schülern ins Gespräch zu kommen, über ihr Leben und ihre Situation und wie das mit dem Glauben an Jesus Christus zusammenpassen könnte.

"Im Religionsunterricht befasse ich mich mit Fragen, die mich im Innersten bewegen."

Also ist der Religionsunterricht aus Ihrer Sicht ein einzigartiges Schulfach?

Blumtritt: Klar. Wenn ich beispielsweise Parabeln in Mathematik durchnehmen muss, dann gibt es ganz klare mathematische Formeln, die durchgeackert und verstanden werden müssen. Und irgendwann im Leben erschließt sich dann vielleicht, warum man das eigentlich gelernt hat. (lacht) Dagegen befasse ich mich im Religionsunterricht mit Fragen, die mich im Innersten bewegen. Themen wie der Sinn meines Lebens, woher meine Hoffnung kommt, aber auch Freitod, Selbstbestimmung, Freiheit. Und ich erlebe die Begegnung mit den Philosophen. Was ist der Mehrwert am christlichen Glauben gegenüber dem agnostischen Philosophen? Oder ist der agnostische Philosoph gar nicht so agnostisch, wie er glaubt?

Wird das denn auch so wahrgenommen, etwa von den Eltern?

Blumtritt: Was ich viel aus Schulklassen und von Eltern mitbekomme: Die sagen oft, das ist ein Begegnungsraum, in dem auf die Lebenssituation meines Kindes – oder des Schülers oder der Schülerin – besonders eingegangen wird. Da steht vorne eine Person als Lehrkraft, die ein hohes Maß an Authentizität und Identifikationsmöglichkeiten bietet, und die sich auch auf ihr Innerstes befragen lässt, nämlich auf ihren Glauben, und davon auch gut und in verständlicher Sprache erzählen kann. Mit allen eigenen Zweifeln und Fragestellungen.

Sie haben vor der Landessynode auch betont, dass die Kirche mit Religionsunterricht noch viel mehr als die besagten 320.000 Schülerinnen und Schüler erreicht – weil diese das in ihr jeweiliges Umfeld weitertragen. 

Blumtritt: Das gilt natürlich auch für andere Fächer. Ich kann mir vorstellen, dass über das Leben in einem Froschteich beim Familienspaziergang am Sonntag ebenso begeistert berichtet wird. Aber klar, das sind beim Reli-Unterricht schon noch mal andere Fragen, vom Glück des ersten Verliebtseins oder dem Tod eines Haustieres. Ich glaube, diese ethischen Fragestellungen, die nicht über Social Media, über die Presse oder über sonstige Medien gelernt und erfahren werden können, leben vom persönlichen Gespräch. Deshalb haben die so eine Bedeutung und deshalb hat der Religionsunterricht auch so eine große Wirkung. Ich sage es jetzt einfach mal im Marketing-Sprech: Eine Multiplikatoren-Wirkung.

"Mach einen guten Job, rede über diesen gut und gewinne damit Menschen, die sich für diese Sache begeistern lassen und dort auch gerne arbeiten wollen."

Ein drängendes Problem ist der Nachwuchs an Lehrkräften. Wie wollen Sie das angehen?

Blumtritt: Wir tun alles, um mehr Lehrkräfte zu gewinnen oder Studierende zu gewinnen. Was wirklich gut funktioniert, ist Beziehungsarbeit. Also: Mach einen guten Job, rede über diesen gut und gewinne damit Menschen, die sich für diese Sache begeistern lassen und dort auch gerne arbeiten wollen. Ich glaube, das ist schon eine große Chance, durch Begegnungen, Authentizität und gutes Erzählen und Gewinnen. Und da meine ich jetzt nicht Werbeveranstaltungen, sondern wirklich aus Überzeugung.

Wie kann das in der Praxis konkret aussehen?

Blumtritt: Es gibt etwa Überlegungen, im Bereich Jugendarbeit zusammen mit den Tagungshäusern Freizeitangebote für Schüler und Schülerinnen einzurichten. Da können sie sich ausprobieren, das Leben entdecken, sich selber entdecken. Vielleicht können sie sich dann auch vorstellen, irgendwann mal wieder in kirchliche Berufe einzusteigen. Aber Sie merken schon, das sind keine Geschichten, die morgen zum Ergebnis führen, sondern eher übermorgen.

Man braucht also einen langen Atem beim Thema Religionsunterricht?

Blumtritt: Ja. Die Geschwindigkeit können wir wenig beeinflussen. Wir können aber mehrere Hebel an mehreren Stellen ansetzen. Und es gibt im Dialog mit den Jungen und auch mit den Erfahrungen der Älteren viele neue Methoden, die wir ausprobieren und ermöglichen müssen. Und nicht sagen: Nö, warum machen wir das? Sondern: Das machen wir. Das kommt. Wir müssen auch Dinge zulassen, nicht alles kontrollieren wollen.

"Wir wollen eine solidarische, freiheitliche Gesellschaft, die auch ihre Wurzeln im christlichen Glauben kennt."

Haben Sie den Eindruck, dass die Wichtigkeit des Religionsunterrichts in der Landeskirche jedem klar ist?

Blumtritt: Bei der Synode hat mir ein Kollege zurückgemeldet, dass es noch nie so viele inhaltliche Fragen gab, so viele Rückfragen gestellt wurden und es so viel Reaktion auf ein inhaltliches Thema gegeben hat wie beim Religionsunterricht. Ich denke, da herrscht schon ein Bewusstsein dafür, dass Bildung ganz allgemein unsere Chance ist, gesellschaftliche Prozesse mitzugestalten. Wir wollen eine solidarische, freiheitliche Gesellschaft, die auch ihre Wurzeln im christlichen Glauben kennt. Wir wollen keine Diktatur und Beschränkungen der solidarischen Freiheit. Gerade deshalb bin ich zuversichtlich, dass die Wichtigkeit des Themas klar ist.