Enge Zusammenhänge zwischen den Missionaren und der Kolonialbesetzung
Wenn Reverend Ernest Kadiva aus seinem Bürofenster in der tansanischen Hafenstadt Daressalam schaut, fällt der Blick auf die Azania-Front-Kathedrale, gebaut 1902 von lutherischen Missionaren für die deutschen Christen im Land. Die Kirche ist nicht nur ein Mittelpunkt seines Lebens, sondern auch eine stetige Erinnerung an die - teils brutale - Geschichte der deutschen Mission in Ostafrika. Als stellvertretender Leiter der Vereinten Evangelischen Mission in Tansania muss sich auch Kadiva dieser Geschichte stellen und einen Weg finden, in Zukunft Kirche zu gestalten.
Mit Versprechen von Fortschritt und Seelenheil waren Ende der 1880er Jahre erstmals deutsche Missionare in Daressalam von Bord gegangen - kurz nachdem Europa bei der Kongo-Konferenz in Berlin den afrikanischen Kontinent unter sich aufgeteilt hatte. Das Gebiet des heutigen Tansanias gehörte fortan zu Deutsch-Ostafrika. "Die Missionare kamen zur gleichen Zeit wie die Kolonialbesatzung", sagt Kadiva.
"Es ist kaum möglich, die beiden zu trennen, sie haben auch eng zusammengearbeitet."
Die Mission unterstützte die Kolonialverwaltung unter anderem bei der Gesundheitsversorgung. Wer den christlichen Glauben annahm, konnte zur deutschen Schule gehen, in der Verwaltung arbeiten, Geld verdienen und bekam mehr Macht und Einfluss. Auch deshalb wurden die Missionsstationen immer wieder als Handlanger der Kolonialherrschaft angesehen.
Bitte um Vergebung
Über die Rolle der Missionare in der Kolonialzeit werde aktuell geforscht, sagt Claus Heim, Fachreferent für Tansania bei Mission EineWelt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern in Neuendettelsau. Mittlerweile sei Mission eine gemeinsame Vision. Die Missionsstationen und Kirchen mitsamt ihrer Arbeit im Gesundheits- und Bildungssystem sind inzwischen meist in tansanische Hände übergegangen und werden vielfach noch von Deutschland aus unterstützt. Zusammenarbeit und Austausch gehören fest dazu: Nicht nur sind Deutsche in Tansania im Einsatz, auch tansanische Pfarrerinnen und Pfarrer oder Ordensleute helfen in Deutschland aus.
"Wir helfen einander, wir lernen voneinander, wir feiern miteinander",
sagt Heim. 100 Jahre nach dem Maji-Maji-Krieg, in dem die Deutschen einen Aufstand gegen Unterdrückung und Ausbeutung brutal niederschlugen, verfassten 2005 auch mehrere Missionswerke gemeinsam eine Bitte um Vergebung.
Das reiche nicht, sagt der tansanische Historiker Valence Silayo: Die Kirche müsse die Verbrechen, in die sie verwickelt gewesen sei, aktiv aufarbeiten. "Die Kirche muss sich der Wahrheit stellen", betont er. Besonders bei der Zerstörung von Kulturgütern und Traditionen sieht er die Mission in der Schuld. Heute seien die Kirchen nicht nur in der Pflicht, sondern auch in einer Position, die tansanischen Gemeinschaften in ihren Forderungen nach Restitution und Reparationen zu unterstützen.
Solidarität in Taten zeigen
Solidarität solle sich nicht nur in Worten zeigen, sondern ganz konkret in Taten, fordert er. "Die Kirche muss mehr Initiative ergreifen, um den Gemeinschaften etwas von dem zurückzugeben, was auch die Missionare ihnen genommen haben."
Reverend Ernest Kadiva ist überzeugt, dass es insgesamt eine Theologie braucht, die die Herausforderungen in Tansania in den Blick nimmt. Bildung, Landwirtschaft und Klimawandel müssten zentrale Themen für die Kirche sein, damit sie auf Dauer Relevanz habe, erklärt er. "Die Kirche braucht eine Reformation, so wie damals bei Luther", sagt Kadiva.
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden
Da liegt offenbar ein…
Da liegt offenbar ein Mißverständnis vor, was Reformation eigentlich ist. Offenbar ist Reform gemeint. Ich glaube nicht, dass man sich in Ostafrika ernsthaft eine Reformation im Sinne der ersten Missionare wünscht und eine Reformation im Sinne des Urchristentums steht ihnen frei, benötigt aber keine deutsche Beteiligung. Es scheint mir überhaupt eher ein politisch motiviertes denn ein spirituelles Bedürfnis zu sein. Die Forderung nach Restitution von Raubgut ist berechtigt, ansonsten finde ich Rückwärtsgewandtheit hier eher verdächtig und eher geeignet von eigenen Problemen abzulenken.