Die Reformations-Gedächtnis-Kirche am Nürnberger Stadtpark ist ein trutziger Bau, gleichsam das steingewordene Lutherlied von der festen Burg. Vor einem Jahr hatten sich auf dem Kirchenvorplatz tumultartige Szenen abgespielt, als Polizisten einen aus Afghanistan stammenden Berufsschüler in Abschiebegewahrsam nehmen wollten. Ganz anders jetzt das Bild an einem Junisonntag. Rund 500 Besucher aus ganz Bayern kamen, um dort das erste evangelische "deutsch-persische Kirchenfest" zu feiern: ein Willkommensgruß besonders für die zahlreichen Geflüchteten aus dem Iran, die das Christentum zu ihrer neuen geistlichen Heimat gemacht haben.

Seit rund vier Jahrzehnten versteht sich der Iran als "Gottesstaat", in dem Religion und Politik offiziell eine untrennbare Einheit bilden. Eine Religionsfreiheit nach westlichem Verständnis existiert nicht. Wer zum Christentum übertritt, macht sich der "Apostasie", dem "Abfall vom Islam", schuldig – nach iranischem Strafrecht ein Verbrechen, das bei Männern mit der Todesstrafe bedroht ist. Sogar die Ermordung von solchen "Apostaten" in Selbstjustiz werde toleriert, wie die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) dokumentiert hat.

Konversion: umstrittenes Argument mehr für Anerkennung

Im Kielwasser der sprunghaft gestiegenen Flüchtlingszahlen besonders in den Jahren 2015 und 2016 ist die Konversion von islamischen Asylbewerbern zum Christentum allerdings kein unumstrittenes Argument mehr für eine Anerkennung. Zwar wird die Verfolgungsgefahr aus religiösen Gründen in der Regel eingeräumt – jedoch hätten Gerichte "unabhängig von den durch den Staat zu respektierenden Kirchenmitgliedschaftsregelungen Feststellungen zur religiösen Identität des Asylbewerbers zu treffen, um die Wahrscheinlichkeit seiner Verfolgung im Herkunftsland zu beurteilen", wie es in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 9. September 2016 (Au 5 K 16.30957) heißt. Anders formuliert: Es geht im Prinzip nicht um die persönliche Entscheidung, eine andere Religion anzunehmen, auch nicht vorrangig um eine eventuelle (heimliche) Zugehörigkeit einer christlichen Gemeinschaft oder ob die Taufe erst in Deutschland vollzogen wurde. Im Mittelpunkt steht die heikle Prognose, wie schwerwiegend die zu erwartenden Folgen für den Betreffenden bei einer Rückkehr sind.

An der Praxis dieser "Feststellungen" scheiden sich aber zunehmend die Geister, zumal davon immer mehr überwiegend iranische Asylbewerber betroffen sind, die sich nach monatelangen Glaubenskursen taufen ließen und in ihren neuen Kirchengemeinden engagieren. In manchen Anhörungen beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und in Verwaltungsgerichtsverhandlungen werde offenbar "die Grenze zur theologisch wie rechtlich sehr zweifelhaften – aus unserer Sicht unzulässigen – Glaubensprüfung überschritten", klagte etwa die oberfränkische Regionalbischöfin Dorothea Greiner jüngst bei einer Podiumsdiskussion in Bayreuth. Zu hinterfragen sei bei Entscheidern und Richtern die Kompetenz in religiösen Fragen: "Manche Formulierung in manchem Urteil legt nahe, dass hier Menschen urteilen, denen das Phänomen lebendigen Glaubens fremd ist."

Rein formaler Glaubensübertritt

Leichtfertig erhebt die Theologin solche Vorhaltungen nicht. Seit Jahren hat Dorothea Greiner die Begleitung von Flüchtlingen zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit gemacht. Sie kennt nicht nur einen Fall von fragwürdiger und teils widersprüchlicher "Glaubensbeurteilungspraxis", deren Ende sie mit Nachdruck einfordert. In einer BAMF-Entscheidung sei beispielsweise die Taufe eines Asylbewerbers zu einem "rein formalen Glaubensübertritt" heruntergespielt worden: Weil dieser bereits zuvor kein streng religiöser Moslem gewesen sei, sei der Wandel zum überzeugten Christen "umso unverständlicher und nicht nachvollziehbar". Diese Entscheidung sei vom zuständigen Verwaltungsgericht kassiert worden, während ein anderes Gericht in einem anderen Fall der Argumentation gefolgt sei, die dem Bewerber eine "mangelnde persönliche Bindung an die Religion" bescheinigte: Den Entscheider habe insbesondere gestört, dass der Befragte den Islam kritisiert und das Christentum deutlich positiv abgesetzt hätte. BAMF und Gerichte sollten mehr auf die Expertise von Theologen vertrauen, mahnte Greiner.

Bestätigt werden diese Beobachtungen auch von Johannes Minkus. Der Pressesprecher der bayerischen evangelischen Landeskirche sagte dem Sonntagsblatt: "Wir hören von Engagierten vor Ort, dass die Fälle eigenartiger Glaubensprüfungen durch Personen, die selbst wenig Ahnung vom evangelischen Christsein zu haben scheinen, zunehmen." Die Berliner Kirchenjuristin Katharina Berner hat für diese Irritationen eine Erklärung: Die deutsche Gesellschaft sei mittlerweile kaum noch geübt im Umgang mit "wahrnehmbar gelebter Religion", stellte sie bei der Veranstaltung in Bayreuth fest – also nicht nur ein Problem, das in erster Linie auf den Umgang mit Migranten zu tun hat, sondern das auf die Gesellschaft selbst zurückfällt.

Wenn die Sprachbarriere zur Stolperfalle wird

Auf ein "reines Glaubens-Examen" dürften Befragungen in der Anhörung zur Konversion jedenfalls nicht hinauslaufen, betont BAMF-Sprecherin Natalie Bußenius auf Anfrage. Der Konvertit müsse auch ausführlich schildern können, "welche Beweggründe er für die Konversion hatte und welche Bedeutung die neue Religion für ihn persönlich hat". Der Glaubenswechsel nach einer sorgfältigen Taufbegleitung werde nicht angezweifelt; doch der Entscheider müsse beurteilen, ob dieser Glaubenswechsel "aus asyltaktischen Gründen oder aus echter Überzeugung erfolgt" sei. Auf dem Weg zu diesem Urteil gibt es noch eine Stolperfalle, die oft unterschätzt wird und im Einzelfall durchaus zu einer Fehlentscheidung führen kann: die Sprachbarriere.

Denn die meisten Asylbewerber aus dem Iran sind kaum in der Lage, sich auf Deutsch zu allen Fragen zu äußern. Unverzichtbar sind deshalb Übersetzer, die die Heimatsprache Farsi beherrschen – die meisten von ihnen sind jedoch Muslime und haben "von christlichen Inhalten praktisch keine Ahnung", räumte BAMF-Anteilungsleiterin Ursula Gräfin Praschma bei der Podiumsdiskussion ein: "Da wird beispielsweise das Abendmahl zum Abendessen, und mit der Dreifaltigkeit kann man überhaupt nichts anfangen." So könne beim Entscheider manches ganz anders ankommen, als es der Antragsteller eigentlich gemeint habe. Um das "Riesenproblem" (Praschma) zu entschärfen, suche das Amt deshalb dringend nach christlichen Dolmetschern.

Iraner stellen größte Gruppe bei Neueintritten

Und die werden nicht nur für den oft zermürbenden Umgang mit Behörden gebraucht. Denn Iraner stellen die mit Abstand größte ausländische Gruppe bei Neueintritten in die evangelische Kirche in Bayern: Etwa 1000 waren es, die seit 2015 diesen Schritt unternommen haben, weiß Pfarrer Markus Hildebrandt Rambe von der erst im April errichteten neuen landeskirchlichen "Fachstelle für interkulturelle Öffnung", die das deutsch-persische Kirchenfest in Nürnberg mitorganisiert hat. Mehr als ein Dutzend Farsi sprechende Übersetzerinnen und Übersetzer waren dort im Einsatz.

Auf eine lange Erfahrung in dieser besonderen zweisprachigen Arbeit kann inzwischen das Bayreuther Pfarrer-Ehepaar Andrea und Hans-Dietrich Nehring zurückblicken. Seit gut zwei Jahren veranstalten die beiden in ihrer Friedenskirchengemeinde Taufkurse, in denen die wesentlichen Grundlagen des christlichen Glaubens und der lutherischen Lehre vermittelt werden. Allein in Oberfranken wurden bis jetzt rund 200 meist iranische Geflüchtete getauft. Zahlreiche bayerische Gemeinden und Dekanate praktizieren ebenfalls solche Taufkurse und -gottesdienste.

Nach der Taufe ein missionarischer Aufbruch

Aus dem Bayreuther Kreis hat sich inzwischen ein kleiner missionarischer Aufbruch entwickelt, erzählt Andrea Nehring. Einige der früheren Täuflinge geben heute selbst Bibelstunden, und die Kirchenband "Setayesh" (farsi für: "wir preisen"), bestehend aus fünf iranischen und zwei deutschen Mitgliedern, spielt bei Gottesdiensten und Kirchenfesten. Rückschläge erlebt das Pfarrer-Ehepaar indes auch. Hans-Dietrich Nehring begleitete eine junge Familie aus dem Iran, "einfache und liebevolle Menschen, die es wirklich ernst meinen mit dem Glauben". Doch sie hätten ihrem Glauben nicht so Sprache verleihen können, dass sie den formalen Fragen des Richters ("Ist der islamische Gott derselbe wie der christliche?") gerecht werden konnten. Der Asylantrag der Familie, berichtet der Pfarrer, sei abgelehnt worden: mit dem richterlichen Hinweis, es sei ihnen zuzumuten, ihren Glauben im Iran zu verleugnen.

Erschüttert wurde indes der Glaube des Weidener Dekans Wenrich Slenczka ans Rechtssystem. Unter den 69 Menschen, die am 10. Juli nach Afghanistan abgeschoben wurden, war auch ein junger Mann, den Slenczka selbst vor einem Jahr getauft hatte, der seit acht Jahren in Deutschland lebte und seit vier Jahren eine Arbeitsstelle hatte. Als konvertierter Christ sei jetzt das Leben des Mannes in Gefahr, klagte Slenczka in einem offenen Brief.

Vor Abschiebungen werden die getauften Iraner vorerst wohl bewahrt: Iran gilt weiterhin nicht als sicherer Herkunftsstaat. Doch unter den geduldeten Asylbewerbern halten nicht alle den Druck in dieser "Warteschleife" aus. Drei der jungen Iraner, die in Bayreuth getauft wurden, reisten laut Pfarrerin Nehring freiwillig zurück, gescheitert an der fremden Lebenswirklichkeit in Deutschland. Zwei von ihnen sind bereits erneut geflüchtet: diesmal in die Türkei.