Viele würden sie am liebsten verdrängen, die Erinnerungen daran wegwischen, sich nicht mehr damit konfrontieren und einfach froh sein, dass sie vorbei gegangen sind: die Jahre 2020 bis 2022, in denen Masken, Selbsttests, Ausgangsbeschränkungen, die "G"-Regeln oder Inzidenzen unser aller Leben bestimmt haben. Fünf Jahre nach dem ersten Lockdown will jetzt die ELKB von den Menschen wissen, wie die Rolle der Kirche in dieser Zeit bewerten. Eine mutige Aktion, die überfällig ist.

Corona als Prüfstein für Gesellschaft und Kirche

Corona kam wie eine biblische Plage über uns, schränkte den Alltag ein, ließ die einen verzweifeln oder zumindest still werden, andere wütend auf die Barrikaden gehen. Wer zu viel hinterfragte, wurde als "Verschwörungstheoretiker" oder "Schwurbler" bezeichnet. Im schlimmsten Fall wurde auch hier irgendwas mit "Nazi" ausgepackt, wenn die Rhetorik zu Ende ging. Umgekehrt wurden Menschen, die sich an die Regeln halten wollten als "Mitläufer" oder "Schlafschafe" tituliert. Gesellschaftlich war Corona ein Spaltpilz. Der Umgang mit dem Virus hat tiefe Gräben zwischen Kollegen, Freunden und auch Familien hinterlassen, die teils bis heute nicht zugeschüttet sind.

"Wir wussten es ja auch nicht besser und haben lieber Vorsicht walten lassen" – so oder ähnlich wird immer wieder argumentiert, wenn man im Nachhinein die Corona-Maßnahmen rechtfertigen will.

So begründeten bisher auch Kirchenvertreter, dass sie Ungeimpfte von Gottesdiensten ausschlossen und persönliche seelsorgerliche Handlungen einstellten.

Maßnahmen, Moral und die Rolle der Kirche

Verdammt viel Maßnahme für verdammt wenig Wissen. Die Kirchen waren stramm auf Linie der Regierung. Die setzte sogar einen Ethikrat ein, um ihr Handeln durch ein auch von Theologen besetztes Gremium rechtfertigen zu lassen. Oft schienen dessen Kommentare zum staatlichen Handeln wie bestellte Gutachten.

"Not lehrt beten", sagt der Volksmund. Für die Corona-Jahre scheint das nicht zu gelten. In den Jahren 2020 bis 2022 kehrten so viele Menschen wie noch nie zuvor den Kirchen den Rücken. Laut der Plattform Statista traten im Vor-Corona-Jahr 2019 noch 266.738 aus der evangelischen Kirche in Deutschland aus. Auf der Höhe der Pandemie 2022 waren es 380.227.

Diesmal scheint die "Not" in Enttäuschung und Abkehr vom Gebet gemündet zu haben. Oder: Viele Menschen stellten auf den Prüfstand, was ihnen wichtig ist und wofür sie Steuern zahlen. Scheinbar waren auch die acht bis neun Prozent Kirchensteuer (je nach Bundesland) für viele ein willkommenes Einsparpotenzial.

Ein überfälliger Diskurs beginnt

Und doch – oder gerade deswegen – ist es zu begrüßen, dass die Landeskirche eine Umfrage gestartet hat. "Wir werden einander viel verzeihen müssen", sagte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn früh in der Corona-Krise während einer Rede im Bundestag.

Der Satz öffnet ein Fenster, durch das jetzt auch die Kirche bereit ist zu blicken. Und sich angreifbar zu machen. Hut ab! Gehen wir also in diesen Diskurs – offen, kritisch, aber wertschätzend.

Kommentare

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Florian Meier am Mi, 19.03.2025 - 22:05 Link

Mir stellt sich die Frage, was daran nun mutig sein soll. Erwartet man wilde Horden vor der Kirchenpforte? Für viele ist das Thema eh weitgehend durch und wer mit der Kirche in der Zeit große Probleme hatte, der ist wahrscheinlich schon weg. Schwierig war es wohl vorallem für Menschen in der Krise, Kranke und Sterbende und deren Angehörige. Die hätten gerne vielleicht mehr Zuspruch und Gemeinschaft gehabt. Ansonsten hat unsere Gemeinde mit der Kinderosterralley im Außenbereich versucht etwas Gemeinschaft zu erreichen, wo es im Innenraum noch schwierig war. Maskenpflicht und Singverbot gab es, Impfnachweispflicht nicht im Gottesdienst. Ich glaube das waren gute Kompromisse, Geimpfte und nicht Geimpfte sassen und sitzen im Kirchbankl. Der Chor ist seither gewachsen und die Gemeinde ist nicht wirklich geschrumpft. Etwas ist geblieben: Die "Stamperln" beim Abendmahl wie es sie vorher schon im Krankenhaus gab. So neu ist das also eigentlich gar nicht.

Victoria Lieberum am Mo, 10.03.2025 - 10:02 Link

Eine kritische Prüfung ist sicher gut - aber der Satz, man habe sich vom Gebet abgewendet, ist falsch! Man hat sich von der Kirche abgewendet, weil auch dort kein Gebet mehr angeboten wurde! Seelsorge hätte nicht so weit gestrichen werden dürfen, denn zumindest Telefonate waren ja jederzeit möglich. Warum haben Pfarrer nicht täglich zu festen Zeiten (die natürlich auch hätten bekanntgegeben werden müssen) Telefonseelsorge betrieben? Gesprächsbedarf gab es.

Mindestens so wichtig finde ich aber den Blick nach vorne: Was haben wir gelernt? Erschreckend wenig!
Unendlich einsame Menschen vegetierten in den Pflegeheimen vor sich hin und starben unbegleitet. Ambulantes Abendmahl wurde nicht angeboten, selbst Gebete durfte ich mit meiner Mutter nur unter Aufsicht von Pflegepersonal sprechen - ein offenes Gespräch, gar eine Beichte ist so unmöglich gewesen.

Ich fordere, dass - vergleichbar einer Patientenverfügung - für die Zukunft festgelegt werden kann: Wünsche ich höchstmögliche Sicherheit (um den Preis der Isolation) oder möchte ich weiter besucht werden (um den Preis möglicher Gefährdung und Lebvenszeitverlust)? Ggfs müssten in Heimen (und natürlich auch zu Hause) unterschiedliche Bereiche mit unterschiedlichen Zugangssperren geschaffen werden - vor allem aber müsste irgendwer den Mut finden, dieses Thema (und Sterbebegleitung überhaupt) offensiv im Vorfeld (z.B. rund um die Aufnahme in ein Pflegeheim) auch mit den Verwandten anzusprechen.
Eine derartige Seelsorge verweigern meiner schmerzlichen Erfahrung nach viele Pfarrer (Zeitnot, Bürokratie, aber auch Selbstachtsamkeitsprogramme stehen im Weg), Seelsorge, die diesen Namen verdient hätte, findet in unseren Heimen nicht statt.
Die EKD veröffentlicht in ihrem Newsletter einen Artikel zu Kursen zur "Letzten Hilfe" 8 sehr wichtig, interessanterweise auch gut angenommen), beschreibt, wen man alles zum Sterben dazuholen solle - da kommt der Seelsorger nicht vor... Entlarvend!
Wenn Familien wieder erfahren, dass sie auf dem schmerzlichen Weg des Abschiednehmens stärkend begleitet werden, werden sie auch wieder die Kirche zu schätzen lernen. Wenn Seelsorge wieder die zentrale Aufgabe der Kirche wird, wird sie wieder wachsen. So gehen die Leute statt dessen zu Psychotherapeuten oder Heilpraktikern - aus meiner Sicht die schlechtere Alternative.

Ingrid Müller am So, 09.03.2025 - 08:36 Link

Die Pfarrer und Pfarrerinnen waren nicht sichtbar ,während der Pandemie.
Ein Gespräch wäre doch immer moeglich gewesen .
Besuche waren doch nicht verboten.
Viele hatten kein Einkommen oder eben weniger.
Hier haette die Kirche praktisch helfen koennen.
Offene Kirchen gab es auch nicht.