Zehntausend Menschen bei der pro-israelischen Demo in Berlin, dafür zwölf- und fünfzehntausend bei pro-palästinensischen Kundgebungen in Brüssel und Paris: Der Krieg in Israel und Gaza hat Europas Straßen längst erreicht und sorgt für ein Tauziehen zwischen dem "Richtig" und dem "Falsch". Auch die Religionsgemeinschaften können sich dem nicht entziehen. Statt gemeinsamer Statements hört man nur lautes Knirschen aus dem Getriebe des interreligiösen Dialogs.

Zum Beispiel in München: Erzbischof Reinhard Marx erklärte schon wenige Tage nach dem Massaker der Hamas an israelischen Männern, Frauen, Kindern, dass es sinnlos sei, "interreligiösen Dialog zu führen mit Leuten, die auch nur den Ansatz einer Vermutung geben, dass sie das, was hier geschieht, verstehen, relativieren oder die das Existenzrecht eines ganzen Landes bestreiten". Stadtdekan Bernhard Liess forderte muslimische Gemeinden dazu auf, sich öffentlich zum Staat Israel zu bekennen: Bei der Frage nach seinem Existenzrecht dürfe "kein Hintertürchen offenbleiben". Diese Klarheit sei die Vorbedingung des interreligiösen Dialogs.

"Der Dialog mit dem Islam ist sehr gestört"

Zeitgleich kamen von Benjamin Idriz, dem bekanntesten Imam in Oberbayern, neben der Verurteilung des Terrors als "un­islamisch" auch komplizierte Wortspiele über "das Land, das die einen Israel, die anderen Palästina nennen". Dass diese Beschreibung den christlichen Partnern nicht reicht, mag er nicht nachvollziehen. Wohl auch aus diesem Grund hält Marian Offman, Beauftragter der Stadt für interreligiösen Dialog und früherer Vizepräsident der Israelitischen Kultusgemeinde, den Dialog mit dem Islam gerade für "sehr gestört".

Gestört und schief, so ist die Lage. Dabei fragt man sich, warum man auf pro-­palästinensischen Kundgebungen nie Slogans wie "Nieder mit Hamas!" hört. Die hochgerüstete Terrorbande ist es schließlich, die die Menschen im Gazastreifen als Schutzschild benutzt, Wohnhäuser mit ihren Kommandozentralen untertunnelt, Krankenhäuser als Raketenabschussrampen benutzt und sich ansonsten um eine Zukunftsperspektive der Bevölkerung wenig schert. Der Hamas ist es egal, wie viele Menschen im Gazastreifen gerade ihr Leben verlieren. Wer ihnen helfen will, müsste deshalb zuerst für einen Hamas-freien Gazastreifen auf die Straße gehen – oder in seinem Freitagsgebet dazu aufrufen, der Terrororganisation Widerstand zu leisten.

Nie war es nötiger, dass die Religionsgemeinschaften mit einer Stimme sprechen

Und jetzt? War der interreligiöse Dialog bislang nur Folklore mit bunten Gewändern? Das wäre eine schlechte Nachricht: Nie war es nötiger, dass die Religionsgemeinschaften mit einer Stimme sprechen. Bis zum 7. Oktober konnte der interreligiöse Dialog die Frage nach dem Existenzrecht Israels vielleicht umschiffen. Jetzt wird sie zur Nagelprobe. Die Partner müssen reden, auch wenn es unbequem wird.

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