Trotz geschlossener Kirchentüren und eingeschränkter Seelsorge zieht das Präsidium der bayerischen evangelischen Landessynode ein positives Resümee der Corona-Krise. Denn die bereits angelaufenen Reformprozesse sind beschleunigt worden, die Einschränkungen haben zu Aufbrüchen, neuen digitalen Angeboten und neuer Solidarität in den Gemeinden geführt, wie Synodenpräsidentin Annekathrin Preidel und die Vizepräsidenten Walter Schnell und Hans Stiegler in einem Redaktionsgespräch im Evangelischen Presseverband für Bayern (EPV) erläuterten. Es wird sich aber auch viel ändern - wie etwa die Rolle der Pfarrerinnen und Pfarrer.
Wenn Sie vom Präsidiumstisch in die Synode schauen, sehen Sie auch die neue Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Anna-Nicole Heinrich, die als bayerische Synodale in dieses Spitzenamt gewählt wurde. Wird sich dadurch die Sitzordnung in der Landessynode ändern?
Preidel: Bei der Sitzordnung wird alles beim Alten bleiben. Natürlich freuen wir uns, die Vorsitzende der EKD-Synode in unseren Reihen zu haben. Weil auch noch weitere bayerische Synodale in wichtige Funktionen in die Synoden der EKD wie auch der Generalssynode der VELKD gewählt wurden, haben wir nun das Ohr nah am Puls der EKD und die Vernetzung der verschiedenen Synoden wird noch besser. Das war unser strategisches Ziel, und darauf haben wir uns gut vorbereitet. Schade nur, dass wir wegen Corona der neuen Präses noch nicht persönlich gratulieren konnten, das werden wir aber sobald wie möglich nachholen.
Wie ist die bayerische Landessynode durch die Corona-Zeit gekommen?
Schnell: Wir mussten erfahren, dass nichts mehr so war wie vorher. Dabei haben wir einerseits die neuen digitalen Möglichkeiten schätzen gelernt, wie flotte Videokonferenzen zwischendurch ohne großen organisatorischen Aufwand. Zu kurz kamen allerdings die persönlichen Gespräche, die emotionale Komponente einer Synodaltagung.
Preidel: Wir waren durch die digitalen Formate immer arbeitsfähig. Das hat sehr gut funktioniert. Allerdings war es mitunter schwierig, während der Synodaltagung die Geschäftsordnung einzuhalten. Denn in den Chats konnte sich jeder und jede jederzeit äußern. Die Geschäftsordnung sieht hingegen nur eine Wortmeldung für jedes Mitglied der Synode zu einem Thema vor, was eine konzentrierte Diskussion ermöglicht. Im Digitalen entwickelt sich eine eigene Dynamik, was dazu führt, dass Diskussionen aus dem Ruder laufen können. Gefehlt haben uns auch sehr die Seitengespräche in Präsenz am Rande der Synode, bei denen sich durch die Begegnung von Menschen im Dialog kreative Ideen entwickeln.
Stiegler: Die Kirche ist keine Firma, die problemlos auf Homeoffice und digitalen Betrieb umstellen kann. Sondern in der Kirche geht es im ganzheitlichen Sinne um gemeinsames Gebet, um gemeinsame Lehre. Unser Inhalt, das Evangelium Jesu Christi, hat immer eine ganzheitliche Dimension. Das merkt man nach den Corona-Einschränkungen überdeutlich bei jedem Live-Gottesdienst, den mehrere Menschen zusammen feiern, wie es da buchstäblich zu Glücksmomenten durch die Gemeinschaft kommt.
Welche Auswirkungen hatte Corona auf die Kirche, insbesondere die laufenden Reformprozesse?
Preidel: Wir erleben zurzeit das "Semper reformanda", das wir 2017 groß gefeiert und mit den Coburger Beschlüssen auch durch strategische Zukunftsentscheidungen unterfüttert haben, in besonderer Weise. Kirche ist immer in Veränderung. Corona hat zusätzlich wie ein großer Katalysator gewirkt. Die durch Corona notwendig gewordene Beschleunigung bei Entscheidungen ließ neue Pionierqualitäten in der Kirche zutage treten, die vorher ausgebremst schienen. Der umfassende Reformprozess "Profil und Konzentration" (PuK) war zwar bereits gut auf die Schiene gesetzt, hat jetzt aber deutlich an Fahrt aufgenommen, die Entwicklung von digitalen Formaten in der Kirche wurde beschleunigt. Hätte es die Krise nicht gegeben, wären wir nicht an dem Punkt, an dem wir momentan sind. Als große Aufgabe steht jetzt an, das bisherige starre, an den Ortskirchen hängende Prinzip mit der neuen Lebendigkeit digitaler Gemeinden, die sich häufig als Gemeinden auf Zeit bilden, zusammenzubringen.
Schnell: Unsere Kirche habe ich noch nie so aktiv und innovativ erlebt wie in den Zeiten der Pandemie. Es gab eine Fülle von - auch neuen - Angeboten vor Ort, von den Kirchengemeinden, einzelnen Pfarrern, in der Jugendarbeit, in Seelsorge und Diakonie. Auch der Landesbischof hat sich oft eingeschaltet. Allerdings höre ich von Menschen, die etwas kirchenferner sind, den Vorwurf, sie hören zu wenig von der Kirche, ihre Kirche nehme sie nicht wahr. Diese Anfrage möchte ich auch an die Medien weitergeben. Denn es gibt in den Gemeinden Tausende von interessanten Ehrenamtlichen, die durchaus einer Berichterstattung wert wären.
Stiegler: Den Befund, dass Kirche in der überregionalen Medienlandschaft zu wenig auftaucht, teile ich. Im lokalen Bereich war die Kirche hingegen in den letzten Monaten so gefragt wie nie, weil es da um konkrete Vorgänge ging. Wir haben aber erlebt, dass in der bedrängenden Corona-Situation wieder mehr Menschen auf uns zugekommen sind. Ihnen müssen wir eine überzeugende Antwort geben, was der christliche Glaube in diesen Zeiten für sie bedeutet, dass sie eben nicht auf sich allein geworfen sind, sondern Christus in allen Tiefen mit ihnen geht. Das lässt sich in den bewusst fromm formulierten Satz fassen: Mein Leben gehört keiner Krankheit, sondern gehört letztlich Gott.
Die Gräben in der Gesellschaft sind beispielsweise durch Corona-Leugner oder Impfgegner tiefer geworden. Was kann die Kirche dagegen tun?
Schnell: In den Medien nehme ich die Demonstrationen, Auseinandersetzungen, Gewalt und Beschimpfungen wahr. In meinem direkten Umfeld erlebe ich aber das Gegenteil, nämlich Menschen, die hilfsbereit, solidarisch und sozial sind und alle gemeinsam auf das große Ziel hinarbeiten, die Pandemie zu überwinden. Dazu leistet auch die Kirche mit ihren seelsorgerlichen Angeboten einen großen Beitrag.
Preidel: Das Krisenmanagement hat nach meiner Beobachtung in Gesellschaft und Kirche zu großer Eigeninitiative und Solidarität geführt, und diese Dynamik erinnert mich in gewisser Weise an die Aufnahme der Flüchtlinge 2015. Auch in den Kirchengemeinden helfen sich die Menschen gegenseitig, zum Beispiel beim Einkaufen, durch Kontaktaufnahme durch spontane Telefongespräche, Unterstützung bei digitalen Technikproblemen. Hier haben sich ad hoc viele Initiativen im Sozialraum in Zusammenarbeit mit unseren Kirchengemeinden entwickelt, die zu neuen Netzwerken geführt haben. Vielen Menschen sind Alternativformate für gemeinschaftliche Feiern wichtiger als Querulantentum. Nicht hilfreich finde ich den medialen Hype um kleine Gruppen, die sich plakativ destruktiv äußern.
Stiegler: Ein wichtiger Beitrag der Kirche ist, bewusst in Problemzonen zu gehen. Als Pfarrer habe ich es mir von niemandem verbieten lassen, wenn der Anruf kam, in eine Palliativstation zu gehen und sterbenden Menschen beizustehen. Die seelsorgerliche Betreuung des Altenheims, für das ich zuständig bin, lief auch während Corona - in persönlicher Zuwendung, natürlich aber auch mit den nötigen Schutzmaßnahmen.
Unterschiedliche Meinungen gab es schon immer, sie sind jedoch durch die Pandemie verschärft worden. Selbst aus kleinen Dörfern ist die Sorge zu hören, dass es keine Gespräche in der Nachbarschaft mehr gibt. Deshalb ist es die Aufgabe als Christen, Räume zu öffnen, in denen alle wieder in Kontakt und Kommunikation kommen. Dabei müssen nicht alle einer Meinung sein, wir müssen aber als Kirche an einigen Stellen klar Position beziehen, dass es No-Gos gibt, zu denen wir stehen.
Was sind diese roten Linien?
Stiegler: Wenn die eigene Meinung als einzige Wahrheit auf dieser Welt gesetzt wird, wenn Menschen pauschal ihre Würde abgesprochen wird, wenn sie außerhalb jeglicher Norm gestellt werden.
Die Landessynode ist der kirchliche Haushaltsouverän. Corona hat zu einem Defizit geführt, die Einnahmen gehen zurück. Nach welchen inhaltlichen Kriterien soll eingespart werden?
Schnell: Diese Frage geht in erster Linie an den Landeskirchenrat, weil er für die Aufstellung des Haushalts zuständig ist. Jede Abteilung muss dafür Vorrangigkeiten und Nachrangigkeiten definieren, also auf welche Arbeitsfelder in Zukunft verzichtet werden soll. Denn es muss vollkommen klar sein, dass der Rasenmäher die allerschlechteste Methode ist, weil er gleichermaßen alles kürzt.
Stiegler: Von den Oberkirchenräten als den Abteilungsleitern erwarte ich, dass sie nicht mehr in ihrer Abteilungs-Säule denken, sondern in der Planung viel stärker zusammenarbeiten, auf gemeinsame Aufgaben schauen und Synergieeffekte über Abteilungsgrenzen nutzen. Ein sehr positives Beispiel für neue Zusammenarbeit ist die Verwaltungsreform, bei der die bisherigen, aufgesplitterten 35 Verwaltungseinrichtungen zu zehn Verbünden zusammengefasst wurden. Das entlastet die Pfarrer von organisatorischen Verpflichtungen, wie zum Beispiel Bauangelegenheiten, und gibt ihnen mehr Raum für ihre Kernaufgabe der Seelsorge, der Arbeit in und für ihre Gemeinde.
Preidel: Entscheidend ist die Frage nach den Rahmenbedingungen und eine Definition der Prioritäten und vor allem der Posterioritäten. Und die Auswirkungen der Pandemie auf den PuK-Prozess müssen überprüft werden. Das wird die Hauptaufgabe der nächsten Monate sein. Dazu ist aber eine enge Abstimmung der kirchenleitenden Organe über die Rahmenbedingungen nötig, was pandemiebedingt noch nicht möglich war, aber jetzt bald nachgeholt wird. Die gemeinsamen Sitzungen von Landessynodalausschuss (LSA) und Landeskirchenrat (LKR) konnten noch nicht stattfinden. Ebenso musste die gemeinsame Sitzung aller kirchenleitenden Organe auf 2022 verschoben werden. Die inhaltlichen Vorgaben liefert weiterhin der Reformprozess PuK. Weil wir im ordentlichen Haushalt nicht mehr alles finanzieren können, müssen wir Kreativität neu entwickeln. Denn ein engerer Finanzrahmen soll ja gerade nicht heißen, dass wir wichtige Arbeitsfelder fallenlassen. Von den Gemeinden und Dekanaten können wir lernen, welche Möglichkeiten ein überzeugendes Fundraising bietet. Wir brauchen also neue Ideen und vor allem neue Vernetzungen in den Sozialraum. Wenig hilfreich ist, wenn Überlegungen im Sensationsmodus medial negativ aufgegriffen werden, während wir noch nach tragfähigen Lösungen für die Zukunft suchen.
Sollte durch diese Finanzzwänge das Großprojekt Evangelischer Campus Nürnberg nochmals auf den Prüfstand?
Preidel: Auf keinen Fall. Denn dieser Bildungs-Campus ist ein Zukunftsprojekt und genau das, was wir als Kirche jetzt brauchen - an der Schnittstelle zwischen Kirche und Sozialraum, belebt von jungen Menschen, mitten in der Stadt Freiräume für Synergien und Ideenaustausch schaffen. Das Projekt liegt absolut im Zeit- und Finanzrahmen und wird in seinem Fortschritt eng von einem Projektlenkungsausschuss begleitet. Momentan hört man in der Öffentlichkeit weniger vom ECN, da die derzeitige Entwicklungsphase viele Entscheidungen in der Bauplanung für die endgültige Ausführung fordert. Es würde wenig Sinn machen, das Pro und Contra für einzelne Entscheidungen in der Öffentlichkeit zu diskutieren.
Steht die Landesstellenplanung, also die Verteilung der theologischen Stellen in Bayern, unter einem Spardruck?
Preidel: Bereits in der vorherigen Synode ist es gelungen, die Landesstellenplanung aus einer einfachen Arithmetik herauszunehmen und zu einem Gestaltungsentwurf zu entwickeln. Diese Gestaltungsmöglichkeiten sind ganz bewusst auf die mittlere Ebene verlagert worden, also in die Dekanate, weil sie am besten wissen, welche Stellen in welchem Zuschnitt sie für ihre ganz speziellen Anforderungen für die Zukunft brauchen. Das führt zu einer unglaublichen Dynamik und zu bedeutenden Veränderungen, weil es zu ganz neuen Kooperationen zwischen Dekanaten und einer Spezialisierung der Arbeit kommt.
Allerdings wird sich auch das Berufsbild der Pfarrerinnen und Pfarrer ganz deutlich ändern: Pfarrerinnen und Pfarrer werden zwar die Identifikationsfiguren der Kirchengemeinden bleiben, aber zunehmend zu Ermöglichern und Moderatoren, die sich in dem großen Netzwerk Menschen, die in der Kirchengemeinde ihre Gaben einbringen, für spezifische Aufgaben und als Multiplikatoren suchen. Schon jetzt hat die Corona-Krise zu einer großen Eigeninitiative und Kreativität bei den Gemeinden geführt, falls nötig auch einmal ohne den Pfarrer, die Pfarrerin etwas auf die Beine zu stellen. Es wird aus meiner Sicht zu einem neuen Selbstverständnis der Pfarrerrinnen und Pfarrer vor Ort kommen, das Verhältnis von Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen wird sich ändern, berufsübergreifende Teams werden immer mehr Bedeutung kommen. Und Kirchengemeinden werden sich nicht so sehr vom Kirchturm, sondern eher von thematisch-inhaltlichen Identifikationsmarkern mit Schwerpunktangeboten her verstehen.
Stiegler: Das übergeordnete Ziel muss sein, wieder deutlich zu machen, dass die Kirche als Gemeinde Christi von den Gaben lebt, die von Gott geschenkt werden. Deshalb war es immer mein Rollenverständnis als Pfarrer, Räume zu öffnen, in denen sich Gaben ausleben und wachsen können. Die Pfarrer sind nicht mehr qua Amt die wichtigsten, sondern sie geben die Impulse, damit sich andere mit ihren jeweiligen Gaben entfalten können. Der Pfarrer ist dann zwangsläufig nicht mehr ein zentraler Herrscher, sondern eine Art Trainer für die Mannschaft der Christen. Das ist eine große Chance für neue Beteiligungsformen von Ehrenamtlichen, die wir benennen, zulassen und fördern müssen.
Um die Landesstellenplanung und das Schwerpunktthema Finanzen geht es auf der Herbsttagung der Synode. Wie wird die ablaufen?
Preidel: Wir rechnen fest damit, dass die nächste Tagung in Präsenz durchgeführt werden kann, vor allem wegen der steigenden Impfrate. Die Synode soll - so ist die Planung - erneut im Eventzentrum in Geiselwind stattfinden, weil wir da bei unserer letzten analogen Tagung eine große Gastfreundschaft und einen hervorragenden Service erfahren haben. Zudem sind die Räumlichkeiten für unsere Beratungen sehr geeignet sind. Einziger Nachteil ist die schlechte Erreichbarkeit des Eventzentrums mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Welche inhaltlichen Themen sollte die Synode behandeln, welche persönlichen Erwartungen, Wünsche oder Sorgen haben Sie?
Preidel: Die Themen liegen noch nicht fest. Wir haben aber mit dem Thema unserer ersten Frühjahrstagung "Glaube in verletzlicher Zeit" mitten in der Pandemie bewusst einen theologischen Schwerpunkt gesetzt. In diese Richtung würde ich gerne weitergehen. Hier müssen wir uns allerdings als Synode noch verständigen, denn meine Stimme ist ja nur eine von 108. In die nächste Zeit gehe ich ohne jede Skepsis, denn die Synode hat eine große Beweglichkeit gezeigt, die neue Kreativräume ermöglicht. Die digitalen Formate haben dazu geführt, dass sich Arbeitskreise und Ausschüsse spontan verabreden und per Videokonferenz treffen. Deshalb blicke ich auch mit großer Freude auf die lebendige Weiterarbeit. Unter anderem verspreche ich mir davon eine kreative Fortführung des Reformprozesses PuK.
Schnell: In die nächsten Jahre sehe ich mit großem Optimismus, es ist ein ermutigendes Zeichen, dass sich so viele Menschen trotz aller Probleme zu unserer Kirche bekennen oder neu mit dabei sind. Inhaltlich halte ich neben PuK vor allem das Thema "Bewahrung der Schöpfung" für wichtig. Einige Sorgen macht mir, ob in den nötigen Veränderungsprozessen alle in der Kirche das dafür doch sehr zügige Tempo mitgehen können. Wir müssen deshalb das entsprechende Bewusstsein schaffen, um alle mitnehmen zu können.
Stiegler: Ich freue mich sehr auf die persönlichen Gespräche und Kontakte mit den anderen Synodalen. Denn viele kommen aus einem ganz anderen kirchlichen Kontext, was zu bereichernden Begegnungen führt. Inhaltlich liegt mir sehr das bereits von der Präsidentin angesprochene Thema Glaube und nächste Generation am Herzen. Denn viele reden ohne Punkt und Komma über die Kirche, wenn es aber um den Glauben geht, werden sie sprachlos. Wir müssen deshalb die Menschen ermutigen, überzeugend über ihre eigenen Glaubenserfahrungen zu reden und welche positive und existentielle Rolle der Glaube ganz konkret in ihrem Leben spielt.