Das Instrumentarium, das vor dem Sebaldusgrab im Chorraum der ältesten Pfarrkirche Nürnbergs aufgestellt war, wirkte ebenso mächtig wie kontrastreich. Wie auch die beiden Musiker, die an diesem Abend "Neue Klänge für die Königin", so der Titel des vom Bayerischen Rundfunk aufgezeichneten Konzerts, aufeinander trafen.

Auf der einen Seite Enzensperger, von Blues und Soul getränkter Jazz-Absolvent der Münchener Musikhochschule mit ausgeprägtem Sinn für "Vintage"-Instrumente, der sich in Clubs und auf Showbühnen schon die Finger wund gespielt hat. Auf der anderen Martin Sturm, 1992 im bayerischen Velburg geboren und seit 2019 Professor für Orgel und Improvisation an der Hochschule für Musik "Franz Liszt" Weimar – jüngster Professor seiner Art im gesamten Bundesgebiet.

Meisterkurse in der Sebalduskirche

Beide etwa gleichalten Herren hatten sich drei Tage lang beschnuppert, ausgetauscht, Meisterkurse mit Studentinnen und Studenten in der Sebalduskirche gehalten und kamen nun zu einem Abschlusskonzert vor Publikum zusammen. Moderatorin Annekathrin Hentschel von BR Klassik versprach einen voll improvisierten Abend mit Musik, die spontan entsteht und in dieser Form einzigartig ist. Die Gäste sollten nicht enttäuscht werden.

Georg Ott, Restaurator am Institut für Kunsttechnik und Konservierung (IKK) für Musikinstrumente am Germanischen Nationalmuseum, erklärte den Teil der "alten Instrumente": Auf der "Sturm"-Seite waren ein Tafelklavier aus dem 18. Jahrhundert, ein von Ott selbst gebautes Clavichord sowie ein
Harmonium aufgebaut, das sogenannte durchschlagende Zungen besitzt, wie bei einer Mundharmonika. Daneben sah man noch ein sogenanntes Regal, ein Zungenstimmenregister, wie sie von Vokalensembles im mittelalterlichen Nürnberg gespielt wurden.

Hammond contra Tafelklavier

Martin Sturm brillierte dann in freien Improvisationen an der Sebalder Peter-Hauptorgel, aber auch an allen anderen: mal tangohaft am Harmonium, mal mit virtuos perlenden Läufen am Clavichord oder menuettartigen Petitessen am Tafelklavier.

Im Anschluss setzte sich Enzensberger an seine rund 200 Kilogramm schwere Hammond-Orgel. Die Leslie-Box rotierte, die Hammond schwellte auf und ab oder pluckerte wahlweise rhythmisch. Enzensperger ließ aber auch den aus den frühen achtziger Jahren stammenden Roland Jupiter 8 mit seiner analogen Klangerzeugung flirren, bediente einfühlsam sein Wurlitzer Piano oder das Hohner Clavinet Pianet.

Im dritten Teil des Konzerts spielten die beiden miteinander, jeweils aber auf den Instrumenten der anderen. Da erklangen schemenhaft schimmernde Cluster, atonal aufregend, bis hin zu orkanhaften Tonstürmen. Mal schien es, als ob Pink Floyd mit Olivier Messiaen flirtet oder die elektronisch-teutonischen Elektro-Pinoiere Tangerine Dream mit Dodekaphonist Arnold Schönberg eine Liaison eingehen.

Schon die Regionalbischöfin probierte es aus

Zum Ende durften die Gäste vorher ausgeteilte Karten abgeben, auf denen sie Begriffe notiert hatten, die beide Musiker zu einer neuen Improvisation anregen sollten. Eine Idee, die ION-Intendant Moritz Puschke zusammen mit Martin Sturm bereits wenige Wochen zuvor beim Frühjahrsempfang der Nürnberger evangelischen Regionalbischöfin Elisabeth Hann von Weyhern in der Sebalduskirche erstmals ausprobiert hatten. Aus "Love, Jesus der Herrscher, Bach, Frieden, saubere Luft, Selbstbestimmung, Gleichberechtigung, Humor, Erde mit vielen Mikroorganismen, Rausch" wurden im Anschluss einmalige Klanglandschaften gezeichnet.

Während Enzensperger sich für eine teilweise wilde Tonachterbahnfahrt mit bluesigem Ende entschied, schlug Sturm ruhige Töne an, die fast versöhnlich wirkten nach all dem Experimentieren. Einer hatte auf seiner Karte den Weihnachtsliedtitel "Maria durch ein Dornwald ging" notiert – auch diesen brachte Martin Sturm in seinem Part unter.

Beide Musiker bekannten nach anderthalb Stunden Klangerlebnis bei der ION, jeweils vom anderen gelernt zu haben. "Musik ist an sich nichts anderes als gestaltete Zeit, die Herangehensweise ist bei uns in Details unterschiedlich", sagte Sturm. Und Enzensperger ließ offen, inwieweit diese Begegnung ihn nun in seinem weiteren Schaffen beeinflussen werde.

Martin Sturm und Hansi Enzensperger
Martin Sturm und Hansi Enzensperger in Aktion bei ihrem Konzert anlässlich des Musikfests ION in der Nürnberger Sebalduskirche.