Die Spuren führen ins Riesengebirge, das höchste Gebirge Tschechiens. Hier im böhmisch-schlesischen Kulturraum, wo Tschechen, Polen und Deutsche lebten, tummeln sich verschiedene Erzählungen über einen sogenannten Berggeist Rübezahl.

Er soll ein ziemlich launischer, teils fieser Kerl sein, der schnell beleidigt ist. Wehe, es wagt jemand, Rübezahl beim Namen zu nennen. Dann bestraft er denjenigen, indem er ihn durch die Luft wirbelt oder eine Überschwemmung schickt.

Die ersten, die von Rübezahl erzählten sollen italienische Bergleute gewesen sein, sagt der Autor und Publizist Ralf Pasch. Sie kamen im 13. Jahrhundert in die Region, um den Bergbau zu beleben und berichteten von einem Geist der Erze bewacht. Auch Holzfäller und Kräutersammler hätten sich Geschichten über den Berggeist ausgedacht. Darin tritt Rübezahl aber nicht bloß als böser Geist auf, er tut auch Gutes – für die Menschen und ganz besonders für die Natur.

Rübezahl als Naturschützer

Er gilt als Beschützer des Gebirges und als Mahner, der daran erinnert, sorgsam mit der Natur umzugehen. Wer keine Rücksicht auf die Natur nimmt, dem spielt er böse Streiche. Er bestraft beispielsweise Jäger, die Tiere schießen. Sein Einsatz für die Umwelt findet nicht nur auf Buchseiten seinen Ausdruck, sondern wird sogar in der realen Welt gewürdigt.

Im tschechischen Teil des Riesengebirges gibt es ein Gebiet mit besonderen Pflanzen- und Tiervorkommen: Es heißt "Rübezahls Gärtchen". Umgekehrt ist die Geschichte genauso an konkreten Orten beheimatet, nicht mit Fantasiemenschen, sondern mit historisch nachweisbaren Personen. Deshalb spreche man von einer Sage statt von einem Märchen, so Pasch.

In einer Berglanschaft zieht ein alter weißhaariger Mann mit angem weißen Bart einem kleinen schmächtigen Kräutersammler die Ohren lang. Der große Mann zeigt auf ein Schild, auf dem steht, dass es verboten ist Kräuter zu sammeln.
Rübezahl als Naturschützer

Ein diverses Wesen

Bis heute haben Tschechen, Deutsche und Polen ihre eigenen Rübezahl-Versionen. In der tschechischen Literatur heißt der Berggeist "Krakonos" und ist - im Gegensatz zu dem uneindeutigen deutschen Rübezahl, der mal hilft und mal bösen Schabernack treibt – meist der gute, auch menschenähnliche Beschützer der Bergwelt. Die Geschichten enden meist mit einem Happy End.

Auch die Polen haben sich Rübezahl angeeignet und sich von dem deutschsprachigen und dem tschechischen Milieu inspirieren lassen. Allen Sagenerzählungen gemein ist: Der Geist hat viele Gesichter. Mal erscheint er als Tier, mal als Baum, mal als Berg oder er ist sogar unsichtbar.

"Er ist ein ambivalentes, vielgestaltiges Wesen – er kann im Grunde alles sein",

sagt Pasch über Rübezahl. Das macht ihn besonders – "das kann nicht jede Sagenfigur." Sein Wesen sei daher schwer zu greifen, dennoch gebe es viele Versuche Rübezahl darzustellen, erzählt Pasch, der sich mit deutsch-tschechischen Themen beschäftigt. Am häufigsten in der Gestalt eines bärtiges Wurzelmännchen, mit Hut, Mantel und Stock.

"An der Darstellung ist nicht zu rütteln. Aber ich finde sie langweilig", beklagt der Autor.

Sagen stiften Identität

Auch wenn der Berggeist als alter weißer Mann in Souvenirläden allgegenwärtig ist - woran liegt es, dass Rübezahl trotzdem in Vergessenheit geraten ist, obwohl er im 19. Jahrhundert ganz normaler Bestandteil des Figurenkabinetts, auch bei den Grimmbrüdern, gewesen ist? Pasch vermutet, dass bei den Deutschen der Bezug zum Riesengebirge spätestens seit ihrer Vertreibung politisch und geographisch verloren gegangen sei.

Vor allem bei Geflüchteten und Vertriebenen dienten Sagen als Identifikation und sorgten für einen Zusammenhalt der Gruppe, sagt Tanja Krombach vom Deutschen Kulturforum östliches Europa. Doch die Zahl derer, die in Böhmen geboren wurden gehe stetig zurück, weshalb sich die Gruppenzugehörigkeit immer mehr auflöse. Wenn sich Leute heute für Rübezahl interessieren, dann oft aus Neugier oder weil sie Familienbezüge nach Böhmen hätten.

Migration

Auch wenn Rübezahl etwas an den Rand gedrängt ist, bietet er als grenzüberschreitendes Wesen gerade für Kinder mit Migrationserfahrung Berührungspunkte.

"Heute hat fast jedes Schulkind eine eigene Migrationsgeschichte",

sagt Krombach. Eine diverse Kinderbuchfigur, die drei Kulturen zusammenbringt und Themen wie Umwelt- und Naturschutz mit Leben füllt, macht Rübezahl aktuell relevant, findet Pasch und meint, dass er mit seinen fantastischen und mythologischen Zügen mit heutigen Ninjas mithalten kann.

Gelb hinterlegte Karte des Riesengebirges. Auf kleinen Bildchen sind ein Skifahrer, eine Kirche, Berge eingezeichnet. In blau sind die Ländergrenzen Polens, Deutschlands und Tschechiens markiert
Karte Riesengebirge
Ein großer, muskulöser Mann mit roten Haaren und rotem Bart der bis zum Bauch reicht streut mit der rechten hand Münzen auf den Boden. Mit der linken hält er einen Blitz in der Hand. Der Riese mit kurzer brauner Hose schreitet über eine Hügellandschaft. Im oberen Teil des Buchcovers steht "Krakonos".
Buchcover Kulturforum östliches Europa
Ein orangenes Ornament säumt den Rand des Buchcovers. In der Mitte ist eine Burg auf einem roten Felsen mit zwei Bäumen abgebildert.. Im oberen Teil steht "Liczyrzepa".
Buchcover polnisches Rübezahlbuch