Die alten Ägypter und die Perser waren da, das geheimnisvolle Volk der Philister und die Araber sowieso - der Gaza-Streifen ist seit Menschengedenken ein wichtiges Kulturland. Kriege, Besatzung und politische Wirren sind der Grund dafür, dass das historische Erbe wenig erforscht und dokumentiert ist.
Der Mainzer Archäologe und Theologe Wolfgang Zwickel arbeitet an einem Buchprojekt über alle bekannten historischen Stätten des winzigen Landzipfels. Inzwischen fragt er sich angesichts der massiven israelischen Militärschläge, ob überhaupt noch historische Orte erhalten bleiben, bis das Buch voraussichtlich im Sommer 2024 erscheint.
Der Gaza-Streifen
Zwickel lehrte Biblische Archäologie an der Mainzer Gutenberg-Universität, im Laufe der Jahre führten ihn zahllose Forschungs- und Grabungsreisen immer wieder nach Israel. Den Gaza-Streifen aber konnte er nie besuchen.
"Wir wissen historisch über Gaza so gut wie nichts, was brauchbar ist", sagt er. Dabei wird Gaza schon im Alten Testament erwähnt - etwa in der Erzählung von Simson (Samson) - dem nahezu unbezwingbaren Kämpfer der Israeliten. Dieser gerät letztlich in die Hände der verfeindeten Philister, wird geblendet und bei einer Feier gedemütigt. Ein letztes Mal alle übernatürlichen Kräfte aufbietend, reißt Simson laut biblischer Überlieferung die Säulen des Prunkgebäudes ein.
"Da fiel das Haus auf die Fürsten und auf alles Volk, das darin war, sodass es mehr Tote waren, die er durch seinen Tod tötete, als die er zu seinen Lebzeiten getötet hatte", heißt es im Buch der Richter (Ri. 16,30).
Historisch belegt ist, dass Gaza eines der fünf städtischen Zentren des Philisterreichs war. Bis in die Bronzezeit zurück reichen die Überreste der einst bedeutenden Siedlung bei Tell el-Ajjul. Schon vor der Zeitenwende stieg der Hafen von Gaza zum bedeutendsten am östlichen Mittelmeer auf. 1997 wurden Überreste einer frühchristlichen Klosteranlage rund um das Grab des heiligen Hilarion von Gaza entdeckt, die nach den Plänen der Palästinenser in die Unesco-Welterbeliste aufgenommen werden sollten. In islamischer Zeit wurden im frühen Mittelalter von Gaza aus große Teile Palästinas verwaltet.
Zwickels Buchidee
Zwickel, dessen Buchidee schon acht Jahre alt ist, trug alles zusammen, was über historische Stätten im Gaza-Streifen bekannt ist: "Ich habe insgesamt 230 Ortslagen gesammelt." Über viele Orte gebe es kaum Detailwissen. Der einzige detaillierte kulturhistorische Aufsatz über Gaza-Stadt stamme vom Österreicher Georg Gatt, der in den 1880er Jahren eine katholische Missionsstation aufbaute und die Stadtviertel mit ihren Häusern und Brunnen beschrieb. Nach einigen Grabungen durch die Briten sei in den Jahrzehnten unter ägyptischer Oberhoheit so gut wie gar nichts mehr geschehen.
Während der israelischen Besatzungszeit fanden laut Zwickel weitere Ausgrabungen und Oberflächenuntersuchungen an historischen Stätten im Gaza-Streifen statt, doch die Ergebnisse seien weitgehend unveröffentlicht geblieben:
"Man weiß noch nicht einmal, wo die Dokumentation liegt."
Die Übergabe der Verwaltung an die palästinensischen Behörden und die spätere Machtübernahme durch die Hamas machten alles nur noch schlimmer.
Zahlreiche archäologische Stätten, aber auch bedeutende mittelalterliche islamische Bauwerke in Gaza waren bereits in den Kriegen der Vergangenheit zerstört und überbaut worden. Der Gaza-Streifen ist eine der am dichtesten besiedelten Regionen der Welt, für den forcierten Wohnungsbau musste die Archäologie in der Regel zurückstecken.
Ausländische Forscher gelangten in den Jahren der Hamas-Herrschaft nur vereinzelt in das Gebiet, darunter der Franzose René Elter, der noch im Oktober an der Freilegung einer Nekropole aus der Römerzeit arbeitete und nach Kriegsbeginn wochenlang in Gaza festsaß.
"Wir haben große Angst um die archäologischen Stätten", sagte er nach seiner Rückkehr dem französischen Fernsehen. Vieles sei bereits durch die israelischen Bombenangriffe zerstört.
Auf Hoffnung hoffen
Die aktuellen Meldungen aus Israel und dem Gaza-Streifen lassen auch den Mainzer Archäologen Zwickel verzweifeln: "Es bringt mich zum Heulen." Natürlich wisse er, dass angesichts von Tod und Leid der Zivilbevölkerung Archäologie gerade nicht das wichtigste Problem der Menschen in der Krisenregion sei.
Wie ein Frieden in der Region aussehen könnte, kann der Wissenschaftler, der mit Israelis und Palästinensern zusammenarbeitete, sich nach den jüngsten Ereignissen weniger denn je vorstellen. Und trotzdem plant er schon seinen nächsten Flug für den kommenden April.
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