Man scrollt nichtsahnend durch Social Media – und plötzlich taucht ein Video auf, in dem eine junge Frau freudestrahlend erzählt, wie glücklich sie sei, weil sie dünn ist. Man muss kein*e Therapeut*in sein, um da Alarm zu schlagen.
Doch für viele Jugendliche sind solche Inhalte Teil ihres digitalen Alltags. Und besonders problematisch wird es, wenn Körperbilder nicht offen propagiert, sondern subtil vermittelt werden – etwa durch vermeintlich harmlose Motivationsvideos oder unkommentierte Vorher-Nachher-Clips.
Denn: Dahinter steckt ein Trend, der in den letzten Monaten massiv an Sichtbarkeit gewonnen hat. Unter dem Hashtag #skinnytok teilen Influencer*innen und Nutzer*innen ihre Tipps rund ums Dünnsein – inklusive Aussagen über angebliche Glücksgefühle, die man nur verspüre, wenn man schlank genug sei.
Das erinnert stark an die frühen 2000er: Als Formate wie Germany’s Next Topmodel erstmals über die Bildschirme flimmerten, galten selbst deutlich untergewichtige Teenagerinnen dort als zu moppelig. Die Folge: Viele junge Frauen und Mädchen entwickelten Essstörungen und ein tief gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper.
Rückschritt statt Fortschritt?
Nach Jahren, in denen Bodypositivity, Diversität und Curvy Models sichtbarer wurden, stellt sich die Frage: Rollen wir gerade wieder zurück? Werden Trends wie "Size Zero" und "Heroin Chic" wieder salonfähig?
Zahlen belegen die Brisanz: Laut einem Bericht der Tagesschau ist die Zahl der Essstörungen bei Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren seit der Pandemie um 50 Prozent gestiegen. Als ein wesentlicher Mitverursacher wird immer wieder Social Media genannt.
Selbst eine Journalistin (El Leykauf), die sich für ein SWR-Format intensiv mit "SkinnyTok" beschäftigte, berichtet von einer spürbaren Veränderung ihres Selbstbilds – trotz gesunder Einstellung zu Körper und Ernährung. Nach stundenlangem Konsum dieser Videos fragte auch sie sich plötzlich: Bin ich eigentlich schlank genug? Esse ich zu viel?
Denn in einigen Clips fallen drastische Aussagen wie:
"Wenn du skinny sein willst und skinny bleiben willst, dann gewöhn dich daran zu hungern. Leg dein Essen weg."
TikTok reagiert – zumindest teilweise
Dass solche Aussagen gefährlich sind, ist unbestritten. Ende April drängten mehrere EU-Staaten TikTok dazu, härter gegen solche Inhalte vorzugehen. Zunächst verteidigte sich das Unternehmen mit dem Hinweis, man verlinke bereits auf Hilfsangebote, wenn Nutzer*innen etwa nach Begriffen wie "Anorexie" (also Magersucht) suchen.
Die französische Digitalministerin Vanessa Matz nannte den SkinnyTok-Trend jedoch eine "große Gefahr für die geistige und körperliche Gesundheit von Jugendlichen".
Der Druck zeigte Wirkung: TikTok hat mittlerweile den Begriff #skinnytok gesperrt. Wer danach sucht, wird nun auf eine Informationsseite mit Hilfsangeboten weitergeleitet.
Dort heißt es unter anderem:
"Wenn du Fragen zur Körperwahrnehmung, zum Essen oder zu körperlicher Bestätigung hast, ist es wichtig, dass du Folgendes weißt: Es gibt Hilfe – und du bist nicht allein."
Zudem verweist die Plattform auf Ressourcen wie Notrufnummern, Informationen zu Essstörungen, Tipps zur Früherkennung und Hinweise, wie man Betroffene unterstützen kann. Bisher sind allerdings nur einige Länder wie Frankreich oder Italien aufgelistet – Deutschland fehlt bislang.
Was bleibt?
Die Sperrung von #skinnytok war überfällig – sie ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber kein Allheilmittel. Denn: Die Inhalte verschwinden nicht, sie tauchen einfach unter anderen Hashtags oder ganz ohne Bezeichnung auf. Der gefährliche Trend lebt weiter – algorithmusgerecht verpackt.
Darum gilt: Achtet auf euch. Wenn euch solche Videos begegnen, scrollt schnell weiter – damit euch ähnliche Inhalte künftig gar nicht erst angezeigt werden. Auch auf anderen Plattformen wie Instagram oder YouTube sind ähnliche Entwicklungen zu beobachten.
Und vor allem: Sprecht über das Thema. Mit Freund*innen, mit Familie, mit Menschen, die vielleicht selbst betroffen sein könnten. Hilfe zu suchen ist kein Zeichen von Schwäche – sondern von Stärke.
Hinweis:
Wenn du selbst oder jemand in deinem Umfeld von Essstörungen oder verzerrtem Körperbild betroffen ist – sei es durch Social Media oder andere Einflüsse – holt euch Hilfe. Beratungsstellen, Ärzt*innen und psychologische Dienste unterstützen vertraulich und professionell.
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