Münchens Sozialszene bekommt ein neues Gesicht: Andrea Betz von der Inneren Mission wird ab 1. Oktober Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (Arge Freie) München. Damit übernimmt die 39-Jährige das Amt, das mit großem Einfluss auf die Münchner Sozialpolitik verbunden ist, von Innere-Missions-Vorstand Günther Bauer. Turnusgemäß bis Ende 2020 spricht sie dann für die Arge Freie, der die sechs großen Sozialverbände angehören: Innere Mission, Caritasverband, Israelitische Kultusgemeinde, Arbeiterwohlfahrt, Rotes Kreuz und Paritätischer Wohlfahrtsverband. Diese haben insgesamt mehr als 600 Mitgliedsorganisationen und beschäftigen knapp 21.000 Menschen. Bauer geht zum März in den Ruhestand und hat sich nach eigenem Bekunden entschlossen, das Arge-Amt mit Blick auf die anstehende Kommunalwahl bereits zum Oktober an Betz abzugeben. Betz leitet seit vier Jahren die Migrationsabteilung der Inneren Mission.

 

Frau Betz, wie fühlt es sich an, plötzlich soviel Verantwortung zu haben?

Betz: Ich freue mich, weil es meine Grundmotivation ist, mich für benachteiligte Menschen einzusetzen. Ich möchte weiterhin denen eine Stimme geben, die sonst nicht gehört werden. Es geht mir um die Würde und das Wohl der Menschen, um gerechtere Bedingungen und strukturelle Verbesserungen. Das hat mich auch schon in der Flüchtlingsarbeit angetrieben. Dabei ist mir wichtig, die Themen fachlich intensiv aufzubereiten. Sie schlummern bei den 21.000 Mitarbeitenden der Verbände. Diese haben hohe Expertise und wissen, was die Menschen brauchen - wie etwa der Streetworker bei den Obdachlosen oder die Schulsozialarbeiterin.

 

München hat ein starkes soziales Netz, doch zugleich zeigen sich hier viele Probleme wie im Brennglas. An welche Verbesserungen denken Sie?

Betz: Ich wünsche mir eine Gesellschaftsform, in der sich alle gegenseitig akzeptieren. In der sich niemand mehr wegdreht, wenn er einen Menschen mit Handicap oder anderer Hautfarbe sieht. Eine Gesellschaft, die geprägt ist von hohem gegenseitigem Respekt. Es müssen die strukturellen Bedingungen gerechter werden, etwa dass alle Menschen von ihrer Arbeit leben können und bezahlbaren Wohnraum haben. Ich bin dankbar, dass München viel ins Soziale investiert. Andererseits müssen wir gut hinschauen, damit Ökonomisierung und Verwaltung soziale Organisationen nicht von ihrem Kernauftrag abhalten, und fachlich präzise diskutieren, wo genau das Geld hinfließen soll. Beispiel: Es ist gut, Lebensmittelprojekte zu loben. Andererseits muss man fragen, wie es sein kann, dass dort jede Woche tausende Menschen versorgt werden müssen - anstatt die Ursachen der Armut zu bekämpfen. Es triggert mich auch, wenn Kinder und Jugendliche nicht die gleichen Chancen haben.

 

Woher kommt Ihr starkes soziales Engagement?

Betz: Meine hohe Sensibilität für benachteiligte Menschen kommt aus meiner Zeit in der kirchlichen Jugendarbeit. Ich habe Soziale Arbeit studiert, und mir war ohne Zweifel immer klar, dass das mein Weg ist. Acht Jahre habe ich bei der Caritas gearbeitet, Sozialberatung im Münchner Stadtteil Hasenbergl gemacht, Projekte und später Altenhilfe-Einrichtungen geleitet. Beim Evangelischen Hilfswerk habe ich den Bereich Wohnungslosenhilfe für Frauen und Familien verantwortet, bevor ich die Flüchtlings- und Migrationsabteilung bei der Inneren Mission übernahm. Mich erfüllt das Gefühl, etwas Gutes für die Menschen bewirken zu können, wenn man an kleinen Schräubchen dreht und gleichzeitig die großen Zusammenhänge nicht aus den Augen verliert - wenn es etwa gelingt, einer Flüchtlingsfamilie eine bessere Unterbringung zu verschaffen.