"Rotstrick" ist kein Liebes-, kein Briefroman, sondern ein Zeitzeugnis, wie die DDR mit jungen, kritischen Menschen umgegangen ist. Und eine Geschichte, die nicht nur Liebenden heute noch Hoffnung machen kann.

Wie wäre wohl das Leben von Astrid und Mathias Kreibich verlaufen, hätten sie damals, 1984, sitzend an der Schleuse in Kleinmachnow bei Potsdam gewusst, dass die Freiheit im Westen nur wenige Meter entfernt lag, da es dort ein geheimes Loch in der Mauer gab, durch das Agenten im geteilten Deutschland die Seiten wechselten? Und wäre Mathias bei seiner lebensgefährlichen Flucht im Wald nicht gefangen genommen worden – hätten sie eine gemeinsame Zukunft gehabt?

Fest steht: Das junge Paar hatte sich gerade getrennt, als Mathias verhaftet wurde. Der Briefwechsel, der zwischen den beiden sich jetzt wieder Annähernden folgte, entfachte nicht nur eine neue Liebe. Geschrieben wurden verklausulierten Botschaften, ahnend, dass jemand die Zeilen mitlesen werde. "Mathias hatte eine Seite zur Verfügung, schrieb die bis auf den letzten Millimeter voll", erinnert sich die Autorin. Die wenigen erlaubten Besuche, bei denen sie grundsätzlich ein rotes Strickkleid – daher der Titel – trug, erfolgten unter Aufsicht, Versorgungspäckchen (maximal drei Kilogramm schwer) wurden ins Gefängnis mit penibel vorsichtig gewählten Inhalten und mancher risikobehafteten Beigabe geschickt.

Poesie gegen die Zwänge der Diktatur

Die Briefe sind voller Poesie, voller Hoffnung, voller sorgsam gewählter Worte. "Unsere Generation war beseelt von den Dichtern aus Weimar und Jena. Wir wollten mit poetischer Sprache bewusst einen Gegenpol zum grauen Amtsdeutsch der DDR setzen. Aber auch sicherstellen, dass nicht jeder einfache Staatsdiener so genau herausliest, was wir uns mitteilen wollen." Die Texte drücken aber auch ein trotziges Aufbegehren gegen einen Staat aus, der auch die jungen Menschen drangsalierte, sie ausspähte und ihnen jegliche Freude nehmen wollte.

"Ein Zeitzeugnis, auch ein stückweit Aufarbeitung der eigenen Geschichte", sagt Astrid Kreibich heute. Dass ihr Buch entstanden überhaupt entstanden ist, liegt zum einen daran, dass sowohl ihr Mathias die Briefe während der Haft wie seinen Augapfel hütete beide sie aufhoben. Zum anderen aber daran, dass Astrid Kreibich nach über 30 Jahren als Ausbilderin für Referendare im Schuldienst im Fach Geschichte an der Akademie Faber-Castell in Stein ein Weiterbildungsstudium "Literarisches Schreiben" absolvierte – und schlichtweg einen Abschlusstext brauchte. So kam es, dass sie mit 60 Jahren nun ihr Erstlingswerk vorlegt. "Das Buch musste raus, es war immer in mir", erklärt sie.

Mit einem "Politischen" eingelassen

Die originalen Briefe verwebt sie mit kurzen Texten, die Erinnerungen widerspiegeln oder in die Zeit nach der Wende bis hin zur Gegenwart führen. Da werden die quälenden Verhöre mit DDR-Beamten erinnert, die der damals 24-Jährigen doch dazu raten wollen, sich doch nicht an einen "Politischen" zu ketten, dessen Zukunft ungewiss sei. "Das war durchaus eine Entscheidung für mich als Frau Mitte 20, vom Stigma der Volksverräterin mal abgesehen", meint sie. Die Autorin berichtet aber auch vom Schaudern, das ihren Mathias befallen hat, als sie Jahrzehnte später das einst geteilte Dorf Mödlareuth auf der Grenze zwischen Thüringen und Bayern besuchten. Ebenso von den ewigen Schriftwechseln und Anwaltsbesuchen, als die BRD sich dazu entschlossen hatte, Mathias Kreibich aus der Haft freizukaufen. Oder vom Erleben des Mauerfalls, bereits in Zweisamkeit vereint, in einem Hotelzimmer. "Das war so unwirklich, wir trauten dem Frieden nicht."

Frieden haben die Beiden in Nürnberg gefunden, wo beide ihr Studium vollendet haben. Astrid Kreibich als Dozentin, ihr Mann als selbstständiger Architekt. Nürnberg sei für das junge Paar schon in der DDR ein Sehnsuchtsort gewesen – gerade wegen seiner Historie. Hier zogen sie ihre drei mittlerweile erwachsenen Kinder groß, hier lernten sie auch Andrea Franke kennen – damals Schulleiterin des Nürnberger Gymnasiums, das die Kinder besuchten, mittlerweile Vertrauensfrau des Kirchenvorstands St. Sebald.

So kam auch die Lesung im Zuge der Reihe "Eine gute halbe Stunde" zustande. "Vor Menschen sprechen und dabei auch mal improvisieren, das bin ich gewohnt", lacht sie über ihre neuste Rolle, nachdem sie von der Autorin nun auch zur Leseunterhalterin wird. Auch wenn es natürlich etwas ganz Besonderes ist, aus der eigenen Lebensgeschichte und über authentische Gefühle zu sprechen. Aber die Jung-Autorin will mit ihrem Buch ebenso wie bei ihren Auftritten auch eine Botschaft vor allem an die junge Generation weitergeben: "Freiheit ist ein unglaublich hohes Gut. Ich will davon erzählen, was Freiheit eigentlich bedeutet."

INFO: "Rotstrick" von Astrid Kreibich ist 2024 im Bartlmüllner Verlag (Nürnberg) erschienen, hat 280 Seiten und kosten 25 Euro.

Astrid und Mathias Kreibich 1984 an der Schleuse in Kleinmachnow.
Astrid und Mathias Kreibich 1984 an der Schleuse in Kleinmachnow.

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