Gerhard Schröder ist eine Drei, Günther Jauch eine Sieben und Robert De Niro eine Vier. Mit Zahlenmystik hat diese Zuordnung nichts zu tun - die Nummern stehen für charakterliche Grundzüge, wie sie das Enneagramm vermittelt. Das Persönlichkeitsmodell, das zu den ältesten seiner Art zählt, ordnet die Menschen nach neun Charaktertypen – wie etwa den Perfektionisten, den Macher oder den Helfer.
Das Enneagramm nutzen Psychologen und Therapeuten ebenso wie Personalchefs und Berater. In der evangelischen Kirche hat es seit Jahren einen festen Platz: Das Standardwerk des US-amerikanischen Franziskanerpaters Richard Rohr und evangelischen Pfarrers Andreas Ebert im Münchner Claudius Verlag wurde über 500.000 mal verkauft und in 16 Sprachen übersetzt.
Enneagramm ist Schule der Selbsterkenntnis
"Das Enneagramm ist eine Schule der Selbsterkenntnis, es unterstützt die Menschen bei Problemen oder Umbrüchen im Leben", sagt Ebert. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich der Theologe mit der Materie, er ist Gründungsmitglied des "Ökumenischen Arbeitskreises Enneagramm", schreibt Bücher zum Thema oder bietet Workshops und Seminare an.
Jeder Mensch, so lehrt das Enneagramm, trägt bestimmte Charaktermuster in sich. Grundsätzlich gibt es drei Grundrichtungen: "Herzmenschen möchten anderen Menschen gefallen, sie helfen gerne, um aufzufallen, doch geraten dadurch in die Gefahr, von anderen gelebt zu werden", beschreibt Ebert einen dieser Grundtypen. "Kopfmenschen" hingegen schotteten sich eher ab von der Umwelt und hätten deshalb oft Schwierigkeiten, mit anderen in Kontakt zu treten. "Bauchmenschen" wiederum seien zwar spontan und unmittelbar, doch erschwere ihnen diese Art zuweilen auch den Umgang mit anderen Menschen.
"Das Enneagramm funktioniert nicht wie ein Horoskop", betont Ebert. Der entscheidende Unterschied zu anderen Persönlichkeitsmodellen bestehe darin, dass mit dem Enneagramm an der eigenen Persönlichkeit gearbeitet werden könne. "Die Selbsterkenntnis ist nur der erste Schritt", sagt Ebert, "eigentlich geht es darum, Veränderungsprozesse zu begleiten und Probleme zu lösen". Die Menschen könnten anhand des Modells lernen, besser mit ihren Leidenschaften, Gefühlen und Vorstellungen umzugehen.
Enneagramm ist kein Horoskop
"Helfertypen" beispielsweise würden oft selbst ausbrennen, "weil sie sich nicht genug um sich selbst kümmern", erläutert Ebert weiter. Mit Hilfe des Enneagramms könnten diese Menschen die eigene Fixierung erkennen: "Oft reichen der Schock und die Tränen der Selbsterkenntnis schon, um etwas zu verändern". Zudem liefere das Modell aufgrund seiner Struktur auch Impulse für eine Verhaltensänderung. "Helfertypen" könnten lernen, auch mal loszulassen und andere nicht zu manipulieren.
Für den Theologen passt das Persönlichkeitsmodell auch zum christlichen Glauben. "Das Enneagramm ist für viele Menschen ein Einstieg in die Spiritualität", sagt Ebert. Über die Beschäftigung mit sich selbst würden die Menschen auch über die letzten Dinge wie Sterben, Leid und Tod nachdenken. "Es geht um den Prozess der Erlösung", so Ebert, "und Erlösung bedeutet, dass wir unsere Verletzungen und das Leid tragen lernen müssen" Ob dies Robert de Niro oder Gerhard Schröder so ähnlich sehen, mag bezweifelt werden. Mit sich selbst ist Pfarrer Ebert jedenfalls längst im Reinen: "Ich bin eine Zwei, ich helfe gerne".
Warum hilft uns das Enneagramm in der Corona-Krise?
Die Deutschen horten das Klopapier, die Franzosen kaufen lieber Wein - so lautet derzeit ein verbreiteter Scherz. Kann uns ein Modell wie das Enneagramm helfen, die Auswirkungen und die Krise in Zeiten von Corona zu bewältigen? Claudius-Autorin Claudia Mönius ist davon überzeugt. Sie erklärt im Video, warum sie das Enneagramm nutzt, und schildert, wie sie damit arbeitet.