Wir Menschen sind trostbedürftige Wesen. Schon immer gewesen und stets aufs Neue, in diesen Zeiten merken wir das ganz besonders.

Trost könnte so ähnlich funktionieren wie bei einem Dackel, der verzweifelt winselnd vor einem Geschäft auf Frauchen oder Herrchen wartet, weil er sich nicht sicher ist, ob sie/er je zurück kommt. Als das der Fall ist, springt das Tier außer sich vor Freude an seinem Menschen hoch. Die Sorgen sind vergessen, alles wieder gut.

"Trost – Vier Übungen" ist ein großartig konzipierter Essay

Dieses hübsche Bild findet Hanna Engelmeier in ihrem großartig konzipierten Essay "Trost – Vier Übungen" dafür, wie Trost optimalerweise funktionieren könnte. Dabei gehe es, schreibt sie, um den Moment, "in dem das Winseln und Fiepen und Heulen aufhört". An der Dackel-Szene interessiert sie, wie Verzweiflung in Ruhe umschlägt, Kummer in Seelenfrieden.

Doch so einfach ist es bei erwachsenen Menschen nicht. Der Dackel ist ein Gedankenmodell, das Hanna Engelmeier, die Kulturwissenschaftlerin, auf seine Tragfähigkeit abklopft und dann zu dem Ergebnis kommt: Passt doch nicht so gut. Denn natürlich ist nach dem Trost nicht alles wieder gut (das ist es ja nie), außerdem reagiert der Dackel reflexartig.

Schreiben, Hören, Beten und Lesen

"Das bedeutet nicht, dass Erwachsene untröstlich sind", schreibt Engelmeier. "Aber ihr Trost ist ein anderer, er hat sich vom Reflex zur Reflexion verschoben."

Genau hier, bei der Reflexion, setzt Hanna Engelmeier an. In ihrem Essay zeigt sie, aus welchen Dingen wir Trost beziehen können. Worin sie selbst Trost findet, nämlich "in dem Zusammenfall von Schreiben, Hören, Beten, Lesen", das sind die vier Übungen, auf die der Untertitel verweist.

Hanna Engelmeier webt eine Patchworkdecke

Die funktionieren aber nicht nach dem Schema Backrezept: Lies das, höre jenes, tue anderes, dann geht‘s dir besser. Sondern assoziativ, mäandernd.

Ein intellektuell so vergnügliches wie forderndes Unterfangen: Engelmeier webt in ihrem Essay eine Patchworkdecke aus ganz unterschiedlichen Textflicken, verbindet Populär- mit Hochkultur, erzählt  Persönliches, fügt witzige Perlen ein und zieht ungewöhnliche, aber kein bisschen abwegige Details heran – etwa wenn sie Adorno ein Eis in der Waffeltüte in die Hand drückt (eine Eiswaffel hat der Philosoph mal in einer unbekannteren Rede in der nordhessischen Provinz selbst ins Spiel gebracht).

Rilkes "Briefe an einen jungen Dichter" stellt sie neben die Kummerkasten-Kolumne der amerikanischen Autorin Cheryl Strayed. Erzählt, wie ihr die Stimme des verstorbenen US-Autors David Foster Wallace Trost zu spenden vermag, sie sich deshalb beim Bus- oder Radfahren immer wieder dessen Rede vor College-Absolvent*innen ("eine säkulare Predigt") auf dem Handy anhört. So wie früher, als Kind, das Hörspiel "Aristocats".

"Denn darin liegt auch ein Ausweg: durch das Zuhören weiter von sich wegkommen im Jetzt, dabei aber näher ran an eine irgendwie bessere Version des Selbst, die ein anderer im Angebot zu haben scheint",

schreibt Engelmeier.

Im Kapitel "Alles muss man selber sagen" setzt sich die 38-Jährige mit Gebeten auseinander. Beten beherrsche sie nicht, sagt Engelmeier: "Ich kenne nur wenige Gebete, und sie zu sprechen kommt mir sehr kompliziert vor."

Mithilfe von Clemens Brentano, Johanna von Orleans und ihrer verstorbenen Tante Hety, Oberstudienrätin für Religion, findet sie zu einer Form von Gebet. Das entspricht vermutlich nicht dem klassischen Gebetsverständnis, ist aber vor allem: ihr Gebet.

Trost unter Trostpflaster-Verdacht

Wobei das mit Trost ja so eine Sache sei, gibt Engelmeier zu bedenken: "Der durchaus nicht einwandfreie Ruf von Trost liegt in dem Verdacht, er könne immer bloß manipulativ oder Ablenkungsmanöver sein, siehe: Trostpflaster." Und sie selbst habe auch lange geglaubt, es sei verwerflich, weil funktionalisierend, Musik und Texte so zu gebrauchen "wie man Glückssocken anzieht".

Adorno etwa sei – was für eine wunderbare Formulierung: Der größte "Feind jeder Art von gemütlichem Beisammensein mit Kunst, besonders aber solcher Kunst, die zum gemütlichen Beisammensein einlädt".

Adorno, die Eiswaffel und der Trost

Aber Adorno war da gespalten, das zeigt das starke letzte Kapitel, in dem Hanna Engelmeier dem Philosophen die Eistüte mit Vanille und Schokolade andreht. Einerseits sah Adorno Trost als Betäubungsmittel, als kritikwürdiges Produkt der Kulturindustrie. Andererseits sagte er etwa über die Musik Mahlers: "Ihren wahren Trost hat sie an der Kraft, der absoluten Verlorenheit ins Auge zu sehen, die Erde zu lieben, wenn keine Hoffnung mehr ist."

Eine Form von Trost erwähnt Hanna Engelmeier nicht, die ist ihrem hübschen Buch eingeschrieben – in der elegant-schlichten Umschlaggestaltung in Grasgrün und Rosarot. Auch schön gestaltete Dinge können Trost spenden.

"Trost – Vier Übungen"

Hanna Engelmeier

Verlag: Matthes & Seitz Berlin

Seitenzahl: 198 Seiten

ISBN: 978-3-7518-0033-4

20,00 Euro

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