Matthias Erzberger war gerade dabei, einem Parteifreund bei einem Spaziergang im Schwarzwald seine Vorschläge für die Lösung der Wohnungsnot zu erläutern, als sie von zwei Männern eingeholt wurden.

Einer der Männer zog plötzlich eine Pistole und begann zu schießen. Erzberger sprang die Böschung neben der Straße hinab, stürzte und blieb verletzt hinter einer Tanne liegen. Mindestens fünf Mal feuerten die Männer noch auf ihn. Erzberger starb an jenem Tag, dem 26. August 1921. Die beiden Männer handelten im Auftrag eines rechtsextremen Geheimbundes, der von einer Zentrale in München aus operierte.

Ermordung Erzbergers rief Hunderttausende Menschen auf die Straße

Die Ermordung des früheren Ministers und Vizekanzlers löste Entsetzen und Begeisterung gleichermaßen aus.

Matthias Erzberger hatte sich für ein Ende des Ersten Weltkriegs eingesetzt und nach der Gründung der Weimarer Republik eine Steuerreform eingeführt, die Kriegsgewinne und Reichtum schwerer belastete. Seine Unterstützer sahen in ihm einen Friedensmacher und Fürsprecher des einfachen Volks. Für Nationalisten und die alten Eliten war er ein Verräter.

Nach seiner Ermordung gingen überall in Deutschland Hunderttausende Menschen auf die Straße. Die Tat wurde auch als Anschlag auf die junge Weimarer Republik, die Erzberger verkörperte, gesehen. Sein Tod machte vielen die Gefahr rechter Hetze und die Zerbrechlichkeit der neuen Demokratie deutlich.

Erzberger kritisierte auch Kolonialpolitik

Erzberger, 1875 geboren im schwäbischen Buttenhausen südlich von Stuttgart, war Mitglied der katholischen Zentrumspartei und entwickelte sich nach seiner Wahl zum Reichstagsabgeordneten um die Jahrhundertwende schnell zu einem der einflussreichsten Politiker in Berlin.

Er setzte sich für die Belange der Arbeiter und der einfachen Bevölkerung ein - ein Novum bei den konservativen Parteien damals.

Mit seiner publikumswirksamen Kritik an der Kolonialpolitik verärgerte er die Regierung des Kaiserreichs, die ein Parlament von Honoratioren gewohnt war. Er kritisierte unter anderem die hohen Ausgaben in den Kolonien und die unmenschliche Behandlung der einheimischen Bevölkerung und forderte mehr Mitsprache des Parlaments in der Außen- und Kolonialpolitik.

Der Politiker setzte sich öffentlich für das Ende des Ersten Weltkriegs ein

Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, war Erzberger zunächst ein glühender Unterstützer des Militärs.

Als sich immer deutlicher zeigte, dass das Deutsche Reich den Krieg nicht gewinnen würde, setzte er sich jedoch als Erster öffentlich für Verhandlungen über ein Ende der Kämpfe ein. Bereits im Juli 1917 wollte er mit einer Resolution die Regierung zur Einleitung von Friedensverhandlung bewegen.

Im Reichstag müsse sich eine riesige Mehrheit hinter die Idee eines Friedens durch Ausgleich stellen, rief er den anderen Abgeordneten in einer Rede zu. Es sollte jedoch noch mehr als ein Jahr dauern, bis im November 1918 schließlich um Waffenstillstand gebeten wurde. Erzberger, damals Staatssekretär ohne Aufgabenbereich, wurde nach Frankreich geschickt, wo er das Abkommen am frühen Morgen des 11. November unterzeichnete.

Erzberger machte sich für Akzeptanz des Versailler Vertrags stark

Nach dem Ende der Kämpfe brachte Erzberger die Regierung außerdem trotz großem Widerstand dazu, 1919 die harten Bedingungen des Versailler Vertrags zu akzeptieren.

Er wollte damit die Wiederaufnahme der Kämpfe und das Auseinanderbrechen des Deutschen Reichs verhindern, das im Falle einer Ablehnung gedroht hätte. In den darauffolgenden Jahren als Finanzminister setzte Erzberger eine Reform des Steuerwesens durch, deren Errungenschaften - unter anderem eine zentrale Steuerverwaltung - in Grundzügen heute noch bestehen.

Militärs und Nationalisten brandmarkten den Politiker als Verräter und Verbrecher

Spätestens seit seinem Einsatz für ein friedliches Ende des Weltkriegs zog Erzberger den Hass des Militärs und der Nationalisten auf sich, die an einem "Siegfrieden" festhalten wollten. Sie warfen ihm vor, den Soldaten in den Rücken zu fallen und begannen eine Hetzkampagne - die Legende des Dolchstoßes war geboren.

In Zeitungsartikeln und Reden wurde Erzberger als Verräter und Verbrecher gebrandmarkt, der beseitigt werden müsse. Aus Worten wurde immer stärker eine echte Bedrohung: Erzberger überlebte mehrere Anschläge, bevor er im August 1921 schließlich von Auftragsmördern einer rechtsextremen Untergrundorganisation erschossen wurde.

Mehr als 300 rechtsgerichtete Morde wurden bis Juni 1922 gezählt

Erzbergers Tod sollte nur der Auftakt einer Mordkampagne gegen Vertreter der Republik sein: Ein knappes Jahr später wurde Außenminister Walther Rathenau ebenfalls auf offener Straße erschossen, bis Juni 1922 wurden insgesamt mehr als 300 rechtsgerichtete politische Morde begangen.

Aus aus einer vergifteten Stimmung, einem Klima des Hasses auf Eliten, den Staat und einzelne Politiker wurde eine Gefahr für die Stabilität des Landes. Erzbergers Parteifreund und Reichskanzler Joseph Wirth sprach vom Gift, das in die Wunden des Volks geträufelt werde: "Da steht der Feind", sagte er und wies im Reichstag zu den nationalistischen Parteien. "Dieser Feind steht rechts."