In diesem Frühjahr rollt zwei Monate lang eine besondere Straßenbahn durch Augsburg. Zu sehen ist darauf eine Frauen-Demonstration. Die von der Augsburger Comiczeichnerin Lisa Frühbeis gestaltete Tram soll an Frauen erinnern, die ihre Rechte auf der Straße durchsetzten. Die Bahn ist Teil der Ausstellung "Schalom Sisters", die das jüdische Museum Augsburg an mehreren Orten zeigt.
Anlass ist das bundesweite Festjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland". Starten soll die Schau, sobald die Museen wieder öffnen. Ihr Thema ist die Rolle der Frau und des Feminismus im Judentum. Die Ausstellung räume auf mit Klischees und Vorurteilen, die es in Deutschland über jüdisches Leben gebe – und über jüdische Frauen, sagt die Leiterin des Museums Barbara Staudinger.
Frau Staudinger, was ist das typische Klischeebild, das Deutsche von jüdischen Frauen haben?
Barbara Staudinger: Die allermeisten Deutschen kennen überhaupt keine Jüdinnen. Das typische Bild, das sie von ihnen haben, ist daher: Jüdinnen sind alle religiös, sie ehren den Sabbat und essen nur koscher. Das trifft aber nicht auf alle zu, und macht Juden erst recht zu Fremden. Judentum und jüdisches Leben sind vielfältig – genauso wie das Leben jüdischer Frauen. Diese Vielfalt wird aber zu wenig gesehen.
Wie äußert sich das?
Staudinger: Wenn Sie zu jemandem, der nicht jüdisch ist, sagen: Fotografieren Sie jüdisches Leben, dann kommt er meist zurück mit dem Bild eines orthodoxen jüdischen Mannes. Wenn Sie ihn dann fragen, warum er keine weltlichen Jüdinnen und Juden fotografiert hat, sagt er: Die erkennt man ja nicht. Aber genauso diese Botschaft wäre wichtig: Jüdisches Leben ist keine Entität. Nicht alle Juden leben gleich "jüdisch". Das geht weit auseinander. Das gilt auch für jüdische Frauen.
Wie groß ist da die Bandbreite?
Staudinger: Es gibt das orthodoxe Judentum, in dem Frauen zum Teil früh verheiratet werden oder nicht die Ausbildung machen können, die sie vielleicht wollten. Aber es gibt eben auch das liberale Judentum, wo Frauen gleichberechtigt sind, wo sie jedes Amt innehaben können, etwa auch das einer Rabbinerin. Und es gibt viel dazwischen. Wichtig ist aber, dass es überall Frauen gibt, die sich für mehr Gleichberechtigung einsetzen. Diese Frauen bekommen in der Ausstellung ein Gesicht.
Wie wichtig ist der Kampf für mehr Frauenrechte im Judentum?
Staudinger: Er ist überall wichtig – nicht nur im Judentum. Wenn sie sich umschauen in der Welt, dann sehen Sie: Frauenrechte werden ständig beschnitten. Nehmen Sie die Corona-Krise: Am Ende zahlen vor allem die Frauen drauf, weil sie es sind, die im Zweifel beim Job zurücktreten. Aber natürlich spielt beim Thema Frauenrechte die traditionelle männliche Dominanz im Judentum eine Rolle.
Woran macht sich diese Dominanz fest?
Staudinger: Vor allem in der Fortsetzung frauendiskriminierender Traditionen. Aber auch unser Blick auf jüdische Geschichte ist durch die männliche Perspektive geprägt. Die historischen Protagonisten sind fast ausnahmslos Männer. Wenn wir jetzt 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland feiern, werden wieder fast nur Männer gefeiert – kaum Frauen. Das wollen wir mit unserer Ausstellung ändern: Wir feiern die Frauen.
Verschiedene Ausstellungsorte
Die Ausstellung "Schalom Sisters" findet an mehreren Orten in Augsburg statt. Sie soll nach dem Lockdown öffnen. In der ehemaligen Synagoge im Stadtteil Kriegshaber ist das Verhältnis von Feminismus und jüdischer Tradition das Thema. Im staatlichen Textil- und Industriemuseum (TIM) erhalten Besucher Einblick in Leben und Arbeit jüdischer Feministinnen, wie etwa der im vergangenen Jahr verstorbenen US-Richterin Ruth Bader-Ginsburg. Im Augsburger Fotogeschäft Tezel zeigt eine Schaufenster-Ausstellung die Geschichte des "Ateliers Elvira". Um 1900 war der kleine Foto-Laden zusammen mit seinem Hauptgeschäft in München eine Keimzelle der Frauenrechtsbewegung in Süddeutschland.