"Die machen erst um zehn auf", sagt ein Mann, der in seinem Rollstuhl vor der Tür der Nürnberger Bahnhofsmission wartet. Schlag zehn Uhr kommt Marga Moosmann in ihrer himmelblauen Weste durch die Tür und reicht dem Wartenden einen Becher Tee und ein belegtes Brot auf einem Tablett.

Coronabedingt finden viele Begegnungen sozusagen zwischen Tür und Angel statt. Verpflegung wird to-go an die Gäste der Bahnhofsmission ausgegeben, und die Zahl der Personen, die sich im Aufenthaltsraum aufhalten darf, ist auf ein Drittel beschränkt.

Bahnhofsmission in Nürnberg versorgt bedürftige Menschen

Die etwa 35 ehrenamtlichen Mitarbeitenden versorgen bedürftige Menschen mit dem Nötigsten - neben Verpflegung gibt es eine kleine Kleiderkammer und die Möglichkeit der Beratung. Frau Moosmann ist seit über 20 Jahren ehrenamtlich für die Bahnhofsmission tätig.

"Das hat mein Leben bereichert. Ich habe auch gelernt, für das, was ich zu Hause habe, mein warmes Bett und das Umfeld, sehr dankbar zu sein, weil es ganz viele Menschen gibt, die das nicht haben",

erklärt sie. Nun schreibt sie in eine Dokumentation, was sie gerade an den Mann ausgegeben hat und wie sie seine soziale Lage einschätzt.

Immer mehr Menschen benötigen Hilfe

Derzeit sei spürbar, dass die Armut grundsätzlich steige sowie die Zahl der Menschen, die unter psychischen Problemen litten, sagt Anita Dorsch, die Leiterin der Nürnberger Bahnhofsmission. Auch für ukrainische Geflüchtete sei die Bahnhofsmission eine erste Anlaufstelle geworden, in der sie Tickets für Weiterfahrten und Hinweise auf Unterbringungsmöglichkeiten erhalten konnten.

Gerade stellen sie bei der sozialen Einrichtung fest, dass wieder mehr Menschen eine Umstiegshilfe benötigen - eine Auswirkung des Neun-Euro-Tickets. Dabei zeige sich auch, dass es noch einen deutlichen Nachholbedarf in Sachen barrierefreies Reisen gebe, erklärt Dorsch. Aufzüge fielen öfter aus, immer noch bedeute der berühmte Spalt zwischen Tür und Bahnsteigkante für Menschen mit Rollstuhl oder Kinderwagen ein unüberwindbares Hindernis.

Die Bahnhofsmission betreut Reisende und Menschen im Bahnhof

Vor allem zwei Zielgruppen sind es, um die sich die ökumenisch getragene Bahnhofsmission kümmert: Eine Gruppe sind Reisenden, die beim Um- und Aussteigen Unterstützung benötigen. Außerdem bietet die Bahnhofsmission auf Reisen in Regionalzügen, die drei bis vier Stunden dauern, eine Reisebegleitung an. Das können Kinder, die allein unterwegs sind, ältere Menschen, die sich nicht mehr zutrauen, allein mit dem Zug zu fahren, oder Menschen mit sonstigen Einschränkungen bekommen. Dieses Angebot wurde coronabedingt unterbrochen, soll aber ab August wieder aufgenommen werden.

Die zweite Zielgruppe sind die Menschen, die sich im Bahnhof und darum herum aufhalten, erklärt Dorsch. Sie plagen oft Suchtprobleme, psychische Krankheiten oder finanzielle Schwierigkeiten. Für solche Leute ist die Bahnhofsmission die Anlaufstelle, die an andere soziale Einrichtungen vermittelt.

"Egal ob jemand vom ICE kommt und genug Geld hat oder ob jemand einfach nichts hat - jeder kriegt. Wir kontrollieren nicht, ob jemand arm oder bedürftig ist oder eben nicht",

erklärt Leiterin Dorsch. "Wir gehen davon aus, der wird schon seinen Grund haben, dass er vorbeikommt."

Geschichte der Bahnhofsmission reicht bis an das Ende des 19. Jahrhunderts

Ende des 19. Jahrhunderts waren es ehrenamtliche Frauen aus dem Bürgertum, die Frauen, die vom Land kamen, um in der Stadt Arbeit zu finden, am Bahnhof in Empfang nahmen. Von dort wurden sie in Frauenwohnheime weitervermittelt und bei der Arbeitssuche unterstützt, um sie vor Ausbeutung und Zwangsprostitution zu schützen.

"Das war so der Grundgedanke der Bahnhofsmission: Schutzraum, Schützen von Frauen",

erklärt Dorsch.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Bahnhofsmission verboten, konnte aber direkt nach Kriegsende wieder ihre Arbeit aufnehmen. In der Nachkriegszeit war diese dann Anlaufstelle für viele flüchtende Menschen - allerdings nur in Westdeutschland, in der DDR waren Bahnhofsmissionen auch später noch nicht zugelassen, erzählt Dorsch.

Was über die letzten 125 Jahre gleichgeblieben ist, sind die Hinweise auf soziale Veränderungen in der Gesellschaft, die nach wie vor zuerst in den Bahnhofsmissionen spürbar werden.

"Man sagt auch immer, das ist so was wie ein Seismograf von Bedürftigkeit. Sprich, wenn sich irgendwas ändert in der Gesellschaft, kommt das oft als Erstes in der Bahnhofsmission an."