Am Anfang waren es nur 13 vergilbte Führerscheine – am Ende wurden sie zu greifbarer Geschichte: Nach der Reichspogromnacht 1938 hatte ein Erlass von Heinrich Himmler, oberster Polizeichef des NS-Regimes, alle Juden zur Abgabe ihrer Führerscheine gezwungen, darunter auch 13 aus dem Landkreis Lichtenfels. 2017 stießen Landratsamt-Mitarbeiter bei der Digitalisierung alter Akten auf einen Umschlag mit den 13 Führerscheinen. Landrat Christian Meißner (CSU) übergab diese dem Meranier-Gymnasium. Unter Leitung von Studiendirektor Manfred Brösamle-Lambrecht erforschten dort Schüler des P-Seminars "Geschichte" die Lebenswege der 13 Führerschein-Inhaber.
"Jeder von uns suchte sich einen Führerschein aus. Wir wussten nicht, worauf wir uns einlassen", erklärt die Gymnasiastin Francesca Schütz bei der Ausstellungseröffnung, die derzeit in Kooperation des Evangelischen Bildungswerks (EBW) Kronach-Ludwigsstadt-Michelau und dem Aktionskreis Kronacher Synagoge zu sehen ist. Die Seminaristin entschied sich für Leo Banemann: ein Kaufmann, der mit seinem Bruder das kleine Metzgereibedarf-Unternehmen des verstorbenen Vaters führte; ein treusorgender Ehemann und Vater einer kleinen Tochter; ein Ordensträger, der im Ersten Weltkrieg von 1916 bis 1918 an der Westfront kämpfte.
"13 Führerscheine - 13 Schicksale" von Gymnasiasten erarbeitet
Seinen Führerschein macht er am 29. Juni 1925. Der Familie geht es sehr gut. Sie ist voll im gesellschaftlichen Leben in Burgkunstadt integriert. Das ändert sich mit Beginn der NS-Diktatur. Zunehmende Repressalien gegen Juden führen zu gesellschaftlicher Isolation. Während der Novemberpogrome wird das Haus der Banemanns von fanatisierten Nazis heimgesucht. Am nächsten Tag wird Leo Banemann wie alle anderen jüdischen Männer als "Schutzhäftling" in das Gefängnis in Hof verfrachtet. Das eigentliche Ziel Dachau war überfüllt. Erst nach Wochen werden die Männer entlassen.
Im April 1939 schafft es die Familie gerade noch rechtzeitig, Deutschland zu verlassen und nach Baltimore zu gelangen. Ihren Besitz müssen sie zurücklassen. Aber sie kommen mit dem Leben davon wie auch weitere sieben dieser Führerschein-Inhaber; fünf wurden ermordet. "Sie schrieb, sie habe Tränen in den Augen – der Freude und der Wut", erinnert sich Schütz an den ersten Kontakt mit der Enkelin von Leo Banemann. Dieser wie auch weiteren Nachfahren aus aller Welt konnten sie in Lichtenfels die Führerscheine persönlich übergeben – zutiefst bewegende Momente für alle Beteiligten.
Dekanin Richter: Zugang über Personen wichtig
"Die Schülerinnen und Schüler hat die Rekonstruktion der 13 Biografien geprägt und verändert", so EBW-Leiter Joachim Wegner. Sie seien Menschen begegnet – Lebenden und Gestorbenen, die sie beeindruckt, ermutigt, gefordert und ihnen geholfen haben. Tief beeindruckt zeigte sich Dekanin Dorothea Richter. Ihrer Meinung nach bekämpfe man Antisemitismus am besten, indem man Einzelschicksale aufzeige. "Der Zugang über Personen erscheint mir sehr wichtig", betonte sie.
Christian Porzelt, der sich in seinem Studium schwerpunktmäßig mit jüdischer Geschichte beschäftigt hat, stellt die Ergebnisse neuer Nachforschungen in Kronach vor. Die ersten Führerschein-Inhaber waren Geschäftsleute beziehungsweise Personen, die einen Führerschein beruflich brauchten. Bis zum Ersten Weltkrieg hatten nur 33 Personen in Kronach einen Führerschein. An 16. Stelle stand der jüdische Kaufmann Julius Obermeimer. Nach dem Krieg nahm die Anzahl stark zu. 1924 gab es 49, 1925 schon 127 Neuanmeldungen. Weibliche Führerschein-Besitzerinnen waren die Ausnahme. Ende 1920 waren es weniger als ein Dutzend in Kronach.
Ausstellung geht auch nach Amerika und Argentinien
Auf den sehr anschaulich gestalteten Ausstellungsbannern sind nicht nur die Ergebnisse der Recherche zu den 13 Personen zu sehen, sondern auch weitergehende Informationen zur Entwicklung der jüdischen Gemeinden im Landkreis Lichtenfels, zum Führerschein in den 1930er-Jahren, zum Bezirksamt und zu den wenigen Lichtenfelsern, die den jüdischen Mitbürgern halfen. Zur Ausstellung ist ein über 100 Seiten starkes Begleitheft erschienen, das derzeit nachgedruckt wird. Die Ausstellung wird auch ins Englische übersetzt und geht nach Amerika und Argentinien.
Die Ausstellung wurde als bestes P-Seminar in Oberfranken ausgezeichnet. Bayernweit landete es unter den besten vier. "Wir hätten nie gedacht, dass wir eine derartige Wirkung erzielen", meinte Francesca Schütz und ergänzt: "Wir wollen damit einen Teil beitragen, dass so etwas nie wieder passiert und dass das nicht vergessen wird, was nicht vergessen werden darf."
Ausstellungsinfo
Die Ausstellung ist bis zum 9. März 2019 in der Kronacher Synagoge zu sehen. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag und Sonntag 14-17 Uhr, Samstag 10-13 Uhr.