Frau Rössler, der Tod gehört zu Ihrem Berufsalltag fest dazu. Was an Ihrer Arbeit macht Sie zufrieden?

Martina Rössler: Ich kann mir viel Zeit nehmen für meine Patienten. In der SAPV schauen wir den ganzen Menschen mit all seinen Problemen an: mit den medizinischen, aber auch finanziellen, familiären und seelischen. Wir handeln nicht strikt nach Leitlinien, sondern überlegen, was der Patient will und wie wir ihm dabei helfen können. Manche Patienten sagen uns: Das ist das erste Mal, dass jemand nachfragt! Ich spüre dann, dass ich wirklich helfen kann - und darf. Das macht mich zufrieden.

In welchen Momenten empfinden Sie die Arbeit als belastend?

Martina Rössler: Wenn die Beteiligten nicht an einem Strang ziehen. Wenn zum Beispiel ärztliche Kollegen quer schießen und Therapien ohne Sinn verschreiben. Oder wenn die Ehefrau etwas anderes will, als der Patient, für den wir da sind. Es kommt vor, dass sich das SAPV-Team aus der Behandlung zurückzieht, wenn zum Beispiel mehrfach anstatt unserer Notrufnummer der Notarzt gerufen wird. Denn die SAPV behandelt meist keine Ursachen mehr, sondern lindert die Symptome. Uns leitet nicht die Frage, welche Therapien noch möglich wären, sondern die Frage: Was hilft meinem Patienten?

Wie funktioniert Palliativmedizin?

Martina Rössler: Sehr pragmatisch. Wenn unser Patient friert, kriegt er eine Decke. Wir schauen nicht, ob - im übertragenen Sinne - das Fenster kaputt ist oder die Tür nicht ganz schließt, denn das können wir jetzt eh nicht reparieren. Der Patient kriegt eine Decke, weil er friert. In der SAPV brauchen wir nicht viele Diagnostikmöglichkeiten, wir haben kein Labor, wir machen keine Sauerstoffmessungen. Aber wir schauen uns den Patienten an: Hat er eine Luftnot? Dann wird die behandelt. Und wenn er friedlich daliegt und trotz eines schlechten Sauerstoffwerts ganz ruhig schnauft, dann ist der Wert für uns eben nicht relevant. Wir begleiten nicht das Sterben, sondern das Leben unserer Patienten - von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde.

Anfang des Jahres gab es, angestoßen durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, eine Debatte um den assistierten Suizid. Welche Haltung hat die SAPV dazu?

Martina Rössler: Wir können den Suizid-Wunsch in vielen Fällen nachvollziehen, erfüllen möchten wir ihn nicht. Es gibt andere, natürliche Wege, den Tod zuzulassen. Wir wollen lieber die Zeit gut gestalten, die der Patient noch hat. Wir fragen nach, was den Menschen dazu bewegt, sein Leben beenden zu wollen und können Alternativen zur Linderung seines Leidens anbieten.

Palliative Angebote sind heute viel weiter verbreitet als noch vor 20 Jahren. Sind Sie mit der Situation zufrieden?

Martina Rössler: Palliativmedizin hat einen Aufschwung erfahren: Es gibt viel mehr ambulante und stationäre Hospiz- und Palliativangebote, und es gibt das Fach im Medizinstudium. Allerdings wird der palliative Gedanke im ärztlichen Alltag oft noch nicht gelebt. Mediziner möchten Patienten heilen und Leben verlängern - das ist auch richtig so. Dabei wird aber oft übersehen, dass dieses Therapieziel in einer palliativen Situation nicht mehr zu erreichen ist. Da wäre der nächste Schritt zu fragen: Bin ich noch der richtige Facharzt für diesen Menschen? Aber leider ist die Palliativmedizin keine Pflichtstation in der Ausbildung jener Fachärzte, die häufig Patienten betreuen, die ihr Lebensende sehr nahe vor sich sehen. Mein Traum wäre, dass zum Beispiel Onkologen, Neurologen oder Intensivmediziner ein halbes Jahr palliativ arbeiten müssen.

Wie hat sich Ihre eigene Haltung zum Sterben durch Ihre Arbeit verändert?

Martina Rössler: Tot zu sein fand ich nie erschreckend, aber das Sterben hat mich schon beunruhigt. Durch meine Arbeit verliere ich mehr und mehr die Angst davor, weil ich weiß, dass es nicht mit Leid und Angst einhergehen muss. Sterben kann ein ganz friedlicher Prozess sein. Ein Weg, den man einfach geht und auf dem nicht viele Steine liegen müssen.

Was bedeutet gutes Sterben für Sie?

Martina Rössler: Wenn man im Einklang mit sich selber sterben kann. Wenn das Sterben kein Kampf ist, sondern ein Schritt, den andere schon vor einem gemacht haben. Und den man jetzt auch gehen kann.