Langweilig geworden ist ihm das Weihnachtsthema in all den Jahren nicht. "Jede Krippe ist anders", sagt der Künstler. Das liegt auch an ihm selbst: "Als ich Vater geworden war, hab ich dem Josef auch mal das Kind in den Arm gelegt." Das Klischee vom Josef als stillem Betrachter im Hintergrund passte plötzlich gar nicht mehr zu Haseidls eigener Lebenserfahrung.
Auch die Maria fordert ihm jedes Mal aufs Neue alle Kunstfertigkeit ab. Eine ansprechende, schöne junge Frau soll sie sein, "aber keine Barbie", sagt der Schnitzer. Und weil Schönheit immer etwas mit Symmetrie zu tun hat, muss Haseidl ganz exakt zu Werke gehen. Ein Schnitt zu viel, und die Maria hat ein fliehendes Kinn – "dann hast schon verloren", weiß der Kunsthandwerker. Volle Konzentration ist deshalb gefragt, denn Stress und Hektik verderben das Ergebnis. So wird Haseidls Beruf trotz 70-Stunden-Woche gleichzeitig zu seinem persönlichen Entschleunigungsprogramm.
Nachwuchsmangel im Schnitzerdorf
Obwohl Krippen zur Weihnachtszeit Hochkonjunktur haben, ist Krippenschnitzer bei jungen Holzbildhauern kein gefragter Job. "Das Niveau steigt, man muss immer vorn dabei sein, und es gibt keine finanzielle Sicherheit", zählt Tobias Haseidl auf. Deshalb leidet sogar das Schnitzermekka Oberammergau unter Nachwuchsmangel, und in vielen Schaufenstern hat die industriell gefertigte Massenware Einzug gehalten.
Aber der Vorsitzende des Lukasvereins, in dem die Schnitzergilde des Orts versammelt ist, spürt auch eine leichte Trendwende. "Der Mainstream der 1980er-Jahre ohne Ecken und Kanten lockt niemanden mehr hinterm Ofen vor", sagt Haseidl. Er verzeichnet immer jüngeres Publikum ab Mitte 30 unter seiner Kundschaft: "Die wollen keine 19-teilige Krippe für 100 Euro, sondern haben eigene Vorstellungen."
Kundenberatung: Welche Krippe passt zu mir?
Und die will der Künstler aus seinen Kunden herauskitzeln. Welches Gefühl verbindet jemand mit Weihnachten? Was sieht er, wenn er die Augen schließt und an eine Krippe denkt?
Ideen ernst nehmen, Möglichkeiten aufzeigen, gemeinsam ein Ergebnis entwickeln – dieser Prozess sei "Vertrauenssache", beschreibt Haseidl die klassische Beratungstätigkeit. Wenn seine Kunden die Werkstatt voll Vorfreude verlassen, ist er zufrieden und macht sich ans Werk. Etwa zehn Tage braucht der Krippenschnitzer für eine Heilige Familie mit 20 Zentimeter hohen Figuren, rund 2000 Euro kostet das. Dafür entsteht ein Unikat, das den Geschmack und das Gefühl der Auftraggeber trifft.
"Weihnachten ist für mich Einkehr, Zufriedenheit, Stille"
Was bedeutet Weihnachten für jemanden, der sich das ganze Jahr damit beschäftigt? Haseidl denkt nach. Beim Weihnachtsthema gebe es zwei Lager – jenes, das sich mit Konsumartikeln "zuschüttet", und jenes, das den Konsum verteufelt. "Für mich ist Weihnachten zwei Stunden der Einkehr", sagt Tobias Haseidl, "Zufriedenheit und Stille." Das ist wenig und viel zugleich.