Am 2. August haben Sie zusammen mit dem Nürnberger CSD-Verein die Praunheim-Bilder am neuen Ausstellungsort wieder der Öffentlichkeit zugängig gemacht. Auch das Wochenende des Nürnberger CSD liegt hinter Ihnen. Wie ist die Zwischenbilanz?

Thomas Zeitler: Wie angesichts des Presserummels zu erwarten war, ist das Interesse an der Ausstellung riesig. Nach den vier Öffnungstagen der ersten Woche liegen wir weit im vierstelligen Bereich. Es gibt sogar Menschen, die extra aus anderen Städten angereist sind, um sich einen eigenen Eindruck von den Bildern zu machen. 

Die Stimmung ist eine Mischung aus Neugier und fröhlicher Gelöstheit. Es mischen sich Normal-Nürnberger, Kirchenchristen, Kunstpublikum und queere Szene auf eine wunderbare Weise.

Wenn dann mal die Emotionen hochgehen, ist es eher die Wut über die Mutlosigkeit der Kirche, die Ausstellung nicht offen gehalten zu haben. Oder es gibt enttäuschte und verwunderte Gesichter, dass die Bilder im ‚Erwachsenenbereich‘ viel weniger spektakulär sind, als es sich die Besucher*innen nach der Aufregung vorgestellt haben.

Kann das daran liegen, dass ein Galerieraum dann doch weniger provozierend ist als ein Kirchenraum?

Bestimmt! Es finden hier auch viel mehr Gespräche über die künstlerisch-ästhetische Qualität der Bilder statt. Aber die Anfragen an Religion und Kirche funktionieren auch hier, wenn vielleicht ein bisschen weniger emotionalisierend. Ich habe für mich gemerkt: eigentlich gehören die Bilder doch in den Kirchenraum. Denn Rosa stellt seine Anfragen ja sehr konkret an uns als gläubige Christinnen und Christen. Und dem dürfen wir nicht einfach ausweichen, indem wir sie an andere Orte wegschieben. Deshalb muss auch die inhaltliche Aufarbeitung der Ausstellung im Herbst bei uns in der Kirche stattfinden und nicht in einem ‚neutralen Ort‘ wie einem Gemeindehaus oder der Stadtakademie. 

Welche Fragen sind das nach Ihrer Meinung?

Es sind zwei große thematische Linien, die Rosa hier entfaltet hat. Zum einen übt er radikale Kirchenkritik: am überkommenen Frauen- und Familienbild, am Kindesmissbrauch in der Kirche, an der bigotten Sexualunterdrückung insbesondere im katholischen Klerus, vertreten durch Papst Benedikt. Und er fragt: wäre es für queere Menschen vielleicht besser gewesen, es hätte gar kein Christentum gegeben, das sie so lange als "rosa Gefahr" ausgegrenzt, verfolgt und auch getötet hat. 

Dem stellt er eine Auffassung von Sexualität gegenüber, die für ihn ganz positiv in den Bereich des Natürlichen gehört. Die nackten Körper, die er zeigt, werden umspielt von Vögeln, Insekten und Blumen. Das ist der Bereich der ganzheitlichen Freiheit, den sich queere Menschen gegen die Kirchen erkämpfen mussten. Und auch bereit sind, zu verteidigen.

Und diese beiden Perspektiven verdichten sich noch einmal in den drei "Skandalbildern", wo er ja die Leiblichkeit Jesu, die Inkarnation Gottes, so ernst nimmt, dass er ihn als einen Auferstandenen zeigt, der Homosexualität segnet und selbst als ein potenziell sexuelles Wesen gedacht werden kann. 

Thomas Zeitler

Thomas Zeitler, geboren 1972 in Coburg, arbeitet als Kultur- und Hochschulpfarrer an der Egidienkirche in Nürnberg. Er gehörte schon vor 20 Jahren zu den Mitbegründern des Nürnberger Queergottesdienstes. Er ist Klimaaktivist bei Extinction Rebellion und setzt sich für eine engagierte Spiritualität im Raum der Kirche ein.

Würde es in Ihren Augen einen Unterschied machen, wenn auf den Bildern heterosexuelle Szenen verwendet worden wären?

Ja und nein. Gleich bliebe die Frage, wo die "Schamgrenze" zu ziehen ist, was in einem Kirchenraum zeigbar und zumutbar ist. Das rüttelt an der gutbürgerlich-evangelischen Sphärentrennung, dass Sexualität, welcher Couleur auch immer, selbst unproblematisch sei, aber in den Bereich des Privaten gehört. Kirche soll dezent sein und nicht mit dem belästigen, was ich nicht sehen will und muss. Anders ist aber, dass Homosexualität nicht einfach nur eine ‚schamhafte‘ Sexualität ist, sondern eine über Jahrhunderte‚ beschämte‘ Sexualität.

Ich könnte jetzt endlos aus den Zuschriften zitieren, wie hier Homosexualität noch immer mit Verderbnis, Perversion, Sünde, Verbrechertum, Pädokriminalität, Satanismus usw. in Verbindung gebracht wird.

Deshalb ist es auch der Prüfstein bei Praunheim, ob wir uns als Christen in der Lage sehen, die Homosexualität als solche zu segnen, und nicht nur den unauffälligen Homosexuellen, der seine Körperlichkeit in alter Beschämtheit wieder abgespalten hat. Dazu braucht er die expliziten Bildszenen, um uns dieses Bekenntnis abzuzwingen.

Szenen, die ja auch Kollegen von Ihnen als problematisch für Homosexuelle empfunden haben…

Sie spielen auf den Kommentar von Steve Kennedy Henkel hier im Sonntagblatt an. Er sollte sich einmal Rosa von Praunheims großen Erstlingsfilm, mit dem Titel "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt", in Ruhe ansehen. Dann könnte er wissen, dass es Rosa war, der von Anfang an für eine Integration von ganzer Person und befreiter Sexualität gekämpft hat. Es scheint mir hier ein klassischer Fall der bürgerlichen Anpassungsstrategie vorzuliegen, die den Anspruch opfert, dass der Körper selbst das "Kampffeld der Befreiung" sein muss, und die sich gerade die kirchliche Anerkennung erkauft durch eine massive Entsexualisierung. "Schwule wollen nicht schwul sein!" hieß das bei Rosa 1971, weil sie immer noch Angst haben, dass sie für ihre Sexualität von der Mehrheitsgesellschaft totgeschlagen werden. Anscheinend sind wir da auch über fünfzig Jahre später noch nicht viel weitergekommen. 

Sie rücken die Ereignisse um die Egidier Ausstellung immer wieder in den Horizont eines "Kulturkampfs von rechts". Was meinen Sie damit?

Wir sind nicht mehr in der Situation einer vermeintlich automatisch fortschreitenden Liberalisierung in Fragen zu Geschlecht und Sexualität. Weltweit werden LGBTQIA-Themen von radikal rechten Kräften instrumentalisiert, um eine bewusste Polarisierung, ja Spaltung in der Gesellschaft voranzutreiben.

Alles Queere wird mit Dekadenz und dem bedrohlichen Verfall der gesellschaftlichen Werte und Ordnung in Zusammenhang gebracht.

Man schaue nach Russland, Ungarn, Polen, die USA. Überall die gleichen Muster und Strategien, insbesondere gegen die sichtbaren und besonders verletzlichen "Grenzgänger*innen" wie Dragqueens oder Transpersonen. Und die Kirchen aller Konfessionen spielen dabei leider oft eine anheizende Gewährsrolle, wie in Uganda oder Russland oder Polen.

Insoweit liegt man wohl richtig, auch unseren kleinen, aber heftigen Shitstorm, der gegen die Ausstellung organisiert wurde, als Mosaiksteinchen in dieser Auseinandersetzung zu sehen. Wie dann wenige Tage später der Aufstand gegen den Nürnberger Oberbürgermeister und den harmlosen Regenbogenzebrastreifen in der Fußgängerzone.   

Drei Personen, die mit dem Rücken zum Betrachter stehen, schauen sich gerade bunte Gemälde an. Sie tragen Fahnen der LGBTQIA*-Bewegung.
Während des CSD kamen viele Besucher in die Kreisgalerie.

Waren die Vorwürfe von Pornografie und Blasphemie und Jugendgefährdung also haltlos?

Der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Prof. Peter Dabrock, hatte schon kurz nach den ersten Vorwürfen einen Tweet abgesetzt, der klarmachte: Die Kriterien von Pornographie sind hier nicht erfüllt. Die Sexualität, die in den Bildern gezeigt wird, dient nicht der Stimulanz sexueller Erregung im Verbund mit der Reduktion von Menschen auf ihre Sexualfunktion. Die Szenen stehen im Dienst eines klaren und benennbaren Debattenanstoßes um unser Verständnis von Sexualität. Und sie sind dazu von der Kunstfreiheit gedeckt.

Als Blasphemisch kann man die Bilder nur dann sehen, wenn man Sexualität und insbesondere Homosexualität als etwas Ehrverletzendes ansieht oder etwas Beschmutzendes. Damit fällt dieser Vorwurf eigentlich auf die Kritiker und ihre Moralvorstellungen zurück.

Den Jugendschutz hatten wir zu jedem Zeitpunkt der Ausstellung bewusst gewährleistet: durch die separate und verdeckte Hängung der explizit sexuellen Bilder, durch Warnhinweise und eine durchgehende Aufsichtspräsenz. Übrigens war keines der Bilder, die im Ostchor weit hinten hinter Altar und Hochkreuz seitlich gehängt waren, vom Portal oder dem Hauptraum zu sehen.

Da hat eine skandalisierende Presseberichterstattung einiges zu verantworten an völlig falschen Fantasien in der breiten Fläche der Landeskirche, die dann zu den entrüsteten Reaktionen geführt haben.

Was ist nun dran in der Aufarbeitung des ganzen Geschehens?

Sicher werden wir intern noch einmal anschauen, welche Dynamiken am Ende dazu geführt haben, dass die Ausstellung im Kirchenraum nicht zu halten war. Dazu gehört auch die Frage, ob wir nicht viel wacher und gewarnter auf eine solche Debatte hätten vorbereitet sein müssen. 

Wir haben eine Rechtsextremismus-Expertin beauftragt, die Äußerungen in den Social Media und die Mails, die bei uns eingetroffen sind, zu sichten und zu analysieren. Dabei gilt es auch, strafrechtlich Relevantes zu trennen von "echter" Empörung aus der Mitte der Kirche.

Das Thementableau, das Rosa uns mit der Ausstellung auf den Tisch gelegt hat, werden wir im Herbst zusammen mit der Evang. Stadtakademie in öffentlichen Veranstaltungen aufnehmen und "gut evangelisch" kontrovers diskutieren. 

Und mir ist es ein Herzensanliegen, auch in der Bayerischen Landeskirche bald zu einem synodalen Schuldbekenntnis gegenüber Schwulen, Lesben und queeren Menschen zu kommen, in dem die eigene Schuldgeschichte in der Verfolgung und Diskriminierung aufgearbeitet und benannt wird.

Was bedeutet dies für das Profil von St. Egidien als Kulturkirche?

Für St. Egidien muss neu geklärt werden, was es bedeutet, dass zumindest ein Kirchenort in Nürnberg auf eine ganz besondere Weise Freiheiten hat, verschiedene Lebenswelten und Perspektiven im Kirchenraum in Begegnung und Dialog zu bringen. Da muss auch Platz sein für einen Rosa von Praunheim.

Und der gute Ruf, den wir uns in den letzten Jahren erarbeitet haben, in der Kunstszene wie in der queeren Szene, der ist durch die Schließung schon sehr in Mitleidenschaft gezogen worden. Da werden wir ganz neu anfangen müssen, Vertrauen aufzubauen. 

Die Proteste in der Breite der Landeskirche waren ja auch deshalb möglich, weil wir noch immer in einem Einheitsmodell von Kirchlichkeit zu leben scheinen, obwohl wir kirchenstrategisch längst wissen, dass wir differenzierte Milieus bei uns haben, die verschiedenste ästhetische, aber auch moralische Vorstellungen haben.

Wenn wir nicht die Kontakte zu der einen Gruppe für den Kontakt zu einer anderen opfern wollen, braucht es mehr ‚organisierte Pluralität‘, die dann aber auch von allen gewollt und verteidigt wird.

Kommentare

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PeterG am So, 13.08.2023 - 09:18 Link

Interessante Argumentation, die ständig die zwei Reiche nach Luther durcheinanderbringt. Oder kurz: Trennung von Kirche und Staat darf und muss sich auch inhaltlich zeigen.

SW am Di, 08.08.2023 - 23:28 Link

Dass der Sozialpädagoge Johannes Heibel eine Strafanzeige gegen die Veranstalter gestellt hat, kann man durchaus nachvollziehen und sie ist mehr als gerechtfertigt. Es sollten noch weitere folgen. Was ist das für ein Kirchenvorstand, der eine solche provokante Ausstellung in einem "Gotteshaus" zulässt? Es geht hier nicht um die Akzeptanz querer bzw. homosexueller Menschen, nein ganz und gar nicht, sondern um die Darstellung von Pornographie in einer Kirche. Das geht gar nicht und hat in einem Gotteshaus gar nichts zu suchen. Die Bilder hätte man gleich in einer Kunstgalerie zeigen können und es wäre gut gewesen. Aber man hat mit dem Feuer gespielt und mit den perversen Bildern nicht nur Christen verunglimpft und verletzt sondern auch die Kirche förmlich damit "entweiht". Scheinbar ist der sogenannte "Kunstpfarrer" Zeitler und sein Kirchenvorstand nicht mit der Bibel vertraut oder verschließt sich dem Lukas-Evangelium, Kapitel 19, Verse 45+46. Dort heißt es: "Jesus ging in den Tempel und fing an, die Händler auszutreiben, und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben: >Mein Haus soll ein Bethaus sein<; ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht." In der katholischen Kirche wäre so etwas undenkbar gewesen und im Islam wären die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen worden und mit harten Strafen belangt worden. Ich wohne in der Diaspora und die katholischen Christen ziehen über uns Evangelische her. Ich schäme mich hierfür und der Schaden ist groß, der angerichtet wurde. Pfarrer Zeitler und dem Kirchenvorstand ist scheinbar nicht bewusst, was sie damit ausgelöst haben. Fast täglich liest man in der Presse über die Verunglimpfung. Die Kirchengemeinde St. Egidien hat sich in ganz Deutschland und sogar darüber hinaus in Misskredit gebracht und ist, nicht nur in kirchlichen Kreisen, Gesprächsthema Nummer 1. Eine Entschuldigung aller Verantwortlichen wäre angebracht, sonst muss damit gerechnet werden, dass noch mehr Christen der evangelischen Kirche den Rücken kehren. Wenn es nicht schon zu spät ist, denn es gab diesbezüglich schon Kirchenaustritte. Hier muss und soll der scheidende Landesbischof ein klärendes Wort setzen, damit so eine Entgleisung nicht noch einmal passiert.