Hätte man es ahnen können? Nur wenige Wochen, nachdem der Kirchentag einen veritablen Shitstorm für die Aussage "Gott ist queer" von Pfarrer Quinton Ceasar bei der Abschlusspredigt einstecken musste, traf es nun die Ausstellung "Jesus liebt" in der Nürnberger Egidienkirche. Diese stammt vom schwulen Filmemacher und Künstler Rosa von Praunheim und befasst sich kritisch, teilweise auch provokativ mit dem Verhältnis der Kirchen zu Homosexualität.

Doch schon wenige Tage nach der Eröffnung wurde die Ausstellung, die eigentlich noch bis zum 12. August zu sehen sein sollte, bis auf Weiteres geschlossen. Der Kirchenvorstand wollte zunächst über das weitere Vorgehen beraten, hieß es. Begründet wurde das mit "Kritik", die per Mail und Telefon eingegangen sei.

Nun hat man entschieden: Die Ausstellung wird nicht weiter gezeigt. Man reagiere damit aber nicht auf Skandalisierungsinteressen "verschiedener Gruppierungen, sondern auf ernstzunehmende und konstruktive Kritik", heißt es.

"Jesus liebt": Shitstorm ging nicht von arglosen Leuten aus

Bei allem Respekt für ein differenziertes Abwägen: Diese Reaktion auf die massive Kritik, aber auch massive Hetze im Netz ist das falsche Signal. Denn man muss hier zwischen zwei Ebenen unterscheiden: Sicherlich gibt es auch ganz normale Kirchenmitglieder und Gläubige, die nicht finden, dass die Ausstellung einem Raum wie der Kirche angemessen ist. Das ist im Rahmen der Meinungsfreiheit selbstverständlich völlig in Ordnung. 

Aber, und das ist der springende Punkt, der Shitstorm, der letztlich zu dieser Empörungswelle und dann zur vorübergehenden Schließung geführt hat, ging nicht von solchen arglosen Leuten aus. Die Egidienkirche hat selbst erklärt, dass Menschen vor Ort die Ausstellung unterschiedlich wahrgenommen hätten, einige positiv, andere negativ.

Die Kritik sei jedoch überwiegend von Menschen gekommen, die die Ausstellung gar nicht selbst gesehen hätten.

Daraus lässt sich ableiten, dass die Wut, die sich hier Bahn brach, nicht die Summe der Stimmen kritischer oder besorgter Gläubiger war. Vielmehr wurde die Kritik durch den Shitstorm getrieben. Angefacht haben ihn Akteur*innen, die der Kirche alles andere als wohlgesonnen sind, ja, die sie verachten und als eine vermeintlich linke NGO schmähen und bekämpfen. 

Wie entstand die große Aufregung?

Es lässt sich auf Twitter sehr leicht nachvollziehen, wie die große Aufregung über "Jesus liebt" entstehen konnte: Einschlägig bekannte Accounts mit großer Reichweite, die dort täglich Verschwörungsideologien, Queerfeindlichkeit und Rassismus verbreiten, haben das Thema ganz gezielt hochgekocht und ihren Follower*innen zum Fraß vorgeworfen.

Das Ziel ist keine kritische Auseinandersetzung mit der Ausstellung, die ja durchaus möglich wäre – wenn man sie denn noch sehen könnte. Ihr einziges Ziel ist es, alles Progressive und Woke zu canceln. Die Kirche ist für sie ein Lieblingsfeind, weil diese in ihren Augen zu liberal, zu tolerant, zu woke geworden ist. Das passt in ihre Erzählung vom Untergang eines verweichlichten, dekadenten Abendlandes.

Somit ist die Schließung der Ausstellung leider kein angemessener Kompromiss, sondern ein Sieg der Cancel Culture – von ganz Rechtsaußen.

Die Ausstellung einfach zu schließen, löst kein einziges Problem. Warum gibt es keine Podiumsdiskussionen, keine Führungen, keinen Versuch, mit konstruktiven Kritiker*innen in den Dialog kommen? Ein souveräner Umgang mit Kritik bei gleichzeitiger klarer Abgrenzung gegen Hetze würde der Kirche hervorragend zu Gesicht stehen. 

Es braucht klare Strategie gegen Feinde der offenen Gesellschaft

Was aus diesem Fall deutlich wird: Zivilgesellschaftliche Institutionen wie die Kirche brauchen eine klare Strategie gegen die Feinde der offenen und toleranten Gesellschaft. Denn diese sind sehr gut organisiert und kampagnenfähig. Wer darauf nicht vorbereitet ist, und vor Schreck über einen Shitstorm lieber erstmal den Rückzug antritt, überlässt ihnen kampflos das Feld. Und das ist, gerade in einer Zeit, wo die AfD in Umfragen immer weiter zulegt, erschreckend und beängstigend.

Denn in einer Zeit, wo die liberale Demokratie mit dem Rücken zur Wand steht, ihre erklärten Feinde bereits in Polen, Italien, Ungarn oder Israel regieren, braucht es Haltung. Um das klarzustellen: Es ist völlig in Ordnung, die Ausstellung kritisch zu sehen. Man kann sie auch komplett ablehnen, unpassend, frevelhaft, hässlich finden. Diese Haltung macht auch niemand per se zum Schwulenhasser und/oder Rechtsradikalen.

Was allerdings ganz und gar nicht in Ordnung ist: Eine offenbar gezielte Verleumdungskampagne nicht zu erkennen, mit von rechtsradikalen Hetzer*innen aufgewiegelten Menschen nicht selbstbewusst in einen Dialog auf Augenhöhe zu treten, Hasskommentare nicht klar zu benennen. Die Kirche wird jedes Mal ins Visier von rechtsradikalen Aufwiegler*innen geraten, wenn sie sich zum Klimaschutz, zur Gleichstellung oder eben zu gleichen Rechten für queere Menschen bekennt. Die Konsequenz daraus kann niemals sein, nachzugeben. 

Shitstorm wirkt bedrohlicher, als er ist

Ja, ein Shitstorm mag bedrohlich wirken. Gerade die Kirche möchte aus verständlichen Gründen nicht unnötig polarisieren. Shitstorms sind aber meistens Ausdruck einer lauten, radikale Minderheit, die von sich selbst nur behauptet, im Namen der Mehrheit zu sprechen. Und dieser entschieden entgegenzutreten, hat mit unnötiger Polarisierung nichts zu tun, sondern vielmehr mit notwendiger Abgrenzung. Man muss, nein, man darf es nicht jedem recht machen wollen, insbesondere nicht, wenn unsere Grundwerte, in diesem Fall die Kunstfreiheit, angegriffen werden. 

Der Kirchentag hat gezeigt, wie es geht: Kein Zurückweichen vor menschenfeindlicher Hetze, sofortige klare und bedingungslose Unterstützung der Pfarrer, die da in einen Shitstorm gerieten. Klare Kante eben – was wie gesagt keineswegs heißt, dass die Aussagen oder in diesem Fall die Ausstellung nicht sachlich, inhaltlich und theologisch kritisiert werden dürften. Aber bei Hassrede und Hetze muss die Grenze sein. 

 

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