"Warum soll ich denn auf meinen Diesel verzichten, solange noch Kreuzfahrtschiffe durch Hamburg schippern?" Mareike Menneckemeyer hätte vor einem Jahr so reagiert, wenn man ihr vorgeworfen hätte, sie fahre ein klimaschädliches Auto. Inzwischen spricht die 37-jährige Mutter zweier kleiner Kinder anders: Sie plädiert dafür, beim Klimaschutz vor der eigenen Haustür anzufangen, beim Einkauf für die Familie, beim Urlaub oder Energieverbrauch. Die Schwarzenbruckerin (Landkreis Nürnberger Land) war im Frühjahr vergangenen Jahres eine von deutschlandweit 160 zufällig ausgewählten Mitgliedern des repräsentativen Bürgerrats Klima, dessen Schirmherrschaft der frühere Bundespräsident Horst Köhler übernommen hat.

Nach 55 Stunden Sitzungen zwischen April und Juni 2021, viele davon online, übergab der Rat der Öffentlichkeit ein Gutachten für die Klimapolitik der nächsten Legislaturperiode. 100 Seiten stark ist das Ergebnis, dessen oberster Leitsatz heißt: "Das 1,5-Grad-Ziel hat oberste Priorität." Darauf konnten sich alle 160 einigen, wie auch auf den Grundsatz: "Für die Klimawende müssen alle Verantwortung übernehmen und zu Veränderung bereit sein", denn Klimaschutz diene dem Allgemeinwohl und habe Priorität vor Einzelinteressen. Fast alle Empfehlungen - vom E-Auto als Zwischenspeicher bis zum Einbauverbot von Ölheizungen ab 2026 - wurden mit sehr großer Mehrheit gefällt. Mit 91 Prozent sprach man sich für ein Lebensmittelrettungsgesetz aus.

Gerade die Mobilität ist ein Streitthema 

Zur Veränderung bereit ist auch die 55-jährige Erzieherin Manuela Heidecker in Markt Heidenheim am Hahnenkamm (Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen). Auch sie beförderte der Zufall in den Bürgerrat Klima, dem vom Verein BürgerBegehren Klimaschutz sowie den "Scientists for Future" initiierten Forum. Am Küchentisch bei Heideckers war man im Corona-Winter gerade dabei zu diskutieren, wie es mit dem Klimaschutz trotz der Pandemie weitergehen könne. Nach den intensiven Sitzungen, begleitet von Wissenschaftlern, "die uns jede noch so kleine Frage beantworteten", ist die vierfache Mutter im komplexen Thema Mobilität tief drin.

Sie plädiert hier besonders für "Kostenwahrheit". Es müssten die Fakten über Subventionen, die Vergünstigungen für Dienstwagen, Pendlerpauschalen oder die Steuerfreiheit für Kerosin auf den Tisch. Privilegien abzuschaffen "tut keinem Geringverdiener-Haushalt weh, wie so gerne argumentiert wird", stellt Heidecker fest. Sie habe leider auch im neuen Koalitionsvertrag keine "so richtig durchschlagenden Vorhaben" entdeckt, die beim Thema Mobilität eine Wende bei den CO2-Emissionen bringen würden.

Auch das Thema Ernährung ist diskutabel 

Mareike Menneckemeyer hat im Bürgerrat Klima am Arbeitskreis Ernährung teilgenommen und viele Details dazu erfahren, welchen großen Einfluss die Ernährung auf den Klimawandel hat. "Das Thema Massentierhaltung muss man sich angucken", sagt sie. Bis zu 25 Prozent weniger Treibhausgase verursacht beispielsweise maßvoller Konsum von Fleisch- und Milchprodukten und bis zu 40 Prozent eine vegane Ernährung, sagen Experten, die den Bürgerrat berieten. Deswegen Fleisch zu verbieten, hält Menneckemeyer aber zunächst für den falschen Weg. Zunächst setzt sie auf Eigenverantwortung, aber sie weiß, "es muss unbequeme Entscheidungen" geben.

Der Bürgerrat sei ein Spiegelbild der Gesellschaft, Alt und Jung, Land und Stadt, Fleischesser und Veganer, mal mehr und mal weniger gewillt etwas drastisch zu verändern, stellt Menneckemeyer fest. Und die hätten gezeigt, dass die Mehrheit der Deutschen bereit wären, für das Klima Einschnitte mitzutragen. Wenn aber trotz allem Wissen eine Minderheit nicht zum Verzicht bereit sei, müsse es Gesetze geben, in denen festgelegt sei "wir machen das jetzt so", sagt die Vertriebsangestellte in Elternzeit.

Mitglieder der Arbeitsgruppe betrifft der Klimawandel zum Teil direkt 

"Es mag ja sein, dass wir das 1,5 Grad-Ziel bei der Klimaerwärmung verpassen", sagt sie. Aber wenn man nichts tue, dann würde sich die Erde vielleicht um 3,5 Grad Celsius erwärmen. Sie muss an Ralf aus ihrer Bürgerrats-Arbeitsgruppe denken, der im Ahrtal wohnt und das Hochwasser im Sommer hautnah erlebte. "Das ist doch inzwischen klar, dass das auf den Klimawandel zurückzuführen ist", sagt die junge Mutter.

Heidecker erklärt, nachdem Politikerinnen und Politiker den Klima-Appell des Bürgerrats bekommen hätten, dürften sie dahinter auch nicht mehr zurück. Denn die Diskussionen in den Gremien hätten gezeigt, "da hat man sich die Köpfe heiß geredet und war von vornherein bestimmt nicht einer Meinung", aber um des Klimas willen hätten sich die Leute zusammengerauft.

Heidecker bleibt für die Zukunft optimistisch 

Die Sorgen über die Fakten zum Klimawandel, die sie im Bürgerrat erfahren hat, haben Heidecker manche Nacht schlecht schlafen lassen, räumt sie ein. Dennoch bleibe sie "der unverbesserliche Optimist". Sie setzt ihre Hoffnung in die Jugend, denn die habe "witzige, lebensfrohe Ideen" und lebe immer mehr vegetarisch oder vegan.

Jeder müsse aber auch wissen, dass der Kampf gegen Klimawandel vom einzelnen Verzicht verlangt, sagen Menneckemeyer und Heidecker. "Verzicht ist aber eigentlich nicht das richtige Wort", merkt die 55-jährige Heidecker an. "Es geht um andere Werte und einen achtsamen Lebensstil, vielleicht ist das bessere Wort 'Einfachheit'."

Das Stichwort: Bürgerrat Klima

Im politischen Diskurs sprechen sich derzeit immer mehr Organisationen und Wissenschaftler für "Bürgerräte" aus. Wie Gesellschaften aus Krisen kommen oder Kommunen eine Umgehungsstraße bauen, können Themen solcher Räte sein, die per Los aus dem Einwohnerregister zusammengestellt werden. Die Teilnehmer sollen dabei ein Spiegelbild der Gesellschaft bilden, das Alter, Bildungsabschlüssen, Wohnorten oder Migrationshintergrund entspricht. Haben beispielsweise 74 Prozent der Bevölkerung keinen Migrationshintergrund, sind in dem Rat ebenso viele ohne Migrationshintergrund, oder ebenso 18 Prozent mit Hauptschulabschluss, weil das der Gesellschaft entspricht.

Der Verein "Mehr Demokratie" sieht darin die Möglichkeit, dass ganz unterschiedliche Menschen "jenseits von Filterblasen" zusammen diskutieren. Einen weiteren Vorteil stellt für die Befürworter dar, dass Bürgerräte der Politik vermitteln, welche Lösungen bei den Bürgern mehrheitsfähig wären. Auch die von mehreren Bundesministerien eingesetzte Wissenschaftsplattform Klimaschutz hat solche Bürgerräte in ihrem Jahresgutachten vom 18. Februar empfohlen.

Bürgerräte werden weltweit eingesetzt. Viele von ihnen befassen sich derzeit mit dem Thema Klima: In Österreich tagt ein solcher "Klimarat", besetzt mit 100 Menschen, weitere solcher Klimaräte gibt und gab es in Irland, Schottland oder Spanien. Auch lokale Bürgerforen zum Thema Klimawandel hat es bereits gegeben, beispielsweise in Erlangen.

Der deutsche Bürgerrat Klima unter der Schirmherrschaft des ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler hat im Juni 2021 seinen Klima-Appell vorgelegt. Er hat in vier Arbeitsbereichen getagt: zu den Themen Transformation, Ernährung, Gebäude und Wärme und Mobilität.

Die 160 repräsentativ ausgesuchten Teilnehmerinnen und Teilnehmer stimmten nach zwölf Sitzungen, in denen sie von rund 50 Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft unterstützend begleitet und beraten wurden, über Handlungsziele ab. Im 100 Seiten starken Gutachten ist nachzulesen, dass dem Ziel "Der CO2-Preis soll als verbindliches Instrument für die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels beitragen" 130 der Teilnehmenden zustimmten. Ein Verbot von Werbung für klimaschädliche und ungesunde Produkte würden 138 empfehlen.

Finanziert wurde das Projekt von Stiftungen wie der Schöpflin Stiftung und der GLS Treuhand.