Feucht legt sich der Nebel auf Haare und Kleidung. Drei Fahrräder biegen im nächtlichen Nürnberg in einen Innenhof ein. Benny und Julia (Name geändert) zeigen dem Jesuitenpater Jörg Alt einen verschlossenen metallenen Verschlag für Mülltonnen. Das mannshohe Tor lässt sich ganz einfach mit einem Vierkant-Schlüssel öffnen. Alt beugt sich über eine der vollen Tonnen: "Wow, da sind ja noch richtig gute Sachen drin", stellt er fest. Er hat gelbe Gummihandschuhe angezogen und fischt ein eingepacktes fränkisches Bauernbrot und einen Beutel mit Rucola-Salat nach oben. Es folgen Brokkoli, Austernpilze, Orangen, ein Netz Avocados und Joghurt. Der Priester Alt verstaut die Nahrungsmittel im großen schwarzen Rucksack, den er für seine Beute mitgebracht hat.
"Ich mache das zum ersten Mal", gesteht der bisher gesetzestreue Jesuiten-Pater frierend. Drei Tage später, am Dienstag macht er seine Tat öffentlich. Er stellt sich mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern vor eine Discounter-Filiale und verteilt die geretteten Lebensmittel. Zwei Polizisten fahren vor, finden allerdings die Aktion "cool". Alt will aber ein "Aktenzeichen", am liebsten noch eine Anzeige oder ein Verfahren.
Aktion: "Essen retten -Leben retten"
Mit zivilem Ungehorsam will er auf das "bescheuerte Gesetz" aufmerksam machen, das es verbietet gutes Essen zu retten, das im Müll gelandet ist. Seine Verteilaktion findet im Rahmen einer bundesweiten Aktion "Essen retten - Leben retten" in mehreren deutschen Städten statt und ist Teil des "Aufstands der Letzten Generation". Den doppelten Skandal, nämlich Lebensmittelverschwendung und Kriminalisierung des "Containerns", wolle man damit zeigen, heißt es in einem Statement, das anschließend mehrere kirchliche Verbände, Jugendorganisationen und Umweltverbänden verbreiten.
Jährlich würden in Deutschland zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel vernichtet, prangern sie an. Das sei nicht nur ein Skandal angesichts von fast 800 Millionen hungernden Menschen auf der Welt, sondern auch "sinnloser Einsatz von Energie, Wasser und anderen Rohstoffen", die benötigt werden, um die Lebensmittel zu produzieren.
Gesetzesänderung gefordert
Die Aktivisten fordern ein Lebensmittelrettungsgesetz nach französischem Vorbild. Im Nachbarland dürfen Supermärkte ab 400 Quadratmetern Fläche bereits seit 2016 keine Lebensmittel mehr wegwerfen, sondern müssen sie spenden. In der Folge haben die karitativen Organisationen viel mehr Mahlzeiten an bedürftige Menschen ausgeben können, berichtet das französische Landwirtschafts- und Ernährungsministerium.
Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung steht, dass die Regierung das Problem der Lebensmittelverschwendung angehen möchte, "aber es wird dort nicht gesagt, wie es passieren soll", erklärt Alt. Zwar sei für ein solches Lebensmittelrettungsgesetz "das Fenster offen wie nie", zugleich glaubt der Aktivist aber nicht daran, dass der Koalitionspartner FDP "einer Aufweichung des absoluten Schutzes des Privateigentums zustimmen wird". Alt verweist aber auf das Grundgesetz, in dem der Schutz des Privateigentums, aber auch die Sozialpflichtigkeit des Eigentums geschützt sei.
Die Supermärkte bemerken den Diebstahl nicht
Bekannt geworden ist der heute 60-Jährige auch mit seiner Kampagne für eine europäische Finanztransaktionssteuer. "Jetzt anfangen!" ist der Titel des neuesten Buchs von Jörg Alt, in dem er für eine gerechtere Welt eintritt. Er zeigt große Solidarität mit den jungen Leuten vom "Aufstand der letzten Generation". Wütend steht er vor der "Ahnungslosigkeit oder Gleichgültigkeit der Politik", sagt er. "Als ob wir überhaupt noch eine reale Chance hätten, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen".
Stirnlampe auf dem Kopf, die Hosenbeine in die Socken gestopft, ist Alt drei Tage zuvor hinter Benny und Julia noch zu einem zweiten Supermarkt geradelt. Ein schlechtes Gewissen oder Angst hat Julia bei der Aktion nicht: "Das hätte ich nur, wenn ich was falsch machen würde", sagt sie. Aber die Supermärkte würden ja gar nicht bemerken, dass sie bestohlen werden.
Die Ressourcen werden verbraucht, die Lebensmittel weggeschmissen
Benny sagt, er macht das aus "politischen Gründen". Es würden viel mehr Lebensmittel produziert als eigentlich gebraucht und gegessen werden. Die Supermärkte müssten ihren Kundinnen und Kunden bis Ladenschluss volle Regale bieten, erklärt er. Avocados zu jeder Jahreszeit, Erdbeeren im Dezember, Fleisch und Fisch: "Allein die Energie, die Ressourcen, das Wasser, die gebraucht werden, um Lebensmittel herzustellen", sagt Julia.
"Das wird hier hertransportiert und dann überhaupt nicht verwendet - das ist so absurd."
Währenddessen hat Jörg Alt wieder im Weggeworfenen gegraben. "Jippii, das wird mein Abendessen", ruft er und zieht eine Plastikbox mit einem Garnelen-Nudel-Salat hervor. "Mit Cocktail-Dressing" steht darauf. Auch Julia würde das essen, obwohl sie Vegetarierin ist:
"Noch schlimmer, als ein Tier zu töten, um es zu essen, ist es, zu töten, um es wegzuschmeißen".