Sie soll dem raschen Wissenstransfer dienen: Bricht in einem Pflegeheim Corona aus, kann die "Steuerungsstelle Pflege" angefordert werden. Die neue Spezialeinheit sei die richtige Maßnahme zur richtigen Zeit, schwärmte Pflegeminister Klaus Holetschek (CSU) vor einem Jahr. Ihre Sinnhaftigkeit jedoch wurde von Anfang an bezweifelt. "Unsere Leute haben so viel eigene Erfahrung, dass sie kaum kluge Ratschläge von außen brauchen", sagt Landes-Caritasdirektor Bernhard Piendl.
Fabian Franke, Leiter des Pflegeheims "Elisabeth" im oberfränkischen Lichtenfels, sieht in der Einheit keine Hilfe: "Das ist mal wieder ein verzweifelter Versuch des Staates, mit teuren Steuergeldern die Pflege zu unterstützen." Letztlich sei die Steuerungsstelle sogar kontraproduktiv, moniert der Experte aus der Praxis: Denn die abgeworbenen Fachkräfte würden - wie auch beim Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) oder den Gesundheitsämtern - letztlich in der praktischen Pflege fehlen.
Trotz Skepsis: Die Spezialeinheit hat viel zu tun
Trotz dieser deutlichen Skepsis hat die Spezialeinheit viel zu tun. Seit Mitte November 2020 gab es fast 600 Begehungen, rund 200 Mal wurde telefonisch beraten, sagt ein Sprecher des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), bei dem die aus 20 Pflegekräften bestehende Einheit angesiedelt ist. Pro Woche stehen derzeit zehn bis zwölf Vor-Ort-Begehungen auf dem Programm. Gespräche mit Mitgliedern der Steuerungsstelle sind derzeit nicht möglich - oder nicht erwünscht.
Die Arbeit in der Pflege sei schon zu normalen Zeiten anstrengend; bricht in einer Einrichtung dann Corona aus, potenzieren sich diese Herausforderungen, erläutert der LGL-Sprecher: Infektionsschutz, Personalausfall wegen Erkrankung oder Quarantäne - das birgt für die Heime ein enormes Problem. Sie bräuchten derzeit viel mehr Personal als sonst, haben aber weniger. Was für aktive Pflegekräfte enorme Anstrengungen, einen erhöhten Arbeitsaufwand und damit oftmals auch Stress bedeutet.
Herkömmliche Pfleger sind frustriert über das neue Konzept
Die "Steuerungsstelle Pflege" soll laut LGL helfen, indem sie "die vorgefundenen Verhältnisse in Bezug auf den Infektionsschutz bei SARS-CoV-2-Ausbrüchen beobachtet und bewertet" und daraus nötige Maßnahmen ableite. Bei Personal- oder Materialmangel könne die Einheit allerdings nicht helfen, hieß es. Die Stimmung in den Pflegeteams hat unterdessen vielerorts einen Tiefpunkt erreicht. Man erwarte echte Verbesserungen durch die Politik, keine Spezialeinheit, die sich alles nur anschaut.
Diesen Eindruck hat zumindest Ruth Waldmann, Gesundheitsexpertin der SPD-Landtagsfraktion. Die Münchner AWO hatte beispielsweise zwar erst einmal mit der neuen Truppe zu tun: "Sie ist allerdings nicht als unterstützend, sondern als fordernd und kontrollierend empfunden worden." Auch Siegfried Benker von der "Münchenstift GmbH" nimmt kein Blatt vor den Mund. Sein Unternehmen habe die "Schnelle Einsatzgruppe Pflege", wie die Steuerungsstelle zuerst hieß, "zu keinem Zeitpunkt benötigt".
Es gibt auch positive Rückmeldung
Es gibt allerdings auch andere Erfahrungen mit der Spezialeinheit. Susanne Brenner hat das mobile Team der Steuerungsstelle, das bei ihr vor Ort war, nicht als bevormundend oder besserwisserisch erlebt. Brenner leitet das Evangelische Pflegezentrum Eichenau im Landkreis Fürstenfeldbruck. Hier wohnen knapp 180 alte Menschen. Bislang gab es in der Einrichtung drei Corona-Ausbrüche. "Unsere Erfahrung mit der Steuerungsgruppe war wirklich gut, wir wurden auf Augenhöhe beraten", sagt sie.
Heimbewohner zu schützen, sagt Pflegeminister Holetschek, "ist eine unserer wichtigsten Pflichten". Darum sei die Einsatzgruppe wichtig. "Wir erhielten Tipps, wie wir die Umkleidesituation optimieren könnten", berichtet Brenner, zu der das Team auch beim dritten Corona-Ausbruch im November kam. Damals waren 30 größtenteils doppelt oder gar dreifach geimpfte Bewohner infiziert worden. Weiter wurde Brenner auf ein besseres Desinfektionsmittel hingewiesen: "Das zieht schneller ein."
Betroffene wünschen sich andere Maßnahmen
Günstigere Rahmenbedingungen für die Pflege zu schaffen, wäre wesentlich dringender, als solche Tipps zu geben, beharrt Heimleiter Fabian Franke aus Lichtenfels auf seiner Meinung: "Sinnvoll fände ich es außerdem, die Verantwortung an die Einrichtungen zurückzugeben." Der Personalmangel sollte mit Programmen wie dem internationalen Pflegeprojekt der Arbeitsagentur unterstützt werden: "Alles andere ist meines Erachtens Augenwischerei und schrammt an der Realität vorbei."