Auf diese Frage hat offenbar niemand so recht eine Antwort: Warum dauerte es Jahrzehnte, bis München und Fürstenfeldbruck ein einigermaßen angemessenes Gedenken an das Attentat bei den Olympischen Spielen 1972 in München umsetzen konnten. "Das beschäftigt mich auch", gibt der Münchner Kulturreferent Anton Biebl unumwunden zu. Dass erst 1995 im Olympiapark ein zehn Meter breiter Granitbalken mit den Namen der zwölf Opfer eingeweiht wurde, sei viel zu spät gewesen, sagt Biebl:
"Die Erinnerung an das Attentat war überfällig."
Erinnerung an 50 Jahre Olympische Spiele und das Attentat
Dieses Jahr wird in München an 50 Jahre Olympische Spiele und an das Attentat erinnert. Beide Ereignisse könnten nicht getrennt voneinander betrachtet werden, sagt Biebl. Die anfangs "heiteren Spiele" seien auch immer mit dem Attentat verbunden: Am 5. September nahmen palästinensische Terroristen im Olympischen Dorf in München elf Mitglieder der israelischen Mannschaft als Geiseln. Die Terroristen forderten ein Flugzeug für die Flucht, die Freilassung Hunderter Palästinenser, die in Israel inhaftiert waren, sowie der deutschen RAF-Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof.
In der Nacht auf den 6. September kam es am nahegelegenen Fliegerhorst Fürstenfeldbruck, wohin Geiselnehmer und Geiseln gebracht worden waren, zur Tragödie: Der Befreiungsversuch scheiterte, alle elf israelischen Geiseln und ein bayerischer Polizist starben. Die Spiele wurden unterbrochen, der damalige Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, Avery Brundage, setzte sie einen Tag später mit den Worten
"The games must go on"
fort. Der Anschlag ist das schwerste Attentat in der Olympischen Geschichte der Neuzeit - doch eine öffentliche Erinnerung daran gab es lange nicht.
Öffentliche Erinnerung in München an das Attentat blieb lange aus
Seit 1972 erinnert zwar eine Gedenktafel mit den Namen der Opfer in der Connollystraße 31 im Olympischen Dorf an das Geschehen. Ein größeres Denkmal kam jedoch erst 1995 - also mehr als 30 Jahre später. Zu ungefähr derselben Zeit begann der Fürstenfeldbrucker Landrat Thomas Karmasin, der seit 1996 im Amt ist, mit regelmäßigen Gedenkfeiern am Fliegerhorst. Er sei einer der ersten gewesen, die das Gedenken institutionalisiert hätten, berichtet er. Seit 1997 gibt es deshalb am Eingang des Fliegerhorstes jedes Jahr am 5. September eine öffentliche Gedenkveranstaltung.
Widerstände dagegen habe er damals nicht wahrgenommen, sagt Karmasin. Vielleicht habe es den einen oder anderen gegeben, der eine negative Publicity für Fürstenfeldbruck befürchtet habe. Dass es jahrzehntelang keine Erinnerungskultur zum Attentat gegeben habe, könne er sich vielleicht mit einer Art Trauma erklären. Der Angriff sei derart schrecklich gewesen, dass sich die Menschen am liebsten gar nicht daran erinnern und alles verdrängt wollten. "Erst nach einiger Zeit fühlt man sich wieder in der Lage, das alles aufzugreifen." Aber das sei nur seine eigene Theorie, sagt Karmasin.
Regelmäßiger Gast in Fürstenfeldbruck ist auch die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. Die jährlichen Gedenkveranstaltungen sehe sie als "gutes Zeichen". München dagegen habe sich spät bewegt, aber die bayerische Landeshauptstadt bemühe sich inzwischen sehr, "dieses eventuelle Fehlverhalten auszugleichen", sagt die 89-Jährige versöhnlich. Zu viel in der Vergangenheit rühren mag sie ohnehin nicht: "Mir ist am wichtigsten, was heute in der Sache geleistet wird."
Fürstenfeldbrucker Gedenkakte als Grundstein für die heutige Erinnerungskultur
Die Fürstenfeldbrucker Gedenkakte sind übrigens mit ein Grundstein für die heutige Erinnerungskultur. Zum 40. Jahrestag 2012 gab es im Fliegerhorst erstmals ein großes Gedenken mit ranghohen Politikern aus Deutschland und Israel, und erstmals auch mit Opfer-Angehörigen. In der Folge wurde 2017 ein größerer Erinnerungsort im Münchner Olympiapark eingerichtet - mit den Biografien der zwölf Opfer. Bei der Einweihung waren auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der israelische Präsident Reuven Rivlin anwesend.
Und in Fürstenfeldbruck wuchs nach 2012 die Idee, einen virtuellen Erinnerungsort zu schaffen. Denn noch bis mindestens 2026 ist die Bundeswehr im Fliegerhorst beheimatet. Das Gelände ist also nicht öffentlich zugänglich, ein Erinnerungsort am historischen Ort des Geschehens ist damit noch nicht umsetzbar. Der virtuelle Erinnerungsort soll im Sommer zum 50. Jahrestag des Attentats an den Start gehen.
Mangelnde Erinnerungskultur ist ein globales Phänomen
Eine mangelnde Erinnerungskultur über Jahrzehnte ist aber offenbar nicht nur ein Münchner Phänomen. Opfer-Angehörige, allen voran Ankie Spitzer, die Witwe des ermordeten israelischen Fechttrainers André Spitzer, kämpften von Anfang unter anderem um ein würdiges Gedenken bei Olympischen Spielen. Schweigeminuten wurden vom Internationalen Olympischen Komitee über Jahrzehnte immer abgelehnt - mit Verweis auf das Protokoll oder dass arabische Staaten dies ablehnen würden.
Erst im vergangenen Jahr bei den Olympischen Spielen in Tokio dann der historische Moment: eine Schweigeminute bei der Eröffnungsfeier. Ankie Spitzer sprach bei der Zeremonie von "Gerechtigkeit" für die Opfer und zeigte sich erleichtert:
"Wir gingen durch 49 Jahre des Kämpfens und gaben nie auf. Wir können unsere Tränen nicht zurückhalten."
Terroranschlag bei den Olympischen Spielen 1972 in München
Am frühen Morgen des 5. Septembers 1972 nahmen Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation "Schwarzer September" elf israelische Athleten im olympischen Dorf in München als Geiseln. Damit wollten sie unter anderem die Freilassung von über 200 Palästinensern aus israelischen Gefängnissen erzwingen sowie die der deutschen Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Außerdem forderten sie ein Flugzeug für ihre Flucht in ein arabisches Land.
Die deutschen Sicherheitsbehörden waren auf einen Terrorakt nicht vorbereitet. München sollte nach den Olympischen Spielen 1936 in Berlin, die die Nationalsozialisten für ihre Propaganda nutzten, als Ort der "heiteren Spiele" in die Sportgeschichte eingehen. Die Sicherheitsvorkehrungen waren bewusst locker gehalten; Polizisten im Olympia-Park waren unbewaffnet und trugen hellblaue Trainingsanzüge statt Uniformen.
Dementsprechend unvorbereitet traf München die Geiselnahme: Erst am Nachmittag wurden die Spiele unterbrochen. Außerdem waren die Terroristen via Fernsehen immer über das Vorgehen der Polizei informiert - man hatte schlicht vergessen, ihnen den Strom abzustellen und der Presse allzu bereitwillig Auskunft gegeben über die nächsten Schritte.
Am Abend brachte der Bundesgrenzschutz die Palästinenser und die Geiseln schließlich zum Militärflugplatz im nahen Fürstenfeldbruck, wo das geforderte Flugzeug bereitgestellt wurde. Dort wollte die Polizei zugreifen, doch die Befreiungsaktion endete in einer Katastrophe. Alle elf Geiseln sowie ein Polizist und fünf Terroristen kamen bei der Geiselnahme ums Leben.
Die Spiele blieben zunächst für einen halben Tag unterbrochen. IOC-Präsident Avery Brundage ließ sie mit den umstrittenen Worten "The games must go on" schließlich fortsetzen.