Das Helene-Habermann-Gymnasium in München sieht aus wie jede andere Schule auch. Läuft man durch die Gänge und betritt Klassenräume, fallen einem jedoch hier und da hebräische Schriftzeichen auf, eine Landkarte von Israel, Chanukka-Leuchter oder einige Schüler mit Kippa auf dem Kopf.
Außerdem eine Israel-Flagge im Treppenhaus mit dem Schriftzug "We stand with Israel" – als Antwort auf den Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023. Die Schule ist das einzige jüdische Gymnasium in Bayern. Das allein wäre schon besonders. Doch obendrein ist die Direktorin Miriam Geldmacher keine Jüdin - sondern Protestantin.
Jüdisches Helene-Habermann-Gymnasium in München
Es gebe keine Vorschrift, dass jüdische Schulen eine jüdische Leitung brauchen, klärt Geldmacher auf. Zum Judentum sei sie, die ehrenamtlich Kirchenvorsteherin der Münchner Matthäusgemeinde ist, vor allem durch ihre Kinder gekommen. Die seien unter anderem auch aus praktischen Erwägungen in die jüdische Sinai-Grundschule am Münchner Jakobsplatz gegangen, die ums Eck ihrer damaligen Wohnung lag.
Irgendwann entstand im Elternbeirat der Gedanke, dass es doch schön wäre, wenn die Kinder nach der Grundschule weiter auf eine jüdische Schule gehen könnten. Doch eine weiterführende Schule gab es damals nicht.
Miriam Geldmacher
Da Geldmacher, Gymnasiallehrerin für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde, damals an der Universität in der Lehrerausbildung tätig war, fragte die Israelitische Kultusgemeinde, ob sie denn nicht helfen könnte. "Also habe ich ein Konzept für ein jüdisches Gymnasium geschrieben", sagt sie. Als das "Ja" des Kultusministeriums kam, habe die Kultusgemeinde sie gefragt, ob sie nicht auch Direktorin werden wolle. Sie wollte. Wieder etwas Neues machen, und dann gleich ein Gymnasium aufbauen - "wann bekommt man eine solche Chance?", fragt Geldmacher.
Noch dazu als Nicht-Jüdin. Diese Offenheit der jüdischen Gemeinde habe sie beeindruckt.
Terror-Angriff der Hamas
Umso mehr bedrückt sie der wachsende Antisemitismus seit dem Terror-Angriff der Hamas im Herbst 2023 auf Israel. Über jüdische Lehrkräfte und die Schülerschaft, die Familie und Freunde in Israel haben, bekomme sie das Leid in Israel mit. "Fröhlich Chanukka mitfeiern in diesem Jahr – das konnte ich nicht." Nicht alle ihre Bekannten hätten das verstanden.
Sie selbst habe zwar noch nie kritische oder antisemitische Kommentare bekommen. Die jüdischen Schülerinnen und Schüler, die am Helene-Habermann-Gymnasium 65 Prozent der insgesamt 110 Jugendlichen ausmachen, dafür umso häufiger.
Antisemitische Inhalte auf Social Media
Viele erzählten ihr, dass sie in den sozialen Medien von antisemitischen Inhalten überflutet würden, sich macht- und schutzlos fühlten. Sie habe sich dann ein TikTok-Konto zugelegt, um zu wissen, was dort abgehe, sagt Geldmacher. Ihre Aufgabe als Pädagogin sei es ja, die jungen Leute in ihrem Alltagsleben zu stärken – bei jüdischen Jugendlichen, die regelmäßig von Antisemitismus betroffen seien, gelte das noch einmal mehr.
"Der 7. Oktober ist immer noch sehr präsent im Schulalltag", sagt sie.
Deshalb habe man die Namen aller rund 240 Geiseln im Schulgebäude angebracht, außerdem zähle man die Tage der Geiselhaft.
Judentum und Christentum
Berührungsängste mit dem Judentum habe sie keine – im Gegenteil, erzählt Geldmacher beim Rundgang durch das Gymnasium, das seit rund drei Jahren in einem Neubau in München-Fasangarten untergebracht ist. "Ich lerne gern dazu, das Judentum ist ja die Wurzel des Christentums." Zwischen den Religionen hin- und herzuwechseln, sei "ein wahrer Schatz".
Ihr Mann ist katholisch, sie selbst evangelisch und seit Oktober im Kirchenvorstand, dazu kommt noch ihre Arbeit in der jüdischen Schule. Ein paar Minuten später schüttelt sie in der Schulküche die Grundregeln des koscheren Kochens aus dem Ärmel: Schweinefleisch ist tabu, Fleisch und Milchprodukte dürfen nicht zusammen zubereitet werden – auch bei Klassenfahrten müssen sie beachtet werden.
Die "Basics" des Judentums kenne sie noch von der Sinai-Grundschule, sagt Geldmacher. Dennoch ist sie dankbar um das Fachwissen ihrer jüdischen Kollegen, gerade bei Feiertagen. Fragen könne sie auch immer den Rabbiner, der zweimal in der Woche statt des üblichen Morgengebets aus der Thora vorliest. Und wenn sie doch mal in ein jüdisch-kulturelles oder religiöses Fettnäpfchen trete, nehme ihr das keiner übel, sagt Geldmacher. "Und ich habe eben wieder etwas dazugelernt. Das ist doch das Wichtigste."
Jüdisches Schulwesen in Bayern ab dem 19. Jahrhundert
In Bayern gibt es aktuell nur zwei jüdischen Schulen: die in den 1980er Jahren gegründete Sinai-Grundschule und das 2016 eröffnete Helene-Habermann-Gymnasium. Beide Schulen befinden sich in München, sind staatlich anerkannt und stehen Kindern aller Religionen offen. Die Trägerschaft hat die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern inne.
Die Sinai-Grundschule und das Helene-Habermann-Gymnasium sind Privatschulen und können im Rahmen der Gesetze - so wie zum Beispiel auch evangelische oder katholische Schulen - besondere pädagogische, religiöse oder weltanschauliche Akzente setzen. So bietet das jüdische Gymnasium etwa Neuhebräisch als Fremdsprache an, jüdischen Religionsunterricht und das Fach "Jüdische Literatur und Geschichte".
"Private Schulen bereichern und ergänzen das Angebot der staatlichen Schulen", heißt es aus dem Kultusministerium. Das "Lehren um Lernen zum Judentum" habe eine herausgehobene Bedeutung. Das unterstreicht auch das 2022 vom bayerischen Kabinett beschlossene Gesamtkonzept "Stärkung des jüdischen Lebens und Bekämpfung des Antisemitismus".
Jüdische Bildung hat in Bayern eine lange Tradition: 1850 gab es 180 jüdische Schulen, vor allem auf dem Land. Dazu zählten Elementar- und Volksschulen. Daneben gab es sogenannte Religionsschulen der Kultusgemeinden, die ausschließlich die jüdische Religion unterrichteten. Die hohe Zahl an Volksschulen erklärt sich dadurch, dass sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur eine begrenzte Zahl jüdischer Bürgerinnen und Bürger in Städten niederlassen durfte. So entstanden viele kleine jüdische Landgemeinden.
Dazu kam die bereits 1802 in Bayern eingeführte Schulpflicht. Bildung lag zu der Zeit traditionell in der Hand der Kirchen. Es entstanden also evangelische und katholische Schulen, die Konfessionen wurden so gut wie nicht gemischt. In logischer Konsequenz wurden auch jüdische Schulen gegründet. Nur in Gemeinden mit einer kleinen jüdischen Bevölkerung konnten Ausnahmen gemacht werden.
Jüdische Kinder durften dann zwar die christliche Schule im Ort besuchen. Ihren Religionsunterricht erhielten sie allerdings im Rahmen einer Religionsschule der Kultusgemeinde. Als 1872 die jüdischen Bürgerinnen und Bürger das volle Bürgerrecht erhielten, zogen viel Juden in die Städte. Die kleinen Landgemeinden starben aus, die Zahl der jüdischen Schulen ging immer weiter zurück.
1924 gab es nur noch 26 jüdische Volksschulen in Bayern. Während der NS-Zeit nahm die Zahl der jüdischen Schulen dann kurzzeitig wieder zu, weil jüdische Kinder keine staatlichen Schulen mehr besuchen durften. Nach der NS-Zeit gab es jahrzehntelang gar keine jüdischen Schulen mehr, weil viele der wenigen überlebende Jüdinnen und Juden Deutschland für immer verließen.
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