Der Schulbeginn wird immer teurer
Am Dienstag beginnt das neue Schuljahr in Bayern. Während sich die einen in den Schulalltag wieder einfinden müssen, bricht für Schulanfänger eine denkbar richtungsweisende Phase ihres Lebens an. Die erwartungsvollen Kinderaugen rufen bei vielen Eltern jedoch eher Nervosität und Anspannung hervor.
Denn für einige Familien stellen die notwendigen Anschaffungen zur Einschulung ihres Kindes eine große finanzielle Herausforderung dar. Aber mal ehrlich: wen wundert’s?
Problem: Inflationsabhängige Bildungschancen
Nach aktuellen Berechnungen des Statistischen Bundesamts sind die Kosten für Schulmaterialien im Vergleich zum Vorjahr stark gestiegen:
- Schulhefte und Zeichenblöcke um 13,6 Prozentpunkte
- Füller und Stifte um 7,6 Prozentpunkte
- Schulbücher um 5,3 Prozentpunkte
Da es in den meisten Bundesländern keine oder nur äußerst eingeschränkte Lernmittelfreiheit gibt, müssen Eltern besonders zu Beginn des Schullebens tief in die Tasche greifen und die Kosten für die benötigten Lernmittel häufig selbst tragen.
Für den Gesamteinkauf aller empfohlenen Artikel für den Schulbedarf ermittelte die E-Learning-Plattform Preply im einem Blog-Beitrag einen Mindestaufwand von insgesamt 41,90 Euro pro Schulkind. Nach aktuellen Berechnungen des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) geben Eltern für die Einschulung im Schnitt 970 Euro aus. Laut Schätzung des Handelsverband Deutschlands (HDE) belaufen sich die Ausgaben deutschlandweit auf 650 Millionen Euro.
GEW fordert Kostenentlastung der Eltern von Schulkindern
Wegen der übermäßig gestiegenen Kosten für Schulmaterialien durch die Inflation fordert die GEW bedarfsorientierte soziale Transferleistungen (Kindergrundsicherung, anrechnungsfreies Kindergeld, ein wirksames Bildungs- und Teilhabepaket oder ähnliche Instrumente) und eine Grundausstattung an Schulen.
Noch immer bestimmen die Faktoren sozioökonomische Herkunft und politischer Gestaltungswille die Startchancen von Kindern zu Beginn ihres Schullebens. Diese nüchterne Bilanz geht aus dem ifo-"Ein Herz für Kinder"-Chancenmonitor von 2023 hervor.
Deshalb haben sich über 150 Bildungsorganisationen, Gewerkschaften – darunter die GEW – und Selbstorganisationen der Schülerinnen und Schüler, Eltern und Beschäftigten in dem Bündnis "Bildungswende JETZT!" zusammengeschlossen. Gemeinsam haben sie den gleichnamigen Appell unterschrieben und rufen für Samstag, 23. September, zum bundesweiten Bildungsprotest gegen das veraltete, unterfinanzierte und sozial ungerechte Bildungssystem auf.
Sparkurs des Finanzministers auf Basis falscher Tatsachen
Im Streit um Kindergrundsicherung wirft die GEW-Expertin Doreen Sierbernik dem aktuellen Finanzpolitiker Christian Lindner eine "Nebelkerzendiskussion" vor:
"Den Zuzug Geflüchteter in die Bundesrepublik als Hauptgrund für Kinderarmut anzuführen, verdreht schlicht die Tatsachen."
Die daraus fehlgeleiteten und unzureichenden staatlichen Kostendämpfungsmaßnahmen decken sich nicht mit den Daten des Chancenmonitors. Diese dokumentieren die Bildungschancen für Kinder mit verschiedenen familiären Hintergründen.
Aufschlussreich ist der Befund, dass sowohl der Bildungshintergrund der Eltern als auch Einkommen und Alleinerziehendenstatus große Auswirkung zeigen, wohingegen sich der Migrationshintergrund nach Berücksichtigung der anderen Merkmale weniger stark auswirkt.
Anstelle, die Schwächsten der Gesellschaft gegeneinander auszuspielen, fordert die GEW-Expertin, die geplante Kindergrundsicherung ausreichend zu finanzieren, um den im Grundgesetz verankerten Auftrag zur Chancengerechtigkeit durch gleiche Bildungschancen nachzukommen.
Der Bundeselternrat hat andere Sorgen: Dresscode an Schulen?
Dass wenige Tage vor Schulbeginn der Bundeselternrat für Schlagzeilen sorgen könnte, war zu erwarten. Dass es in der Diskussion jedoch nicht um die schwindelerregenden Kosten der Eltern zum Schulstart gehen würde, sondern um "lottrige, zerrissene oder freizügige Kleidung" an Schulen, führt beinah achselzuckend an den wirklich drängenden Themen des deutschen Bildungssystems vorbei.
Die Forderung nach einem Ausschluss vom Unterricht aufgrund des Tragens einer Jogginghose wirkt bizarr. Auch Schüler*innen haben das in Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz festgeschriebene Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit.
Mangelnde Chancengerechtigkeit ist besonders riskant, wenn sie im Bildungsbereich auftritt. Das Grundrecht wird unbemerkt schon dann verletzt, wenn Faktoren, die außerhalb der Kontrolle einer Person liegen (Bildungshintergrund der Eltern, aber auch Einkommen und Alleinerziehendenstatus), die Möglichkeiten zur persönlichen Entwicklung und zur gesellschaftlichen Teilhabe einschränken.
Statt über die Vorteile von Schulkleidung zu diskutieren, wäre es daher dringend an der Zeit, bessere Bildungschancen für Kinder mit verschiedenen familiären Hintergründen zu ermöglichen und die geplante Kindergrundsicherung voranzubringen.
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden