"Diese Orte, die auch Friedhöfe sind, dürfen nicht für tagesaktuelle Politik genutzt werden."

Herr Skriebeleit, was halten Sie von der Idee, dass Hubert Aiwanger wegen der Flugblatt-Affäre eine KZ-Gedenkstätte besucht?

Jörg Skribeleit: Davon halte ich nicht viel. Gedenkstätten sind aus der Tagespolitik rauszuhalten. Ein Aiwanger-Besuch zur jetzigen Zeit würde automatisch als politisch motivierter Auftritt gelesen werden. Deswegen ist ein Besuch der Gedenkstätte vor dem 8. Oktober wenig sinnvoll und von uns auch nicht gewünscht. Es gab auch bislang noch keine Anfrage, aber man würde es sehr eindeutig kommunizieren. Diese Orte, die auch Friedhöfe sind, dürfen nicht für tagesaktuelle Politik genutzt werden. Das ist im Übrigen mit der Stiftung bayerische Gedenkstätten so abgestimmt. Das würde jede Gedenkstätte in Deutschland so machen.

"Das hat etwas von einem Ablasshandel."

Was halten Sie von der Idee, man können sich durch einen Gedenkstättenbesuch von einer möglichen Schuld reinigen?

Diesen Reflex gibt es zum Beispiel von Richtern. Wenn jemand wegen rechtsradikaler Delikte verurteilt wird, soll er eine Gedenkstätte besuchen. Wir finden das extrem schwierig, weil tatsächlich so ein kathartisches Bild dahintersteckt. Das hat etwas von einem Ablasshandel. Gedenkstätten erfüllen keine Läuterungshoffnungen und sind keine Besserungsanstalten. Sie haben viele Funktionen und hoffentlich auch Wirkungen, aber diese Erwartung würde zu kurz greifen und auch der Komplexität unserer Arbeit und dieser Orte nicht gerecht werden.

"Durch die Gegend, in der Aiwanger aufwuchs, führten viele Todesmärsche aus dem KZ Flossenbürg."

Und was heißt das nun konkret für die Causa Aiwanger?

Ich würde mich später gerne mit ihm unterhalten, weil es in Mallersdorf-Pfaffenberg an der Ortseinfahrt ein Denkmal und einen symbolischen Friedhof für 57 an diesem Ort erschlagene KZ-Häftlinge gibt. Aiwanger muss auf seinem Schulweg täglich daran vorbeigekommen sein. Durch die Gegend, in der Aiwanger aufwuchs, führten viele Todesmärsche aus dem KZ Flossenbürg. Ich habe sie einmal als Killling Fields bezeichnet.

Viele Menschen aus dieser Gegend wenden sich an uns, weil es sie umtreibt, was in ihrem Ort in den letzten Kriegstagen geschehen ist, als das KZ-System sich quasi über diesen gesamten Landstrich durch die Todesmärsche erstreckte. Darüber würde ich gerne mit Herrn Aiwanger sprechen, darüber, dass KZ-Gedenkstätten nicht nur moralische Instanzen, Ablassorte oder Läuterungsstationen sind, so wie es diese Besuchsaufforderung nahelegt, sondern dass man in diesen Orten auch etwas zu seiner regionalen, aber auch zu seiner persönlichen Geschichte erfahren kann.

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