In Frankreich passiert gerade etwas Ungewöhnliches: Junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren strömen in die Kirchen – nicht, um zu heiraten, sondern um getauft zu werden. Während die Kindertaufen auch dort zurückgehen, erlebt das katholische Frankreich einen Boom bei Erwachsenentaufen. Die Taufbecken füllen sich nicht nur mit Wasser, sondern auch mit neuer Hoffnung.
Ein Blick auf die Taufzahlen in Deutschland
In Deutschland zeigt sich hingegen ein düsteres Bild: Die Taufzahlen sind ernüchternd – in beiden großen Kirchen, bei Kindern wie bei Erwachsenen. Von einem Aufbruch der Glaubensgemeinschaft, wie ihn Frankreich erlebt, ist hier nichts zu spüren.
Ein Blick auf die aktuellen Statistiken macht die Entwicklung deutlich: 2024 wurden rund 110.000 Menschen evangelisch getauft – ein Rückgang von 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, ein Drittel weniger als 2022.
Und von diesen Taufen waren fast 90 Prozent Kindertaufen. Nur 4 Prozent entfielen auf Erwachsene. Der Trend zeigt nach unten – und er hat lange Wurzeln.
Der Einfluss des demografischen Wandels und sinkender Kirchenbindung auf die Taufzahlen
Der demografische Wandel erklärt einen Teil: Die Generationen, die noch selbstverständlich Kirchenmitglieder waren, sterben aus. Jüngere Jahrgänge bringen weniger Kinder zur Welt – und lassen diese immer seltener taufen.
Hinzu kommen wachsende Kirchenaustritte (trotz leichten Rückgangs im vergangenen Jahr) und eine weltanschaulich immer vielfältigere Gesellschaft.
Nur noch 45,2 Prozent der deutschen Bevölkerung gehören aktuell einer der Kirchen an. Die Kirche ist mittlerweile eine Minderheitenstimme.
Der Anteil der Erwachsenentaufen in Deutschland: Ein bescheidener Anstieg
Bemerkenswert bleibt: Der Anteil der Erwachsenentaufen hat sich – auf niedrigem Niveau – vervielfacht. Von einem Prozent im Jahr 1960 auf heute vier Prozent, in Spitzenzeiten sogar acht Prozent. Regionale Initiativen wie Tauffeste an Flüssen oder niedrigschwellige Kita-Projekttage tragen vermutlich zu dieser Entwicklung bei.
Doch auch die gesellschaftliche Großwetterlage spielt eine Rolle: In Zeiten wachsender Einsamkeit suchen viele Menschen nach Gemeinschaft und verbindlichen sozialen Netzwerken. Für Menschen mit Migrationshintergrund kann die Taufe zudem als kulturelle Brücke dienen oder – wie Fachleute es nennen – als „selbstgeschaffener Asylgrund".
Trotz dieser punktuellen Erfolge bleibt es jedoch bei einem Stückwerk ohne gesamtgesellschaftliche Strahlkraft.
Die Tradition der Kindertaufe in Deutschland: Ein ungebrochener Fokus
In Deutschland wird die Taufe traditionell vom Kind her gedacht – bis zum 14. Lebensjahr in der evangelischen, bis zum 7. Lebensjahr in der katholischen Kirche. Danach gilt man als religionsmündig und muss sich selbst für die Taufe entscheiden.
Diese tief in der kirchlichen Geschichte verankerte Sichtweise – von Augustin über Luther bis heute – gründet auf dem theologischen Gedanken der vorauseilenden Gnade Gottes: Sie wird dem Menschen ohne eigenes Zutun bereits am Lebensanfang geschenkt. Gott wendet sich dem Menschen zu, bevor dieser überhaupt fähig ist, sich bewusst für den Glauben zu entscheiden.
Die verpasste Chance: Warum der deutsche Fokus auf Kindertaufen hinterfragt werden sollte
Dieser Gedanke prägt bis heute das praktische Handeln. Die EKD-Kampagne "#deinetaufe" zielte beispielsweise primär auf junge Familien. Bunte Bilder von nassen Kinderköpfen, Taufkerzen und fröhlichen Eltern dominieren die kirchliche Kommunikation.
Für die Konzentration auf die Kindertaufe sprechen auch pragmatische Gründe: Junge Eltern befinden sich oft noch an einem "Entscheidungspunkt" – bei der Erziehung ihrer Kinder und deren religiöser Prägung.
Ältere Menschen sind entweder bereits getauft oder haben aufgrund ihrer Lebensgeschichte eine gefestigte Haltung zur Kirche. Dennoch könnte hier eine verpasste Chance liegen.
Erste Ansätze des Umdenkens: Kann Deutschland von Frankreich lernen?
Der deutsche Fokus auf die Kindertaufe verrät, wie sehr das Kirchenschiff bereits wankt: Er offenbart die Sorge, dass Erwachsene sich aus eigenem Antrieb nicht mehr für die Taufe entscheiden würden.
Nicht theologische Bedenken gegen die Erwachsenentaufe sind ausschlaggebend – vielmehr wird die Kindertaufe zum letzten Rettungsanker in einer Zeit schwindender Kirchenbindung.
Eltern, die ihre eigene Kirchenzugehörigkeit vielleicht schon hinterfragen, entscheiden sich oft noch für die Taufe ihrer Kinder – aus Tradition, familiärem Druck oder weil sie ihnen "alle Optionen offenhalten" wollen.
Erwachsenentaufe: Der Schritt, den die Kirche wagen sollte
Was in Frankreich gelingt – die Taufe als bewusste Entscheidung junger Erwachsener zu etablieren – bleibt in Deutschland eine Ausnahmeerscheinung.
Statt auf die persönliche Glaubensentscheidung Erwachsener zu setzen, klammern sich die deutschen Kirchen an die schwindende Tradition der Kindertaufe – und verpassen damit möglicherweise die Chance, neue Wege in einer zunehmend säkularen Gesellschaft zu finden.
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In Frankreich erleben die…
In Frankreich erleben die Erwachsenentaufen einen Boom. Über die Gründe gibt der Artikel leider keine Auskunft. Insofern ist auch nicht klar, welche Chancen in Deutschland verpasst werden. An der Kindertaufe kann es eigentlich nicht liegen, wie der Artikel suggeriert. Auch die gibt es immer noch in Frankreich.
Das ist kein Klammern, das…
Das ist kein Klammern, das ist gute Theologie: katholische und reformatorische, sprich: lutherisch und reformiert.
Was im Artikel übersehen wird: In Deutschland gibt es ein Überangebot an taufgesinnte Freikirchen. In Frankreich sind solche Freikirchen noch Mangel.
Ein etwas seltsamer Vorwurf…
Ein etwas seltsamer Vorwurf. Warum nicht das eine tun und das andere nicht lassen? Die Kirche klammert doch nicht. Man kann sicher einseitige Werbung kritisieren, aber wir hatten hier längst genug Erwachsenentaufen um das als Option in der Gemeinde und bei gelegentlichen Besuchern bekannt zu machen. Gegen die Kindertaufe spricht nichts, genauso wenig wie gegen die Erwachsener. Die aktive Gemeindezugehörigkeit scheitert eher nicht an verweigerten Taufen.
Ich bin 34 Jahre und werde…
Ich bin 34 Jahre und werde im Juni getauft. Während meiner Recherche zur Taufe war ihr frustriert, dass man so gut wie nichts über Erwachsenentaufen findet. Wie hier geschrieben, dreht sich alles um Kinder. Ich freue mich riesig auf meine Taufe und bin sehr glücklich, dass ich mich an meine Taufe erinnern kann im Gegensatz zu den ganz Kleinen unter uns. Kirche bietet hauptsächlich Angebote für Kinder, Jugendliche und Senior:innen, aber dazwischen gibt es Altersgruppen, die einfach übersehen werden. Ich hoffe nicht, dass ich in einigen Jahren alleine im Gottesdienst sitzen werde. Ich freue mich wirklich sehr und hoffe, dass die Kirchen in Zukunft auch mehr an Erwachsene denkt.
Vielleicht bin ich etwas…
Vielleicht bin ich etwas gebiast, weil wir zuletzt öfter Erwachsenentaufen hatten und wir in dem Fall öfter auch einen interaktiven Einführungskurs zu den zentralen biblischen Inhalten und Liturgie anbieten, was für beide Seiten hoffentlich lehrreich ist und uns etwas zusammenrücken lässt, so dass man sich dann beim Fest richtig mitfreut. Die Angst über zu bleiben, kann man uns Mittelalten wohl nicht ganz nehmen, wobei in einer lebendigen Gemeinde schon immer ein gutes Häuflein zusammen kommt. Da wir schrumpfen arbeiten wir enger mit den Nachbargemeinden zusammen: Chorprojekte (wir üben dasselbe und treten dann der Reihe nach in den Gemeinden zusammen auf), sonstige Kreise, gemeinsamer Gottesdienst in der "saure Gurken"-Zeit (127. Sonntag nach Trinitatis...). Das klappt nicht so schlecht. Ich bin eigentlich ganz zuversichtlich auch in einigen Jahren noch eine Gemeinde zu finden, auch wenn sich im Detail vieles verändert - nicht alles zum Schlechten übrigens.