Zum 70-jährigen Jubiläum der Staatsgründung des Staates Israel habe ich einige unserer Gemeindemitglieder befragt, welche Bedeutung der Staat Israel für sie hat. Hier ein paar wenige Antworten:

"Für einen Menschen, wie mich, der nie eine wirkliche Heimat hatte, ist Israel heute diese zweite, weit entfernte Heimat. Wenn es nirgendwo mehr einen Platz für Juden geben wird, wird Israel meine Zufluchtsstätte sein."

"Israel ist der Ort, an dem ich das Gefühl habe, auch zu Hause zu sein. Meine Sehnsucht und mein sicherer Hafen."

Natürlich haben wir Juden nach den bitteren Erfahrungen der Vergangenheit Sehnsucht nach diesem "sicheren Hafen". Niemand wollte uns damals haben, und heute hat man oft, (schon) wieder ein mulmiges Gefühl, wenn man sein Jüdischsein offen leben will. Die allermeisten Juden sind unglaublich stolz auf die Leistungen dieses kleinen Landes. Oft, zu oft, war seine Existenz akut gefährdet.

Heute ist Israel die einzige Demokratie in diesem Teil des Nahen Ostens. Epochale Errungenschaften in den Bereichen Medizin, Informationstechnologie, Landwirtschaft, Forschung und Wasseraufbereitung machen Israel zu einem Zentrum für junge Unternehmensgründer aus aller Welt.

Israel engagiert sich in vielen humanitären Bereichen. Bereiche, die man in Deutschland in den Medien nur am Rande erwähnt: Die unentgeltliche ärztliche Versorgung von syrischen Verletzten während des schrecklichen Bürgerkrieges. Oder die Rehabilitation von schwerkranken Kindern im "Jordan River Village", einer Institution, die auch kranken Kindern aus Gaza offen steht. Arabisch–israelische Koexistenz im Hadasah-Krankenhaus in Jerusalem. Jüdische Ärzte kümmern sich um verletzte Terroristen und arabisch-israelische um verletzte Juden an vorderster Stelle.

Israel als normales Land

Auch die Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien und die Annäherung an einige andere Staaten im arabischen Raum machen uns stolz.  Für uns ist Israel auch ein "normales" Land, für das niemand auf der Welt irgendeine Verantwortung übernehmen muss. Die schon fast obsessive Beschäftigung mancher meiner Mitbürgerinnen und Mitbürger wirkt so wie es ist: Signifikant übertrieben. Der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern wird zum zentralen Nahostkonflikt hochstilisiert. Weder denkt die breite Öffentlichkeit an die Bürgerkriege in Syrien und im Jemen, noch an die Auseinandersetzungen zwischen Schiiten, Sunniten, Wahhabiten, Aleviten in der gesamten Region, den Krieg der Kurden im Irak und in der Türkei, die Kämpfe der Peschmerga mit dem IS, das Schicksal, ja den Genozid an der Jesidischen Minderheit, die Ermordung von tausenden Palästinensern durch den Despoten Assad , nein, der "Nahostkonflikt" wird sofort mit den Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern assoziiert.

Millionen Tote und Millionen Verfolgte und tote Christinnen und Christen. Und von den Friedensbewegten ist nichts zu hören und zu sehen. Wenig oder keine Presseberichterstattung, wenig oder keine Proteste. Zum Israel-Sonntag wünsche ich mir deswegen eine Neukalibrierung in der Diskussionskultur in unserer Gesellschaft, was Israel angeht. Und auch in der evangelischen Kirche mehr Widerspruch gegenüber den "Abromeits" in ihren Reihen. Vielleicht gepaart mit Bescheidenheit in Erinnerung an ihre Rolle während des tausendjährigen Reiches.