Kurz bevor Heinrich Bedford-Strohm zum bayerischen Landesbischof gewählt wurde, hatte er als Vorsitzender der traditionsreichen Gesellschaft für Evangelische Theologie den Auftrag, eine Tagung über das Thema "Glück" zu organisieren. Zur Vorbereitung dieser Tagung befasste er sich mit der Glücksforschung. Und je mehr er darüber las, desto mehr faszinierte ihn das Thema: "Der wichtigste Grund, dass ich von den Ergebnissen der Glücksforschung so elektrisiert war, war, dass mir das alles so bekannt vorkam. Es waren nämlich haargenau die Themen, auf die ich beim Lesen der Bibel über so viele Jahre immer wieder gestoßen war."

 

Frömmigkeit und Glück sind Geschwister

Die Verbindungslinien von Glück und Glauben beschäftigten ihn immer wieder, er äußerte sich dazu mehrfach in Vorträgen, Predigten, Magazinbeiträgen oder in Talkshows. Nun hat er seine Gedanken in einem Buch mit dem Titel "Frömmigkeit und Glück" zusammengefasst. In allem, was die Glücksforscher als wahre Lebenskunst beschreiben, sieht er eine erstaunliche Nähe zu den Kernthemen der Bibel: Vergeben lernen, Dankbarkeit spüren, auf Beziehungen achten, ganz im Hier und Jetzt leben, statt voll Sorgen um die Zukunft zu sein. Dafür sind Gebet und Gottesdienst, das Lesen biblischer Texte oder auch das Singen von Liedern so etwas wie Türöffner. Frömmigkeit ist der Schlüssel auf dem Weg zum Glück, Frömmigkeit und Glück sind Geschwister. Frömmigkeit ist aus seiner Sicht "eine besonders starke Antwort auf die Frage, auf die die Glücksratgeber nur begrenzt antworten können: Wie komme ich zu der tatsächlichen Erfahrung des Glücks, das mir in den Glücksratgebern vor Augen gemalt wird?"

Hinter dem altmodischen Begriff der Frömmigkeit sieht er ein Zukunftsmodell. In Zeiten, in denen die schnelle und effektive Selbst­optimierung den Ton angibt, sei sie vielleicht mehr denn je ein alternativer Zugang zum Leben. Frömmigkeit ist für ihn "eine Lebenshaltung, die das eigene Leben in den Horizont der Beziehung zu Gott stellt und diese Beziehung auch pflegt". Durch tägliches Gebet, das regelmäßige Lesen der Bibel, durch die Gemeinschaft mit anderen, die das Gleiche tun. "Durch den gemeinsamen Gesang, der wie kaum etwas anderes das Herz öffnet und froh macht".

Dankbarkeit kann man lernen

Dankbarkeit zum Beispiel, schreibt der bayerische Landesbischof, könne man lernen – durch religiöse Praxis. Wer jeden Abend Psalm 103 lese und sage "Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat", bei dem finde die Dankbarkeit Schritt für Schritt ihren Weg in seine Seele. Auch Kirchenlieder wie das altehrwürdige "Nun danket alle Gott" oder der Familiengottesdienstschlager "Danke für diesen guten Morgen" könnten Teil solcher religiöser Praxis sein, die die Dankbarkeit nicht nur im Kopf, sondern in Herz und Seele verankert.

Heinrich Bedford-Strohm sitzt auf einem roten Sofa, die Hände gefaltet, er lächelt
Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm.

Neben weiteren Beispielen stellt Bedford-Strohm die Kraft der Vergebung als besonderes Moment für ein glückliches Leben heraus. Es gibt für ihn keine kraftvollere Form, die Erkenntnisse der Glücksforschung aufzunehmen und in den Alltag zu integrieren.

Wohltuend ist, wie der Autor den im evangelischen Milieu überstrapazierten Begriff des "gelingenden Lebens" neu interpretiert. Gelingendes Leben schließt die dunklen Momente und Abgründe nicht aus. "Was für die schönen Momente des Lebens gilt, gilt erst recht für die Sorgen, die wir uns um die Zukunft machen", schreibt er. Er kennt die Situation, "wenn die Nachtdämonen kommen und uns weismachen wollen, dass alles schieflaufen wird": "Werde ich mich bei einem wichtigen Termin blamieren? Werde ich die Prüfung schaffen? Werde ich meine Beziehung halten können? Wird das Geld reichen? Und wie wird die Welt sich entwickeln? Wird der Klimawandel noch zu stoppen sein? Wird es vielleicht bei uns Krieg geben?"

Die Psalmen sind die kraftvollste Schule für die Sprache der Seele

Im Einklang mit der Glücksforschung sieht er die Sorge als Grundhaltung lebenshemmend. "Wenn die Sorge alles bestimmt und die Zuversicht erdrückt, verschwindet nicht nur Grundvertrauen und Lebensfreude, sondern auch der notwendige nüchterne Blick auf die Wirklichkeit, der allein gute Zukunftsentscheidungen ermöglicht." Deswegen, so Bedford-Strohm, sei Religion als Quelle für eine von Vertrauen geprägte Grundhaltung so hilfreich. Wer sich in Gottes Hand gehalten weiß, müsse nicht mehr aus der Sorge leben. "Wenn ich nachts aufwache und mich die Sorge zu erfassen droht, dann bete ich diese Worte aus Psalm 23: "Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück. Denn Du bist bei mir, Dein Stecken und Stab trösten mich." Manchmal müsse man diese Worte immer wieder wiederholen, sie meditieren, sie einatmen, damit sie die Seele wirklich erreichen.

Überhaupt sieht er in den Psalmen der Bibel die Quelle für ein erfülltes Leben. Sie sind für ihn "die kraftvollste Schule für die Sprache der Seele, die uns diese tiefe Gewissheit vermittelt". Als bestes Beispiel dafür führt er Psalm 139 an, "er strahlt für mich eine Geborgenheit und Zuversicht aus, die selbst in den größten Abgründen des Lebens trägt: ›Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten. Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein –, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht. Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.‹" (Psalm 139,8-14)

Was im Leben wirklich zählt

Bedford-Strohm versteht es, über 128 Seiten die existenzielle Bedeutung der biblischen Texte herauszustellen. Er macht in seinem Buch glaubwürdig deutlich, dass religiöse Praxis auf der Basis der biblischen Tradition alles andere als lebensfeindlich ist. Mit kraftvollen Bibelworten zu unterschiedlichen Lebenssituationen schenkt er neue Orientierung und macht deutlich, was im Leben wirklich zählt und die Grundlage für ein erfülltes und glückliches Leben ist. Er will sich nicht damit abfinden, "dass all die stärkenden, zentrierenden, lebensfreundlichen Inhalte, die den Kern christlicher Traditionen ausmachen, heute von vielen Menschen jenseits des Christentums gesucht werden, obwohl sie in den für unsere Kultur historisch so prägenden christlichen Inhalten sozusagen direkt vor der Haustür liegen".

Dass die Menschen mit Kirche und Bibel genau das nicht mehr verbinden, darin sieht Bedford-Strohm die "viel zu hohe Zahl der Kirchenaustritte" begründet. "Moralismus, Dogmatismus, autoritäres Gehabe, hölzerne Weitergabe dogmatischer Richtigkeiten, Unglaubwürdigkeit im tatsächlichen Leben der gepredigten Inhalte ist der jahrhundertelang gewachsene Unrat, der zu den gegenwärtigen Entfremdungserscheinungen geführt hat." Und er kommt zu dem Schluss: "In einer Gesellschaft, in der sich die Menschen aus Freiheit und nicht mehr aus Konvention oder gar Zwang religiösen Gemeinschaften anschließen, muss die Kirche ihre allein auf äußerer Autorität beruhenden gesellschaftlichen Machtansprüche und all die damit verbundenen Formen und Praktiken hinter sich lassen und neue innere Autorität entwickeln."

Die Neuentdeckung der eigenen religiösen Quellen

Doch wie kommt die Kirche dorthin? Jedenfalls nicht allein über strukturelle Veränderungen, die brauche es auch. Der Weg dazu ist für ihn vor allem "die Neuentdeckung ihrer eigenen religiösen Quellen", allen voran der Bibel. "Der Grund dafür, dass ich fest an die Wiederentdeckung des Christentums auch in unserem Land und in unserer Kultur glaube, ist nicht, dass wir die perfekten Botschafter seiner Inhalte sind, so sehr wir auch daran arbeiten müssen und können. Der Grund dafür ist, dass die Botschaft so stark ist und so relevant für die sogenannten modernen Menschen von heute."

Buch-Tipp

Frömmigkeit und Glück

Heinrich Bedford-Strohm: Frömmigkeit und Glück
Claudius Verlag 2022
128 Seiten, 14 Euro

Erhältlich in Ihrer Buchhandlung oder bei der Claudius Versandbuchhandlung,
Tel. (089) 1 21 72-119,
Mail: vertrieb-claudius@epv.de

www.claudius.de

Heinrich Bedford-Strohm

Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern
Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern

Heinrich Bedford-Strohm ist seit 2011 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) und war von 2014 bis 2021 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Bedford-Strohm wurde 1960 in Memmingen geboren. Er studierte Theologie in Erlangen, Heidelberg und Berkeley (USA) und promovierte anschließend. Als Professor lehrte und lehrt er an verschiedenen Universitäten, u.a. in Gießen, Bamberg, New York (USA) und Stellenbosch (Südafrika). Sein Vikariat absolvierte er in einer Kirchengemeinde in Heddesheim, als Pfarrer war er in Coburg tätig.