"Was kann ich tun, damit mein Enkelkind in der Zukunft mindestens genauso gut leben kann wie ich jetzt?"

Warum ist Ihnen das Thema Klimaschutz so wichtig, Herr Bedford-Strohm?

Heinrich Bedford-Strohm: Ich mache es mir selbst immer wieder klar, wenn ich an mein Enkelkind denke, an meinen ersten Enkel. Der ist jetzt drei Jahre alt und er wird im Jahr 2079 so alt sein wie ich jetzt. Ich frage mich genauso wie jeder andere Opa und jede andere Oma auf dieser Welt: Was kann ich tun, damit mein Enkelkind in der Zukunft mindestens genauso gut leben kann wie ich jetzt? Und wenn ich mir die Vorhersagen der Wissenschaftler im Hinblick auf das Jahr 2079 und die Jahre drumherum anschaue für den Fall, dass wir nicht deutlich unser Verhalten und unseren Lebensstil ändern, dann kommt mir das große Grausen. Und ich möchte genauso wenig wie irgendein anderer Opa oder eine andere Oma, dass unsere Enkelkinder in einer solchen Situation leben – Überschwemmungen, Dürren, große Flüchtlingsbewegungen – das sind die Szenarien. Und entweder muss mir jemand sagen, warum die Wissenschaftler Unrecht haben in ihren Vorhersagen, oder wir müssen intensiv danach suchen, wie wir jetzt schnell umsteuern können, sodass wir nicht zu Kipppunkten kommen, die dann ganz schnell zu einem Zerstörungsprozess führen, der nicht mehr revidierbar ist.

Rührt daher auch Ihr Verständnis für die Klimaproteste?

Das ist das große Anliegen der jungen Leute, die heute protestieren. Das ist die Dringlichkeit, die Emotion, die ihre Proteste ausmacht. Und darauf müssen wir reagieren. Wir dürfen sie nicht in Präventivhaft nehmen und weitermachen wie bisher, sondern wir müssen die Anfrage ernst nehmen, mit ihnen ins Gespräch kommen und dann gemeinsam die Lösungen entwickeln, die schnell dafür sorgen, dass wir umsteuern.

"Die Frage des Klimawandels ist nicht nur eine politische Frage, es ist eine geistliche Frage."

Warum ist Klimaschutz nicht nur eine Aufgabe für die Politik, sondern auch für die Kirche?

Wir sprechen von der Natur als Schöpfung Gottes. Und wir sprechen in fast jedem Gottesdienst das Glaubensbekenntnis. Ich glaube an Gott. Und dann heißt es den Schöpfer des Himmels und der Erden. Und das ernst zu nehmen, darum geht es. Die Frage des Klimawandels ist nicht nur eine politische Frage, es ist eine geistliche Frage. Sehen wir die Natur als etwas, was der Ausbeutung des Menschen zur Verfügung steht, oder sehen wir die Natur als Mitgeschöpf? Wir haben als Christen eine klare Antwort: Sie ist mit uns zusammen Schöpfung Gottes. Deswegen, weil wir an Gott als den Schöpfer glauben, müssen wir würdevoll mit der Natur umgehen.

Gibt es noch weitere Gründe?

Ja, auch aus Nächstenliebe-Gründen. Denn schon jetzt sind diejenigen, die in anderen Teilen der Welt leben und am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, die ersten Opfer. Das höre ich, wenn ich etwa unsere Partner Kirche in Tansania besuche und die verdorrten Felder sehe. Die Lebensgrundlagen werden zerstört durch unseren Lebensstil. Und dann kenne ich die Zahlen in Deutschland pro Kopf pro Jahr neun Tonnen CO2 Ausstoß, in Tansania 0,2 Tonnen. Jeder, der diese Zahlen kennt, erkennt sofort, wie ungerecht der gegenwärtige Zustand ist. Und deswegen auch um der Nächstenliebe und der Gerechtigkeit willen, müssen wir dringend umsteuern.

"Es ist die falsche Antwort, die jungen Leute wegzusperren."

Sie haben auf der Synode auch klare Worte zur Präventivhaft gefunden, in die der Freistaat Bayern mehrere Klima-Aktivist*innen genommen hat.

Also mich bedrückt schon sehr, wenn ich in der Zeitung lese, unter welchen Haftbedingungen die jungen Menschen, die da protestieren, jetzt diese Präventivhaft bekommen. Das ist unwürdig, das darf man nicht machen. Und es ist auch die falsche Antwort, die Leute wegzusperren. Das ist auch in fast allen Bundesländern in Deutschland anders. Das wird nicht gemacht, mit guten Gründen, weil man, wenn man von Radikalisierung spricht, durch solche Haft und solche Haftbedingungen wirklich erst recht dazu beiträgt, dass Menschen sich radikalisieren. Das wollen wir nicht.

Was wollen Sie stattdessen?

Wir wollen ins Gespräch kommen. Wir wollen, dass diese jungen Menschen, denen es um das Leben geht, wir wollen, dass die zurückgeholt werden in den gesellschaftlichen Diskurs und mit uns gemeinsam darüber nachdenken, wie man denn dieses dringliche Anliegen jetzt in ganz konkrete Schritte umsetzen kann. Und zwar sehr schnell.

"Gewalt ist immer eine Niederlage und ist nie eine Lösung."

Ein anderes Thema, das viele bewegt, ist der Krieg in der Ukraine. Tut die Kirche genug für Frieden?

Also ich glaube, die Kirchen müssen es aushalten, dass bestimmte Fragen nicht einfach zu beantworten sind, dass es eine Zerrissenheit gibt. Auf der einen Seite geprägt von dem Auftrag zur Gewaltlosigkeit, den Jesus uns mit auf den Weg gegeben hat, der uns sagt Krieg ist immer eine Niederlage, Gewalt ist immer eine Niederlage und ist nie eine Lösung. Und deswegen müssen wir immer der Gewaltfreiheit den Vorrang geben. Und auf der anderen Seite der klaren Erkenntnis, dass es Situationen gibt, in denen schlimmer Mord, Tötung von Menschen, von vielen Menschen, extreme Ungerechtigkeit nur verhindert und bekämpft werden können. Wenn man auch zu diesem letzten Mittel zu den Waffen greift. Alles andere, was Menschen einfach schutzlos der Gewalt überlässt, wäre nicht verantwortbar. Das ist die andere Seite. Diese Spannung müssen wir als Kirchen aushalten. Wir haben unterschiedliche Positionen. Es gibt die prinzipielle Gewaltfreiheitsposition. Die hat in der Geschichte viel Gutes bewirkt, weil sie immer wieder diejenigen, die viel zu schnell auf den Krieg als Mittel gesetzt haben, daran erinnert hat, dass das nie die Normalität sein kann und dass man sich daran nie gewöhnen kann und umgekehrt. Aber, glaube ich, es ist auch wichtig, dass diejenigen, die sagen, auch Waffengewalt kann im äußersten Fall notwendig sein, die anderen daran erinnern, dass es nicht ausreicht, sich herauszuziehen aus dem Ganzen und sich die Finger nicht schmutzig machen zu wollen, wenn gleichzeitig Menschen sterben, die ohne Schutz bleiben.

"Wir beten für die Menschen, die in schwierigen Situationen sind, und die spüren das auch, dass wir für sie beten."

Was können die Kirchen konkret tun, um zum Frieden beizutragen?

Also die Kirchen können vor allem den Menschen, die in Not sind, helfen, also die Folgen des Krieges mit dadurch zu lindern helfen, dass sie einfach da sind, etwa für Leute, die flüchten müssen, aber auch durch humanitäre Hilfslieferungen und vieles andere. Übrigens auch durch das Gebet, dass wir beten für die Menschen, die in schwierigen Situationen sind, und die spüren das auch, dass wir für sie beten. Das ist das eine. Und das andere ist aber auch, dass wir das tun sollten, was wir tun können, um die Ursachen dieser Not, nämlich den Krieg selbst, zu überwinden. Und da hat die Kirche natürlich ein weltweites Netzwerk und hat natürlich Gesprächskanäle, die die Politik so nicht hat. Und deswegen setze ich mich sehr dafür ein, dass auch jetzt in dem Krieg, den Russland gegen die Ukraine begonnen hat, diesem Angriffskrieg, dass wir nicht unsere russischen Kontakte jetzt einfach in den Boden versenken, sondern dass wir gerade jetzt mit denen, die in der russisch orthodoxen Kirche etwa Mitglieder auch des Weltkirchenrat sind, dass wir mit denen im Gespräch bleiben.

"Ich setze darauf, dass wir als Christen da tatsächlich Salz der Erde und Licht der Welt sein können."

Passiert das denn schon?

Nicht alles kann in der Öffentlichkeit passieren. Vieles passiert auch in den Gesprächen von Mensch zu Mensch. Und wir wissen alle, dass öffentliche Erklärungen gegen den Krieg dazu führen, dass die Menschen sofort ins Gefängnis kommen. Das kann sich auch niemand wünschen. Und deswegen müssen wir am Ball bleiben. Und wir müssen die Begegnungen sogar stärken, denn davon bin ich überzeugt. Menschen, die aus Russland zu uns kommen, etwa bei der Vollversammlung des Weltkirchenrat dort, vielen anderen begegnen, neue Informationen bekommen, die sie in Russland nicht bekommen. Die gehen verändert wieder nach Russland zurück. Und ich setze darauf, dass wir als Christen da tatsächlich Salz der Erde und Licht der Welt sein können und durch diese Kontakte im Hintergrund jedenfalls vorbereiten können, dass Situationen entstehen, wo dieser Krieg endlich beendet werden können, beendet werden kann.