Herr Bedford-Strohm, übergeben Sie die bayerische Landeskirche nach Ihrer Amtszeit in einem besseren Zustand als zum Zeitpunkt Ihrer Wahl vor zwölf Jahren?

Heinrich Bedford-Strohm: Wir haben in meiner Amtszeit entscheidende Prozesse begonnen, aber vollendet ist das Werk noch nicht. Wir gehen als Kirche durch eine nicht einfache Zeit: Wir haben weniger Geld, auch weniger Personal, und zugleich steigen die Herausforderungen. Deswegen ging es schon zu Beginn meiner Amtszeit darum, dass die Landeskirche einen Kurs einschlägt, der sie für diese neue Situation zukunftsfähig macht - und das rechtzeitig und nicht erst, wenn man wegen Geldproblemen gar keine andere Wahl mehr hat.

"Was brauchen die Menschen vor Ort von uns, um die Liebe Gottes auf einfache Weise zu erfahren. Und wie müssen wir uns als Kirche neu erfinden, um eine Antwort darauf zu geben?"

 Reformprozesse haben überall immer sehr glanzvolle Namen, auch in der bayerischen Landeskirche. Aber was steckt denn ganz konkret hinter einem Label wie "Profil und Konzentration", kurz: PuK?

Wir haben uns vor allem und als Erstes in den kirchenleitenden Organen gefragt, wohin wir wollen. Unser Ziel ist, dass wir auch mit weniger Geld möglichst Ausstrahlungskraft haben und nah bei den Menschen sind. Die zentrale Frage, die wir uns gestellt haben war: Was brauchen die Menschen vor Ort von uns, um die Liebe Gottes auf einfache Weise zu erfahren. Und wie müssen wir uns als Kirche neu erfinden, um eine Antwort darauf zu geben?

Funktioniert das System Volkskirche noch mit diesen veränderten Rahmenbedingungen? Also mit weniger Mitgliedern und weniger Geld?

Die Frage ist doch: Was versteht man letztlich unter Volkskirche? Die Kirche hängt nie an einer bestimmten Organisationsform, denn sie ist nicht auf irgendein historisch gewachsenes Kirchenrecht gebaut, sondern auf Jesus Christus als ihren Eckstein. Genau deswegen muss sich die Kirche immer verändern. Die Mitgliederzahl der Kirche ist nicht der entscheidende Faktor für die Ausstrahlungskraft, sondern ob sie die Liebe Jesu Christi ausstrahlt, von der sie spricht.

Was aber ist mit der Mitarbeitendenseite: Für viele Pfarrerinnen und Pfarrer, aber auch für Diakoninnen und Diakone ist die Kirche auch Arbeitgeber. Und für die meisten dürfte auch das Beamtenverhältnis ein Argument bei der Berufswahl gewesen sein ...

Diese Einschätzung bezweifle ich. Die Leute arbeiten vor allem deswegen für die Kirche, weil sie hinter der Sache stehen, um die es ihr geht. In der Bibel steht ohnehin nichts zum Beamtentum. Menschen, die ihre ganze Kraft der Kirche geben, die sollen auch angemessen bezahlt werden - das hängt aber nicht an der Verbeamtung.

"Wenn mehr Menschen aus der Kirche austreten, dann können sich vor allem die Ausgetretenen nicht beschweren, wenn sich die Kirche weniger engagieren kann."

Während sich die Institution Kirche in einer Vertrauenskrise befindet, sind Diakonie und Caritas bei vielen Menschen nach wie vor hoch angesehen. Mit immer weniger Mitgliedern werden solche Angebote aber immer schwieriger …

Wir werden als Kirche weiter gesellschaftlich aktiv sein. Viele Dinge, die die Kirche tut, sind segensreich und sinnvoll für die Gesellschaft. Was aber auch klar ist: Wenn mehr Menschen aus der Kirche austreten, dann können sich vor allem die Ausgetretenen nicht beschweren, wenn sich die Kirche weniger engagieren kann. Jeder Austritt sorgt auch dafür, dass die Kirche weniger Geld in segensreiche Dinge wie die Diakonie stecken kann.

Seit Jahren dominiert das Thema Missbrauch die öffentliche Wahrnehmung von Kirche. Gerade der evangelischen Kirche wird mitunter vorgeworfen, sich nicht engagiert genug mit diesem Teil ihrer Geschichte befasst zu haben.

Die evangelische Kirche ist seit 20 Jahren an diesem Thema dran. Es wird manchmal der Eindruck erweckt, dass wir uns erst durch die Diskussionen in der katholischen Kirche damit befasst haben. Das ist falsch. Betroffene Menschen werden schon seit vielen Jahren von uns begleitet, ich bin auch persönlich von Anfang an im kontinuierlichen Kontakt mit Betroffenen gewesen. Richtig ist: Die institutionelle Aufarbeitung über die Einzelfälle hinaus hat erst ihren Weg genommen, als das Thema eine breitere gesellschaftliche Öffentlichkeit erfahren hat.

Gerade bei der institutionellen Aufarbeitung gab es auch Entwicklungen, die nicht so besonders glücklich waren - etwa beim Betroffenenbeirat der EKD. Was muss da künftig anders, was muss besser laufen?

Der Betroffenenbeirat ist ein gutes Beispiel für die Lernerfahrungen, die wir gemacht haben. Der Wille, das gutzumachen, war von Anfang an da. Aber die Erwartungen auch der Betroffenen waren sehr unterschiedlich. Jetzt haben wir eine gute Form gefunden, in der die Betroffenen eine wichtige Rolle bei unseren Entscheidungsprozessen spielen.

"Wir sind eine Institution, die von der Liebe Gottes spricht und der Liebe der Menschen zueinander - und wenn im Raum einer solchen Institution Seelen zerstört werden, Leben zerstört werden, dann ist das skandalös."

Manch einer stört sich auch an der Sonderrolle, die die Kirchen beim Thema Missbrauch zugewiesen bekommen - denn sexuelle Übergriffe gab und gibt es ja beinahe überall in der Gesellschaft, vom Sportverein bis zum Kinderchor.

Ich verstehe und akzeptiere, dass die Kirchen bei diesem Thema als erste im Fokus stehen, weil wir die größte moralische Fallhöhe haben. Wir sind eine Institution, die von der Liebe Gottes spricht und der Liebe der Menschen zueinander - und wenn im Raum einer solchen Institution Seelen zerstört werden, Leben zerstört werden, dann ist das skandalös. Allerdings wünschen wir uns auch schon seit Jahren eine viel aktivere Rolle des Staates. Die Staatsanwaltschaften haben gegenüber unseren disziplinarrechtlichen Möglichkeiten viel bessere Mittel zur Aufklärung und Ahndung. Das scheitert zu oft an den Verjährungsfristen. Und der Staat könnte Standards festlegen, nach denen Anerkennungs- oder Entschädigungsleistungen gezahlt werden. Daran müssten sich dann alle gesellschaftlichen Institutionen halten, die es betrifft, die Chöre, Schulen und Sportvereine genauso wie die Kirchen.

Der Rat der EKD hat neulich eine Stellungnahme zur möglichen Neuregelung des Abtreibungsverbots im Strafrecht vorgelegt - das hat sofort Widerspruch auf katholischer Seite ausgelöst. Wie steht es um die Ökumene derzeit?

Nach wie vor wirken die starken ökumenischen Impulse des Reformationsjubiläums von 2017. Die dadurch gewachsene Vertrauensdecke hält auch Unterschiede zwischen den Positionierungen aus. Beim Abtreibungsrecht darf man diese Unterschiede aber nicht überbewerten - denn beide Konfessionen verbindet der leidenschaftliche Einsatz für den Schutz des Lebens.

Aber direkt nach Ihrer Entpflichtung am 29. Oktober wird es erst einmal nichts mit Freizeit, Sie sind gleich wieder unterwegs.

Ja, das stimmt schon. Im November bin ich erst einmal drei Wochen in Nigeria. Dort tagt der Exekutivausschuss des Weltkirchenrates, diese Sitzung werde ich leiten und dann noch an der Allafrikanischen Kirchenkonferenz teilnehmen. Kurz danach empfange ich in Genf den Erzbischof von Schweden bei seinem Besuch des Weltkirchenrates. Ab Mitte Dezember gehe ich mit meiner Frau für zweieinhalb Monate nach Stellenbosch in Südafrika, wo ich eine Professur an der Universität habe. Dort wird viel Zeit sein zum Sackenlassen. Im März besuchen wir die Enkelkinder in den USA. Dann bin ich aber erstmal in Deutschland.

Herr Bedford-Strohm, Sie werden Bayern nach dem Ende ihrer Amtszeit am 29. Oktober verlassen - und wollen trotz ihres herausfordernden Ehrenamts beim Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) regelmäßig freie Wochen für Privates einplanen. Das ist bei Ihnen eher schwer zu glauben.

Das liegt vielleicht daran, dass ich in meiner gesamten Amtszeit nie eine Homestory gemacht habe. Ich habe schon in den vergangenen Jahren trotz sehr intensiver Arbeitsphasen immer wieder Zeiten für die Familie und auch mich reserviert, über die ich aber nicht bei Social Media berichte. In den kommenden Jahren habe ich neben den Weltkirchenratsverpflichtungen regelmäßig 2-Wochen-Abschnitte vorgesehen, die strikt für die Familie reserviert bleiben.

"Die Situation zwischen den Kirchen in der Ukraine hat sich zuletzt zugespitzt."

Die für Ende Oktober angesetzte Gesprächsinitiative des Weltkirchenrates zwischen der russischen-orthodoxen Kirche und den beiden orthodoxen Kirchen in der Ukraine ist vorerst gescheitert. Sie haben sich als Moderator des Zentralausschusses des Weltkirchenrates stark dafür eingesetzt. Was können Sie zu den Gründen sagen?

Die Situation zwischen den Kirchen in der Ukraine hat sich zuletzt zugespitzt. Das hat auch mit einem Gesetz zu tun, das jetzt ins Parlament eingebracht wird. Dieses Gesetz sieht vor, dass Institutionen, die noch Beziehungen zu Moskau haben, künftig verboten werden sollen. Der ukrainisch-orthodoxen Kirche - einem unserer beiden Gesprächspartner - wird von der ukrainischen Regierung solch eine Beziehung unterstellt. Sie wirft ihr Kollaboration mit Moskau vor. Ich kann das aus den bislang geführten Gesprächen allerdings so nicht bestätigen. Alle, mit denen wir gesprochen haben, haben die russische Invasion scharf verurteilt.

Sehen Sie denn vor diesem Hintergrund noch eine Perspektive für Gespräche?

Ich hoffe immer noch, dass dieses Gesetzesvorhaben nicht durchgezogen wird! Denn es steht in Spannung mit der Religionsfreiheit. Man muss unterscheiden zwischen den Personen, auf die diese Vorwürfe vielleicht zutreffen, und all den anderen, die genauso ihr Vaterland verteidigen oder deren Söhne sich im Krieg gegen Russland befinden.

Mit Blick auf die Angriffe der Terrororganisation Hamas auf Israel - warum tun sich die internationalen Kirchenbünde Lutherischer Weltbund und Weltkirchenrat so schwer damit, uneingeschränkte Solidarität mit Israel zu bekunden? In jüngsten Stellungnahmen des Weltkirchenrates wurde etwa die Hamas nicht einmal erwähnt.

Das ist nicht richtig. Die Hamas wird mehrfach erwähnt und dazu aufgerufen, ihre Angriffe einzustellen. Die brutalen und durch nichts zu rechtfertigenden Morde der Hamas verurteilen wir scharf. Wir haben überhaupt kein Verständnis dafür, wenn irgendwo diese brutalen Morde gegen unschuldige Menschen gerechtfertigt werden oder man sich sogar darüber freut. Das stößt mich ab! Und trotzdem darf und muss man auch an die leidenden Zivilisten in Gaza denken.

"Wenn man von bedingungsloser Solidarität mit Israel spricht, dann kann das nur heißen, dass es eine bedingungslose Solidarität mit dem Existenzrecht Israels gibt. Es heißt nicht, dass jede Aktion der israelischen Regierung von uns gebilligt oder unterstützt werden muss."

Werden die Verbrechen der Hamas nicht relativiert, wenn man nicht an erster Stelle die Solidarität mit dem Israelischen Volk ausdrückt?

Noch einmal: Es gilt jetzt, Leben zu retten, und diejenigen, die Leben zerstören, in die Schranken zu weisen. Das Schlimme ist: Die Hamas missbraucht die Menschen in Gaza als Schutzschilde! Das ist Teil ihres Terrors. Wenn man von bedingungsloser Solidarität mit Israel spricht, dann kann das nur heißen, dass es eine bedingungslose Solidarität mit dem Existenzrecht Israels gibt. Es heißt nicht, dass jede Aktion der israelischen Regierung von uns gebilligt oder unterstützt werden muss. Das humanitäre Völkerrecht gilt für alle Menschen und für jede Regierung.

Verstehen Sie, dass es zumindest Irritationen auslöst, wenn der Weltkirchenrat in seinen Erklärungen die Hamas nicht klar als Aggressor benennt?

Ich kenne niemanden in der Führung des Weltkirchenrates, der irgendwelche Sympathien für die brutalen Mordtaten der Hamas hegt. Und auch ich habe mich sehr schnell öffentlich in aller Klarheit geäußert. Dass der Weltkirchenrat insgesamt nach Wegen sucht, um die Gewalt zu überwinden, ist nun wirklich nichts Falsches! Denn es ist doch auch keine Lösung, dass wir jetzt einfach dabei zusehen, wie sich die Gewalt immer weiter zuspitzt. Die Palästinenser werden ja auch in Zukunft dort leben. Also braucht man Lösungen. Wir brauchen eine Antwort auf die Frage, was den Menschen in Israel langfristig und dauerhaft Sicherheit geben kann. Sicherheit ist nicht allein militärisch aufrechtzuerhalten. Das geht nur, wenn es einen gerechten Frieden im Heiligen Land gibt.

Hier in Deutschland wurden jüngst Wohnhäuser, in denen jüdische Menschen leben, mit Davidstern markiert. Was heißt das für unsere Gesellschaft in Deutschland?

Antisemitismus ist keine Meinung. Er ist einfach nur schrecklich. An dieser Stelle fühle ich bedingungslose Solidarität mit den Jüdinnen und Juden. Sie müssen in Deutschland in Frieden und Sicherheit leben können. Deswegen habe ich bei der Gedenkfeier für die Opfer der Hamas-Gräueltaten an der Synagoge in München vor ein paar Tagen auch selber eine Rede gehalten. Ich stehe an der Seite der jüdischen Gemeinde und trete kompromisslos für das Existenzrecht Israels ein!

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden