Die großen gesellschaftlichen Debatten der Gegenwart wurden in der Vergangenheit bei den evangelischen Kirchentagen schon immer leidenschaftlich verhandelt. Aber selten war wohl die Schere zwischen Kriegen und Krisen einerseits und dem Bedürfnis nach Gemeinschaft und schlicht Party größer als beim 38. Deutschen Evangelischen Kirchentag, der nach fünf Tagen am Sonntag in Nürnberg zu Ende ging.

Atmosphärisch zeigten 70.000 Kirchentagsgäste, die mit ihren grün-gelben Schals vielerorts die Farben des diesjährigen Protestantentreffens in die Frankenmetropole brachten: Beides geht - Party und Debatte, Feiern und Streiten.

Lust an der Gemeinschaft in Präsenz

Nach Jahren der Pandemie und allenfalls digitalen Treffen war in Nürnberg vor allem die Lust der Menschen an Gemeinschaft in Präsenz, am Austausch von Angesicht zu Angesicht spürbar. Vor allem, um in schwierigen Zeiten Kraft und Hoffnung zu schöpfen. Der Kirchentag unter der biblischen Losung "Jetzt ist die Zeit" selbst sei ein Hoffnungszeichen, erklärte dazu passend bei einer Bibelarbeit der Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Jerry Pillay. Er sei sprachlos, wie vielen Menschen er hier begegnet sei, die "viele gute Werke" tun.

Vor Ort waren es mehr als 4.000 Helferinnen und Helfer, die es bei meist sommerlichen Temperaturen überhaupt erst möglich machten, dass der Kirchentag ein Programm mit rund 2.000 Veranstaltungen stemmen konnte. Zu ihnen gehörte Hilian Gaß, der sich im südbayerischen Landkreis Miesbach in der evangelischen Jugend engagiert. Für den 24-Jährigen war der Kirchentag in Nürnberg eine Premiere.

"Die Leute waren sehr freundlich, haben immer nett gegrüßt, niemand hat uns angepöbelt", schwärmte er im Rückblick. Ein Teil der großen Kirchentags-Community zu sein, das habe trotz eng getakteter Einsatzzeiten Spaß gemacht: "Dieses Gemeinschaftsding treibt mich an."

Ähnlich hat es Kirchentagspräsident Thomas de Maizière erlebt. "Die Freundlichkeit der Menschen mit und ohne Schal ist bewegend", bilanzierte er. Beeindruckt haben ihn auch volle Kirchen und überfüllte Plätze etwa bei den Großkonzerten, die Zehntausende in ihren Bann zogen: mal rockig, poppig, jazzig, mal mit klassischer Musik wie am Samstagabend mit dem Kyiv Symphony Orchestra, das nach Nürnberg gekommen war - ein Gänsehautmoment: Die Gäste in der Meistersingerhalle begrüßten das Weltklasseorchester aus der Ukraine, das als Botschafter seiner Kultur derzeit im Exil im thüringischen Gera lebt und arbeitet, mit einem lang anhaltenden warmen Applaus.

Gänsehautmoment unter blauem Himmel

Auch der Abschlussgottesdienst am Sonntag unter strahlend blauem Himmel und begleitet vom blitzenden Blech von Bläserinnen und Bläsern auf dem Nürnberger Hauptmarkt war so ein Gänsehautmoment. Der freundliche Grundton in den Begegnungen zog sich in den Tagen zuvor aber auch durch die Debatten. Dem Kirchentag sei es gelungen, für Menschen wie für Themen einen vertrauensvollen Rahmen zu schaffen, in dem respektvoll miteinander diskutiert und gerungen worden sei, betonte der frühere Bundesminister de Maizière.

Natürlich war es auch Politprominenz wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die für volle Hallen sorgten. Aber "vor allem die Gemeinschaft" ziehe sie immer wieder an, betonte Ursula aus dem oberbayerischen Tutzing.

An der großen Zahl bunter Schals beispielsweise aus Stuttgart, Dresden und Hamburg an ihrem Rucksack war zu erkennen, dass die 75-Jährige zu den Stammgästen des evangelischen Laientreffens gehört. "Die Menschen hier sind zugänglich, man kommt leicht in Kontakt", beschrieb sie ihr Wohlgefühl.

Wie allerdings die Zukunft des Kirchentages aussieht, das ist auch angesichts sinkender Teilnehmendenzahlen nicht klar. Ursula aus Tutzing jedenfalls meinte, sie gehe beschenkt nach Hause.

Auf die Frage, ob das Protestantentreffen eine Zukunft habe, sagte sie: "Ich hoffe von ganzem Herzen."

Sie freute sich über die Botschaft, dass der 39. Deutsche Evangelische Kirchentag vom 30. April bis zum 4. Mai 2025 in Hannover gefeiert werden soll.

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