Der Ausbruch des neuartigen Coronavirus führte dazu, dass reihenweise Großveranstaltungen ausgefallen sind oder verschoben wurden. Auch die Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) in Bayreuth vom 22. bis 26. März war davon betroffen. Dort hätten zum ersten Mal die neu gewählten Synodalen zusammenkommen sollen. Die Präsidentin der Landessynode, Annekathrin Preidel, erklärt im Interview mit Sonntagsblatt.de, wie es vorerst weitergeht und wie sie persönlich die Corona-Krise empfindet.

Frau Preidel, wie geht es nun weiter mit der Arbeit der Landessynodalen?

Annekathrin Preidel: Gemäß Artikel 46 der Kirchenverfassung bleibt die Landessynode, also auch ihr Präsidium, ihre Ausschüsse und der Landessynodalausschuss, solange im Amt, bis die neugebildete Landessynode zu ihrer ersten Tagung zusammentritt. Damit ist die Kirchenleitung weiterhin handlungsfähig. Wichtig ist jetzt bereits der Informationstransfer zu den neuen Synodalen, damit diese ihre Arbeit dann nach der Konstituierung nahtlos aufnehmen können. Wir versuchen als Kirchenleitung gegenwärtig, möglichst alle Fäden zusammenzuhalten.

Wird möglicherweise mit Videokonferenzen gearbeitet?

Preidel: Dass das Virus unsere Gesellschaft gerade im Zeitalter des Internets ereilt hat, ist natürlich nur ein schwacher Trost. Aber die digitale Vernetzung trägt momentan sehr dazu bei, dass die Kommunikation aufrecht erhalten bleibt. Wir arbeiten viel mit E-Mail sowie Video- und Telefonkonferenzen. So können wir von zu Hause aus in Kontakt bleiben und unterstützen damit die Präventionsbemühungen zur Ausbreitung des Virus. Zugleich spüren wir in einer Zeit, in der keine Gottesdienste stattfinden können, natürlich auch, was uns fehlt, wenn wir vor allem auf digitale Präsenz angewiesen sind.

Gibt es synodale Themen, die dringend angegangen werden müssten?

Preidel: Bei der ersten Tagung in Bayreuth hätte das Hauptaugenmerk natürlich der Verpflichtung der neuen Synodalen durch den Landesbischof im Eröffnungsgottesdienst und den vielen Wahlen gegolten, die zu Beginn einer Synodalperiode vorzunehmen sind, damit die neue Synode arbeitsfähig wird.

Wir wollten in Bayreuth auch ein sehr wichtiges Gesetz, nämlich das Präventionsgesetz gegen sexuellen Missbrauch, beschließen.

Immerhin konnte Anfang Februar in Tutzing noch die zweitägige Informationsveranstaltung für die neue Synode stattfinden. Dort erhielten die neuen Synodalen zumindest einen ersten Überblick über die aktuellen Prozesse unserer Kirchenleitung, also über "Profil und Konzentration", das Miteinander der Berufsgruppen und die Landesstellenplanung.

Wie nehmen Sie persönlich die Corona-Krise wahr?

Preidel: Die Corona-Krise macht mir bewusst, wie unselbstverständlich all das ist, was wir für Normalität halten. Wir sind fragile Geschöpfe. Und auch unsere Weltordnung ist fragil. Die Corona-Krise ist ein Stresstest für unser Land, für Europa und für die ganze Welt. Insbesondere ist sie ein Stresstest für die Globalisierung, mit deren zerstörerischen Schattenseiten sie uns einmal mehr konfrontiert. Die Corona-Krise erweist sich aber auch als Stresstest für Solidaritätsappelle, die wir als Kirche so gern auf den Lippen haben.

Im Ernstfall sind ein starker Staat und ein starkes Gesundheitssystem mindestens genau so entscheidend für den Schutz der Schutzlosen wie die moralische Erinnerung daran, dass wir jetzt aufeinander angewiesen sind.

Auch die kirchliche Gerechtigkeitsrhetorik steht jetzt auf dem Prüfstand! Was ist, wenn nicht mehr jeder Kranke beatmet werden kann? Was ist, wenn Menschen im Sterben allein gelassen werden müssen? Wie sieht es am Ende mit der Wertschätzung der Pflegekräfte aus?

Schon jetzt sind Menschen in Kurzarbeit. Die Zahl der Arbeitslosen wird steigen. Wem wird unsere Solidarität gelten? Als Biologin erschreckt mich in diesen Tagen die Erbarmungslosigkeit der evolutionären Logik auch in einem technisch hoch entwickelten Ländern. Die Gesunden und Fitten überleben. Die Alten und Kranken womöglich nicht. Das ist furchtbar. Für meinen und für unseren Glauben an Gott ist dies eine große Herausforderung. Wer sonst sollte uns helfen, wenn wir Menschen angesichts von solch höherer oder besser gesagt niederer Gewalt mit unserem Latein am Ende sind?

Was heißt Corona-Krise für unsere Kirche?

Preidel: Unsere Kirchengemeinden stehen vor enormen Herausforderungen: Da sich jetzt die Sozialkontakte noch mehr in die digitalen Räume verlagern, dürfen Solidarität und Nähe nicht verlernt werden. Hier haben unsere Kirchengemeinden eine äußerst wichtige Aufgabe, die sie vor Ort kreativ, besonnen, warmherzig und achtsam annehmen – und zwar nicht nur durch virtuelle, sondern auch durch echte, leibseelische seelsorgerliche Gegenwart im geschützten Raum.

In ganz neuer Weise zeigt sich jetzt, was die Worte "Distanz" und "Nähe" bedeuten – nicht zuletzt für unsere Pfarrerinnen und Pfarrer in der Seelsorge. Gerade ältere Menschen, die sich vor Ansteckungsangst kaum mehr zum Arzt zu gehen trauen, sehnen sich nach Zuwendung und Zuspruch. Existenzielle Ängste können freilich auch eine ganz andere Gestalt annehmen. Firmen, Geschäfte und Gaststätten sind in ihrer wirtschaftlichen Existenz bedroht. Menschen bangen um ihren Arbeitsplatz.

Das Familienleben muss neu gestaltet werden, um Home-Office, Kinderbetreuung sowie Schul- und Hausarbeit zu organisieren. Die Klinikseelsorgerinnen und Klinikseelsorger arbeiten wie alle Mitarbeitenden im Gesundheitssystem bis zur Erschöpfung. Gleichzeitig sind sie einem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt. Als Kirche beginnen wir in dieser großen Krise zu spüren, welche Formen der Präsenz wirklich wichtig sind. Zugleich können keine Gottesdienste im größeren Rahmen stattfinden. Je länger die Krise dauert, desto stärker wird sie unsere Kirche in ihren Grundfesten erschüttern.

Zeigt sich der Sinn der Passionszeit in diesen Tagen neu für Sie?

Preidel: Unsere Kirche wird in diesen Tagen auch dadurch auf eine harte Probe gestellt, dass wir uns neu und jenseits allzu eingängiger und routinierter Formulierungen überlegen müssen, was wir als Christenmenschen wirklich zu sagen haben.

Der Slogan der Fastenaktion der evangelischen Kirche "Sieben Wochen ohne" gewinnt vor dem Hintergrund der Corona-Krise eine ganz andere, viel schmerzlichere Bedeutung. Wer würde sich nicht danach sehnen, dass diese Fastenzeit in absehbarer Zeit zu Ende geht und dass wir bald wieder ohne Angst die Fülle des zwischenmenschlichen Lebens genießen können?

Andererseits könnte uns kein passenderes Motto durch die Wochen der Passionszeit leiten als das diesjährige: "Zuversicht! Sieben Wochen ohne Pessimismus"! Genau das ist von uns gefordert in einer Zeit, die wir mit aller verfügbaren Kraft unseres Glaubens, und sei er noch so schwach, jetzt eben aushalten müssen. Für mich gibt es übrigens tatsächlich keinen Grund zum Pessimismus. Nicht nur deshalb, weil unsere Zivilisation diese Krise meistern wird. Sondern vor allem deshalb, weil unser Leben nicht in der Hand des Coronavirus, sondern in der Hand Gottes liegt.