Zwei Monate lang hat die Kanzlei Heussen im Auftrag der Diakonie München und Oberbayern die teils anonymen Vorwürfe gegen den Vorstandssprecher geprüft und dazu mehr als 40 Einzelinterviews geführt.

Nach welcher Methodik arbeiten Rechtsanwälte dabei? Wie kommen sie zu einem Ergebnis, wenn Wort gegen Wort steht? Und was können Unternehmen tun, damit es keine Grenzüberschreitungen gibt? Ein Überblick.

Nach welchen Kriterien werden die Befragten ausgewählt?

Wenn, wie im Fall der Diakonie München, auch anonyme Vorwürfe im Raum stehen, ist ein zweistufiges Vorgehen nötig, sagt Rechtsanwalt Franz Leisch von der Kanzlei Heussen. Im ersten Schritt müsse man es einer betroffenen Person "so leicht wie möglich" machen, ihre Beschwerde zu melden. Deshalb hatte der Vorstand per Mail alle Mitarbeitenden gebeten, grenzüberschreitendes Verhalten zu melden.

Gleichzeitig wurde der Beschuldigte für den Zeitraum der Untersuchung freigestellt. Zudem wurden Frauen nur durch die beiden Anwältinnen des Teams befragt. Im zweiten Schritt habe das Untersuchungsteam alle Mitarbeiterinnen im Umfeld des Vorstandssprechers erfasst und befragt - sowie weitere Personen, die im Lauf der Untersuchung genannt wurden.

"Kriterien hierfür waren: Wer könnte etwas beobachtet haben? Wer kann über die Person des Vorstandssprechers Einschätzungen abgeben?"

Wie werden widersprüchliche Aussagen bewertet?

Alle Aussagen der Interviewpartner werden nach mehreren Kriterien geprüft: Wie konkret wird eine Situation beschrieben, wie emotional reagiert die befragte Person, wie verhält sie sich bei Nachfragen, sind die Aussagen frei von Widersprüchen, welche Interessen könnte die Person verfolgen, welche Einstellung hat sie zum Unternehmen?

"Hieraus ergeben sich Einschätzungen dazu, welche Aussagen bei Widerspruch zu anderen Aussagen einen höheren Grad an Glaubwürdigkeit aufweisen",

sagt Rechtsanwalt Leisch. Weitere Erkenntnisse aus E-Mails, Sprachnachrichten oder Dokumenten ergänzen das Bild. Weil dieses sich im Laufe einer Untersuchung ändern könne, dürften sich die Prüfer nicht frühzeitig festlegen. Das vorläufige Urteil der Anwälte werde schließlich im Team offen diskutiert und hinterfragt.

Welche Präventionsmaßnahmen kann ein Unternehmen ergreifen, um Fehlverhalten zu vermeiden?

Als wichtigste Präventionsmaßnahmen nennt der Experte für Compliance (also die Schaffung und Einhaltung von Unternehmensrichtlinien), "Aufklärung und ein Meldeverfahren, welches das Vertrauen der Betroffenen genießt". Die Mitarbeitenden sollten in Schulungen lernen, was im Umgang miteinander nicht akzeptabel sei. Dabei solle ihnen ein Gefühl dafür vermittelt werden,

"welchen erheblichen Belastungen Betroffene ausgesetzt sein können und was es bedeutet, einem Verhalten ohnmächtig gegenüberzustehen".

Führungskräfte müssten lernen, Anzeichen von Mobbing und allen Arten von Belästigung zu erkennen und ihnen nachzugehen. Jeder im Unternehmen müsse wissen, wie die Meldeverfahren funktionieren, betont Leisch. Zuständigkeiten und Verfahrensablauf müssen eindeutig festgelegt, Interessenkonflikte ausgeschlossen sein. Um Transparenz zu schaffen, sollten die Ergebnisse unter Beachtung der Persönlichkeitsrechte im Unternehmen kommuniziert werden.

"Ohne Vertrauen in die Meldewege bleiben diese lebloses Papier, denn Betroffene würden weiterhin Repressalien befürchten oder annehmen, nicht ernst genommen zu werden."

Wie sieht das korrekte Vorgehen aus, wenn es doch zu Fehlverhalten kommt?

Jeder Fall muss individuell betrachtet werden. Was jedoch immer gilt, ist laut Leisch:

"Ernstnehmen, Durchführung eines fairen Verfahrens, Entwicklung einer tragfähigen Lösung, wobei die betroffene Person im Mittelpunkt stehen muss, nicht ein davon gegebenenfalls abweichendes Unternehmensinteresse."